Waldbrände am Mittelmeer:"Das ist wie die Apokalypse"

Waldbrände am Mittelmeer: Würden Schafe Gestrüpp und Unterholz in Wäldern freifressen, wäre die Gefahr für Brände etwas geringer.

Würden Schafe Gestrüpp und Unterholz in Wäldern freifressen, wäre die Gefahr für Brände etwas geringer.

(Foto: YASIN AKGUL/AFP)

Bei Temperaturen von 40 Grad und starken Winden breiten sich die Waldbrände in Griechenland und der Türkei weiter aus. Mehr als die verheerenden Schäden beschäftigt die Regierung in Ankara aber eine Kampagne im Internet.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Während die Waldbrände in Griechenland und der Türkei wegen erwarteter Rekordtemperaturen und starker Winde in den kommenden Tagen völlig außer Kontrolle geraten könnten, verschärft sich in der Türkei der innenpolitische Streit um den Umgang mit der Naturkatastrophe. Im Zentrum steht dabei die Kritik an angeblich mangelnder Vorsorge der Regierung. Diese wiederum geht juristisch gegen die Social-Media-Kampagne #HelpTurkey vor, die im Ausland um Hilfe bittet: Die Regierung sieht diese Twitter-Kampagne als Teil einer gegen die Türkei gerichteten Desinformationskampagne, um das Land zu "erniedrigen".

In Griechenland wurde die Katastrophenlage in der Umgebung von Athen Agenturberichten zufolge immer dramatischer. Nördlich der Hauptstadt wurden Menschen mehrerer Ortschaften aufgerufen, die Region zu verlassen. In den kommenden Tagen sollen die Temperaturen auf weit über 40 Grad steigen. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis schwor die Bürger auf harte Tage ein: "Wir haben mit Dutzenden Waldbränden zu kämpfen. Drei davon - in Athen, auf dem Peloponnes und auf Euböa - sind von gewaltigem Ausmaß", so Mitsotakis im Staats-TV. Wegen der großen Trockenheit stehe dem Land das Schlimmste aber noch bevor.

Der Premier warnte vor einem "noch nie dagewesenen Zustand, weil die vergangenen Tage der Hitze und Trockenheit das Land in ein Pulverfass verwandelt haben". Mitsotakis kündigte rasche Hilfen und Entschädigungen an. Er versprach auch die Aufforstung verbrannter Gebiete. Man müsse das Land angesichts des Klimawandels "panzern".

Binnen 24 Stunden waren landesweit rund 90 neue Brände registriert worden, mindestens eine Person soll ums Leben gekommen sein. Zahlreiche Menschen wurden Agenturberichten zufolge mit Atembeschwerden in Krankenhäuser gebracht. Ärzte warnten davor, ohne Spezialmasken ins Freie zu gehen. Besonders stark betroffen waren die Halbinsel Peleponnes und die Insel Euböa. Dort mussten mindestens 600 Bewohner von der Küstenwache über das Meer in Sicherheit gebracht werden. Die Behörden sprachen von der größten Katastrophe auf der auch Evia genannten Insel seit 50 Jahren. "Das ist wie die Apokalypse", sagte ein Mitarbeiter der Küstenwache.

Griechenland durchlebt die schlimmste Brandkatastrophe seit den verheerenden Feuern im Jahr 2007. Damals waren im Westen des Peloponnes Dutzende Menschen ums Leben gekommen. Nur beim Brand in der Ortschaft Mati östlich von Athen wurden 2018 mit 100 Toten noch mehr Opfer beklagt.

Zehntausende mussten ihre Häuser verlassen

Auch in der benachbarten Türkei kämpfen Einsatzkräfte den zehnten Tag in Folge gegen die schwersten Wald- und Buschfeuer seit mehr als zwölf Jahren. Besonders betroffen sind die Küstenregionen Antalya, Marmaris, Bodrum und Milas an der Ägäis und am Mittelmeer. Mindestens acht Menschen starben, Schätzungen zufolge fraßen die Flammen mindestens 100 000 Hektar Wald und Felder auf. Zehntausende Menschen mussten ihre Häuser verlassen und wurden in öffentlichen Einrichtungen untergebracht, auch Touristen.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan nannte die Großfeuer die schlimmsten Brände in der Geschichte des Landes. Kritiker aus Opposition und Zivilgesellschaft bemängeln, die Regierung habe unzulänglich reagiert. Im Fokus steht der Mangel an eigenen Löschflugzeugen; die Türkei leiht und mietet solche Spezialmaschinen im Ausland. Oppositionspolitiker verwiesen zudem auf Zahlen der Forstbehörde, wonach im ersten Halbjahr nur zwei Prozent der für die Bekämpfung von Waldbränden vorgesehenen Gelder in Höhe von umgerechnet etwa 20 Millionen Euro tatsächlich eingesetzt wurden.

Im Zentrum der immer heftigeren politischen Auseinandersetzung stand aber #HelpTurkey, die Hilfskampagne in den sozialen Medien. Der Umgang mit Desinformation war auch Thema bei der jüngsten Tagung des nationalen Sicherheitsrates unter Leitung Erdoğans, wie türkische Zeitungen schrieben. Laut der Generalstaatsanwaltschaft in Ankara wurde bereits eine Untersuchung eingeleitet. Man habe einzelne Twitter-Beiträge der Kampagne, in der in kurzer Zeit mehr als 2,6 Millionen aufliefen, analysieren lassen und Manipulationen entdeckt.

Es habe sich gezeigt, dass sowohl über echte als auch über fingierte Twitter-Konten und mittels eigens programmierter Multiplikationsfunktionen Panik und Zweifel in der Bevölkerung verbreitet worden seien. Mit dieser von Unbekannten organisierten Kampagne habe man den Staat und die Regierung der Türkei durch "Falschnachrichten" schädigen und "erniedrigen" wollen. Es handele sich um Straftaten: Man habe "im Volk Angst und Panik verbreiten und einen Teil der Bevölkerung gegen die andere zu Hass und Feindschaft aufhetzen" wollen.

Bei den Manipulationsvorwürfen beruft sich Ankara offenbar vor allem auf die Untersuchungsergebnisse des Wissenschaftlers Mark Owen Jones. Dieser forscht an der Hamad-Bin-Khalifa-Universität in Katar und hat sich auf die Analyse digitaler Desinformationskampagnen im Nahen und Mittleren Osten spezialisiert. Vor Journalisten sagte Jones am Freitag in Istanbul, bei seiner Untersuchung von #HelpTurkey seien ihm auffällige Unregelmäßigkeiten aufgefallen. Automatisiert seien in rascher Folge die immer selben Texte und Fotos verbreitet worden. Die Kampagne sei zweifelsfrei mittels gehackter Twitter-Konten manipuliert worden. Die Urheberschaft lasse sich aber bisher nicht feststellen. In seinen Augen seien aber viele der 2,6 Millionen Tweets durchaus echt und in gutem Glauben abgesetzt worden, sagte Jones.

Ismail Cesur, ein Berater von Präsident Erdoğan, teilte auf Twitter mit, Ziel der Kampagne sei es, die Türkei als "hilflos angesichts der Katastrophe" zu zeigen und so vor allem auch den Tourismussektor zu schädigen. Die türkische Regierung hatte auch erfolglos versucht, der Kampagne mit einer eigenen Twitter-Aktion zu begegnen: #StrongTurkey. Sie hat bisher weit weniger Zulauf.

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