Wahl-Thesentest: Analyse nach Geschlecht:Links die Frau, rechts der Mann

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Wenn wir die Abgeordneten von Bund und Ländern anhand unseres Wahlthesen-Tests vergleichen, scheint das Ergebnis klar: Frauen denken progressiver, Männer eher konservativ. Das ist auch immer wieder das Ergebnis von Studien. Doch mit dem Geschlecht hat dieser Unterschied wenig zu tun.

Von Barbara Vorsamer

Unterscheiden sich Frauen und Männer in ihrer politischen Einstellung? Die Wahlforschung sagt: Ja. Heutzutage stimmen Wählerinnen häufiger für linke Parteien, Männer eher für konservative. Besonders deutlich ist der sogenannte Gender Gap bei Bündnis 90/Die Grünen, die einen deutlich höheren Frauenanteil unter ihren Wählerinnen und Wählern haben, und bei rechtsextremen Parteien. Letztere werden vor allem von Männern gewählt.

Wenn wir die Aussagen aus dem SZ-Wahl-Thesentest nach Geschlecht auswerten, scheinen die Ergebnisse perfekt in diese Forschungslandschaft zu passen. Für diesen Test haben wir von 600 Abgeordneten aus Bund und Ländern die Zustimmung zu verschiedenen Thesen abgefragt und daraus einen Faktor zwischen 0 und 100 errechnet. Null würde bedeuten, die Abgeordneten stimmen der These überhaupt nicht zu, der Faktor 100 hieße vollständige Zustimmung.

Zu beachten ist bei der Analyse jedoch, dass Frauen nicht in allen Parteien gleich stark vertreten sind. Aufgrund ihrer festgeschriebenen Frauenquoten haben die Grünen und die SPD traditionell einen höheren Frauenanteil als FDP und Union. Außerdem haben die männlichen und weiblichen Abgeordneten nicht in allen Parteien gleich häufig geantwortet.

84 Prozent der Frauen aus dem linken Lager

Für unsere Gesamtheit der Antworten heißt das: 84 Prozent der 192 Frauen, die geantwortet haben, gehören den "linken" Parteien (SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linke) an, nur 14 Prozent sind in der Union, zwei Prozent sind bei den Piraten und aus der FDP haben wir keine einzige Antwort einer Frau bekommen. Von den 383 Männern kommen 39 Prozent der Antworten aus dem schwarz-gelben Lager, 57 Prozent von links und vier Prozent von den Piraten.

Das generelle Ergebnis unserer Auswertung, dass die weiblichen Abgeordneten durch die Bank progressivere Antworten geben als ihre männlichen Kollegen, ist daher nicht ganz einfach zu interpretieren. Liegt es daran, dass Frauen generell "linker" denken und wählen als Männer? Oder verfälscht der höhere Anteil der Frauen aus roten und grünen Parteien den Faktor in diese Richtung?

Am wahrscheinlichsten ist ein Zusammenspiel all dieser Gründe. Gerade weil Frauen inhaltlich den linken Parteien nahestehen und weil diese feste Quoten haben, sind sie dort auch besser repräsentiert. Was insgesamt dazu führt, dass die Antworten der Frauen in unserem Test eher links-progressiv ausfallen.

Große Unterschiede bei Bildungsfragen

Auf diese Erklärung weisen auch die Zustimmungsquoten bei dieser These hin. Bei der Aussage "Deutschland braucht eine verpflichtende Frauenquote in großen Unternehmen" stimmen Frauen mit einem Faktor von 81 zu, während Männer eher unenschlossen sind (56). Einen derart großen Unterschied gibt es bei keiner anderen Frage, denn hier geht es nicht nur um rechts und links und darum, welches Geschlecht in welcher Partei wie vertreten ist. Von der Existenz einer Frauenquote haben Frauen einen unmittelbaren Vorteil und sind daher vermutlich parteiübergreifend eher dafür als Männer.

Ebenfalls große Unterschiede sind bei der These "Unser Bildungssystem gibt jedem eine ausreichende Chance" zu sehen. Männer kommen auf den Wert von 42, Frauen auf 26, sie sind also wesentlich entschiedener dagegen. Weitere Thesen, bei denen die Geschlechter deutlich unterschiedlicher Meinung sind:

  • "Bürger sollten per Volksentscheid über Bundesgesetze entscheiden dürfen." Die Männer sind mit 55 Punkten eher unentschieden, die Frauen mit 67 eher dafür.
  • "Der im Grundgesetz verbriefte Grundsatz 'Eigentum verpflichtet' hat in unserer Gesellschaft einen zu geringen Stellenwert." Frauen wie Männer stimmen hier zu, die Frauen allerdings mit 82 Punkten deutlich entschiedener als die Männer.
  • "Auf Deutschlands Autobahnen sollte ein generelles Tempolimit gelten." Den Männern ist das eher egal (44 Punkte), die Frauen sind eher dafür (65).
  • "Der Drohnen-Krieg der USA ist gerechtfertigt." Frauen sagen klar Nein (18 Punkte), die Männer sind ebenfalls eher dagegen, aber nicht ganz so entschieden (33).
  • Ähnlich die Zahlen bei der These "Atommüll aus Deutschland sollte ins Ausland transportieren werden dürfen." Männer kommen auf die eher ablehnende Punktzahl 30, Frauen auf noch ablehnendere 18 Punkte.
  • "Waffenlieferungen an Staaten, deren politisches System dem westlichen Demokratieverständnis widerspricht, müssen verboten werden." Frauen sprechen sich mit 87 Punkten klar dafür aus, Männer kommen auf etwas weniger Punkte (74).
  • Fast dieselben Zahlen hat die These "Menschenrechtsfragen müssen in den Beziehungen zu anderen Staaten eine größere Rolle spielen als wirtschaftliche Interessen" (Männer 76, Frauen 87).
  • Bei der These "Ich finde, Berufspolitiker sollten durchaus bezahlte Nebentätigkeiten ausüben dürfen" sind Männer wie Frauen unentschieden. Männer tendieren aber zum Ja (57), während Frauen eher dagegen sind (42).
  • "Ich zahle gerne ein Vielfaches, wenn ich weiß, dass ein Produkt fair hergestellt wurde." Frauen kommen auf den Zustimmungsfaktor 76, Männer auf 64 Punkte.
  • "Nach meiner Auffassung fällt es religiösen Menschen leichter, ein moralisch gutes Leben zu führen." Diese Aussage bekommt relativ wenig Zustimmung - allerdings etwas mehr von Frauen (38) als von Männern (29).

Die religiöse Bindung ist heutzutage nicht mehr sehr stark - bei Frauen wie bei Männern. Das muss vor allem die Union schmerzen, denn jahrzehntelang waren die Wählerinnen für sie eine sichere Bank. Etwa zehn Prozentpunkte mehr bekamen die Konservativen bis 1969 kurioserweise von den Frauen - obwohl es die SPD war, die sich für das Frauenwahlrecht eingesetzt hatte. Doch die Sozialdemokratie konnte zunächst bei den Frauen nicht punkten, was sich Wahlforscher mit ihrer geringen Erwerbstätigkeit und ihrer starken Bindung an Familie und Kirche erklärten.

Die zunehmende Bildung und Erwerbstätigkeit von Frauen wie auch der nachlassende Einfluss der Kirche führten dazu, dass sich der Effekt in den siebziger Jahren ins Gegenteil verkehrte. Frauen wählten vornehmlich SPD und später die Grünen, vermutlich, weil diese Parteien in Politikfeldern, die Frauen wichtiger sind als Männern (Gesellschafts-, Familien-, Umwelt- und Bildungspolitik), mehr zu bieten hatten als Union und FDP.

Doch noch einen ganz grundsätzlichen Zusammenhang zwischen Geschlecht und politischer Einstellung hat die Wahlforschung zu bieten. Das Geschlecht alleine ist gar kein Einflussfaktor. Vergleicht man Frauen und Männer, deren Einkommen, Familienstand, Herkunft und Konfession übereinstimmen, sind keine Unterschiede im Wahlverhalten mehr feststellbar. Alle Unterschiede, die es gibt, haben also damit zu tun, dass sich die gesellschaftliche Situation von Männern und Frauen (noch) unterscheidet.

Die Frage, bei der sich die weiblichen und männlichen Abgeordneten am wenigsten unterscheiden, ist übrigens diese hier: "Ich gehe gelegentlich bei Rot über die Ampel, wenn nichts passieren kann" (59 Punkte bei den Männern vs. 58 bei den Frauen).

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