Wahlsieger Partito Democratico:Bersani muss das Unmögliche möglich machen

Nun kommt es auf den Gewinner der Wahl des Abgeordnetenhauses an: Pier Luigi Bersani muss versuchen, im vergifteten politischen Klima Italiens eine halbwegs stabile Regierung auf die Beine zu stellen - und Koalitionen anstreben, deren Einzelteile sich fundamental widersprechen.

Von Christopher Pramstaller und Antonie Rietzschel

"Oje vita mia", oh mein Leben. Aus rauen Kehlen erklang auf der Piazza del Plebiscito im süditalienischen Neapel das alte Volkslied, das zugleich auch die Hymne des Fußballvereins SSC Neapel ist. Euphorisch schwenkten Anhänger der Mitte-links-Bündnis ihre Fahnen, doch ihr Anführer schien alles andere befreit: Stocksteif stand Pier Luigi Bersani da, sein zaghaftes Mitwippen wirkte eher, als würde er sich gerade etwas ungelenk an ein paar Kniebeugen versuchen.

Das Video, aufgenommen während einer Wahlkampfveranstaltung nur wenige Tage vor den Parlamentswahlen, illustriert: Der Chef der Mitte-links-Vereinigung Partito Democratico (PD) mag mit seinem Bündnis das Abgeordnetenhaus gewonnen haben - die Herzen seiner Wähler hat er mangels Charisma nicht erobert. Doch der 61-Jährige will aus dieser Schwäche eine Stärke machen: Immer wieder betonte er, dass er vor allem zuverlässig sein wolle. Wahlen seien nicht zu gewinnen, indem man "Märchen erzählt", erklärte er - das überlasse er den Populisten. Seine Botschaft war immer eher nüchtern: Es gehe vor allem darum "Italien wieder aufzubauen".

Doch dürfte Bersani angesichts des Wahl-Patts in den Kammern bereits Probleme haben, überhaupt eine Regierung auf die Beine zu stellen: Italien ist am Tag nach der Wahl einmal mehr unregierbar. Der PD-Sieg bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus ist kaum etwas wert, denn um eine stabile Regierung bilden zu können, wäre auch die Mehrheit im Senat nötig. Hat die Linke aber nicht.

Soll es nun in Italien vorangehen, einem Land, das tief in der Rezession steckt und sich derzeit kaum etwas weniger leisten kann als eine politische Blockade, dann muss das Unmögliche möglich werden: Eines der beiden anderen großen Lager, das 'Fünf-Sterne'-Bündnis von Beppe Grillo oder jenes von Silvio Berlusconi, müsste sich zu einer Zusammenarbeit mit Bersani bereiterklären.

Doch so einfach ist das nicht: Die Akteure müssten alles, für das sie im Wahlkampf und schon lange davor gekämpft haben, über Bord werfen. Bersani will weniger Spektakel. Er will sparen und die Staatsschulden abbauen, Italien als Land konsolidieren.

Berlusconi hingegen wetterte im Wahlkampf gegen das "Diktat der Frau Merkel" und lockte die Wähler mit großen Steuernachlässen. Eine große Koalition scheint unter diesen Voraussetzungen fast unmöglich und würde die politischen Gesetze Italiens neu schreiben.

Beppe Grillo setzte im Wahlkampf vor allem auf Verweigerungshaltung: Von den anderen politischen Akteuren in Italien hält er nichts, seine 'Fünf-Sterne'-Bewegung lehnt alle koalitionären Bindungen ab. Ob das Bündnis von Grillo nun seine Agenda vollkommen ändert, darf bezweifelt werden. Die Forderungen sind extrem; er will, dass Italien aus der Euro-Zone austritt und macht sich für eine direkte Internet-Demokratie stark.

Wie die Kandidaten von 'Fünf Sterne' sich als gewählte Abgeordnete verhalten werden, weiß allerdings niemand. Es sind lokal engagierte, meist junge Leute, die an der Basis aktiv und internetaffin sind.

"Wir müssen nachdenken"

Dass eine Zusammenarbeit grundsätzlich nicht unmöglich ist, zeigt die Regionalregierung in Sizilien. Dort arbeitet der PD-Politiker Rosario Crocetta mit der Protestbewegung zusammen. Er vermutet, die "Grillini" könnten vielleicht auch zum Koalitionspartner der PD in Rom werden.

Bersani gibt sich deshalb pragmatisch. Das Land befinde sich in einer "sehr heiklen Lage", sagte er noch am Wahlabend. Und versprach: "Wir werden die Verantwortung, die diese Wahlen uns gegeben haben, im Interesse Italiens meistern." Auch Berlusconi, der mit seinem Bündnis im Senat die meisten Stimmen erhielt, versprach zumindest in einem TV-Interview: "Italien darf nicht unregiert bleiben, wir müssen nachdenken." Das werde einige Zeit brauchen. Einzig eine Koalition mit dem Zentrumsbündnis des scheidenden Ministerpräsidenten Mario Monti schloss der Milliardär bisher aus.

Wie also kann eine Regierungsbildung aussehen? Die Bündnisse werden Gespräche führen, bei verschiedenen Themen wohl auch Kompromisse finden. Doch es droht eine wochenlange Hängepartie bei der Koalitionsfindung. Vor allem aber könnte das Ergebnis am Ende eine äußerst brüchige Koalition sein, wie Italien sie schon häufiger erleben musste. Klar ist: Für eine stabile Regierung hat das Wahlergebnis weiß Gott nicht gesorgt, Beobachter gehen davon aus, dass kein Bündnis mehr als zwei bis vier Monate halten wird.

Der letzte Ausweg wären: abermals Wahlen. Rom blickt nun auf Staatspräsident Giorgio Napolitano, der sie ausrufen könnte. Doch dass Napolitano dies tun wird, gilt derzeit als unwahrscheinlich. Er tritt am 15. Mai ab. Und der scheidende Präsident darf in den letzten Monaten seiner Amtszeit, dem "semestre bianco", das Parlament nur in absoluten Ausnahmefällen auflösen.

Ist bis Mai das politische Chaos nicht gelöst, steht Italien vor dem nächsten Problem: Der Staatspräsident wird von den vereinigten Kammern des Parlaments gewählt - und auch dazu braucht es Mehrheiten.

Mitarbeit: Andrea Bachstein, Rom

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: