Katalonien:Unabhängigkeitsbefürworter feiern Puigdemont

  • Das Lager der Separatisten in Katalonien verteidigt die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament. Stärkste Partei werden aber die liberalen Ciutadans.
  • Die Wahlbeteiligung lag bei 82 Prozent.
  • Ob es zu einer Abspaltung der Region kommt, bleibt weiter ungewiss.

Von Karin Janker, Barcelona

Auf der Wahlparty der Separatisten werden die Jubelschreie immer lauter. Je näher sich auf der Video-Leinwand die Prozentzahl der ausgezählten Stimmen Richtung 100 bewegt, desto sicherer können sie sich hier fühlen. Hier im Schifffahrtsmuseum von Barcelona feiert am Donnerstagabend die Bürgerbewegung Assemblea Nacional Catalana, Katalanische Nationalversammlung (ANC). Es gibt Serrano-Schinken, Manchego-Käse und Cava, den katalanischen Schaumwein. Der Sieg über ihren erklärten Feind, die spanische Zentralregierung in Madrid, ist jetzt greifbar. Der Jubel deshalb besonders laut, wenn für die Volkspartei PP von Ministerpräsident Mariano Rajoy wieder ein paar Prozentpunkte weniger angezeigt werden.

"Wir wollen unseren Präsidenten zurück, Puigdemont!", entfährt es Linus Puchar, als die neuesten Daten zur Wahl des katalanischen Regionalparlamentes erscheinen. Puchar, 61, ist Gründungsmitglied der ANC. Er hat an diesem Tag für die Wahlliste Junts per Catalunya (JxCat) gestimmt, "Gemeinsam für Katalonien". Darin haben sich Kandidaten zusammengeschlossen, die den von Madrid entmachteten und geflohenen katalanischen Ex-Präsidenten Carles Puigdemont unterstützen. Ihr Wahlkampf-Slogan lautet schlicht "Puigdemont, unser Präsident". Puigdemont führt die Liste JxCat als Spitzenkandidat an, obwohl er derzeit in Brüssel im Exil lebt.

Es war ein erfolgreicher Wahlkampf, wie sich später am Abend endgültig zeigt. Die JxCat hat nicht nur zusammen mit den beiden anderen separatistischen Parteien ERC und CUP die absolute Mehrheit der Parlamentssitze errungen. JxCat ist - entgegen den Vorhersagen - auch noch zweitstärkste Kraft geworden, vor der lange favorisierten Esquerra Republicana de Catalunya (ERC). Die meisten Stimmen holen als Einzelpartei zwar die liberalen Ciutadans, die gegen eine Abspaltung sind, der Block der Unabhängigkeitsbefürworter kommt aber auf 70 Sitze. Für die absolute Mehrheit hätten 68 gereicht.

Als das Ergebnis endlich feststeht, fallen sich die Gäste auf der ANC-Wahlparty um den Hals, manche schwingen katalanische Fahnen. Die Hoffnungen, die ANC-Mitglieder wie Linus Puchar mit der Wahl verknüpft hatten, scheinen sich erfüllt zu haben. "Wir brauchen wieder eine absolute Mehrheit, damit wir nun endlich die Unabhängigkeit voranbringen können", sagt Puchar. Von der Unabhängigkeit "träume ich, seitdem ich 13 Jahre alt bin".

Auch Lara López hat wie viele andere hier für die Puigdemont-Liste gestimmt. Die 43-Jährige ist im gelben Pullover gekommen, der Farbe der Sezessionisten. Sie hätte es respektiert, wenn die Unabhängigkeitsgegner gewonnen hätten, sagt sie. Jetzt aber ist sie in Sektlaune. Die kommende Regierung, "ihr Präsident", die sollen jetzt weiter für die Unabhängigkeit kämpfen. "Auch, wenn das vermutlich Jahre dauert", sagt López. Sie glaubt nicht, dass am Ende ein neues Referendum nötig ist: "Wir hatten ja bereits ein Referendum und dieses Wahlergebnis jetzt ist ebenfalls eindeutig."

Bis zur Unabhängigkeit ist es noch ein weiter Weg - wenn sie denn je erreicht wird. Die ANC von Linus Pechar wird jedenfalls nicht ruhen. Sie ist eine mächtige Organisation, steht parteiübergreifend hinter allen Kräften, die sich für die Abspaltung Kataloniens einsetzen. Ihr Einfluss ist größer, als der der einzelnen politischen Parteien. ANC-Vorsitzender ist Jordi Sànchez, der ebenfalls auf der Liste JxCat antrat. Er sitzt wegen aufrührerischen Verhaltens in Untersuchungshaft.

Der Wahlsieg der Separatisten ist auch ein Sieg für die ANC

Der Madrider Politikwissenschaftler Fernando Vallespín hält die ANC für die am besten organisierte Gruppe von Aktivisten in ganz Europa. "Die ANC verfügt über Zehntausende Mitglieder und ebenso viele Sympathisanten, die leicht zu mobilisieren sind", sagt Vallespín. Wie stark sie ist, hat sie beim Referendum im Oktober bewiesen. Sie hat davor und danach Zehntausende Menschen auf die Straße gebracht. Der jetzige Wahlsieg der Separatisten ist somit auch der ANC zuzuschreiben.

Einen Wermutstropfen allerdings gibt es für die Unabhängigkeitsbefürworter. Als große Einzel-Gewinnerin geht eine andere Partei aus der Wahl hervor: die liberalen Ciutadans/Ciudadanos (Cs). Der Parteiname steht - einmal auf Katalanisch und einmal auf Spanisch - für "Bürger". Die Cs haben mit ihrer umtriebigen Spitzenkandidatin Inés Arrimadas 37 Sitze im Parlament geholt. Und sind damit die stärkste Partei im Parlament.

Im Wahlkampf hat die Partei klar Stellung gegen eine Abspaltung bezogen. Zwar fehlen ihr die Partner, um eine Regierung zu bilden. Aber Arrimadas hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie eine ungemütliche Oppositionsführerin sein kann. Die Cs haben etwa die Anwendung des Artikels 155 unterstützt, mit dem Ministerpräsident Mariano Rajoy die Entmachtung der katalanischen Regierung und die Neuwahl des Parlaments durchgesetzt hat.

Zuvor hatte die Regionalregierung die Unabhängigkeit Kataloniens mittels des Referendums vorangetrieben. Die Wahlbeteiligung war mit 42 Prozent nur gering, davon stimmten aber 90 Prozent für die Unabhängigkeit. Diese hat dann die Regierung mit einer halbgaren Erklärung im Parlament proklamiert. Aus Sicht Madrids war das eine klare Verletzung der Verfassung.

Rajoy wurde abgestraft, er hatte sich verrechnet

Rajoy, das steht nach diesem Wahltag in Katalonien fest, hat sich verkalkuliert. Er hatte gehofft, die "schweigende Mehrheit" der katalanischen Bevölkerung werde die Unabhängigkeitsbewegung beerdigen. Diese Mehrheit gibt es nicht. Die Wahlbeteiligung war dieses Mal sehr hoch, sie lag bei 82 Prozent, sieben Prozentpunkte höher als bei der Parlamentswahl 2015.

Rajoys konservative Volkspartei (PP) wurde für ihre Überheblichkeit abgestraft: Künftig werden von der PP statt elf nur noch drei Abgeordnete im Parlament vertreten sein. Xavier García Albiol, Chef der katalanischen Konservativen, kommentiert das Ergebnis im Fernsehen mit zusammengebissenen Zähnen: "Heute ist ein schlechter Tag für die katalanische PP, aber auch ein schlechter Tag für Katalonien."

Mit dem Wahlergebnis ist die Krise in Katalonien längst nicht gelöst. Gerade der Erfolg der Ciutadans offenbart den tiefen Riss, der durch die Bevölkerung geht. Es gibt daneben noch eine Reihe offener Fragen: Wird JxCat-Spitzenkandidat Puigdemont nach Spanien zurückkehren können, ohne an der Grenze verhaftet zu werden? Der Haftbefehl gegen ihn ist immer noch gültig. Werden ANC-Chef Sànchez, ERC-Spitzenkandidat Oriol Junqueras und die anderen inhaftierten katalanischen Politiker jetzt freigelassen? Und schließlich: Wird das Parlament sich unter diesen Umständen - wie vom Gesetz verlangt - bis zum 23. Januar konstituieren können? Für den Notfall kennt das Gesetz eine Antwort: Falls es bis dahin keine Regierung gibt, bleibt Artikel 155 in Kraft und Katalonien der Verwaltung aus Madrid unterstellt.

Puigdemont wird das auf jeden Fall verhindern wollen. Er meldet sich noch in der Nacht aus Brüssel: "Rajoy und seine Alliierten haben verloren und von den Katalanen eine Ohrfeige bekommen." Und: "Die katalanische Republik hat gewonnen." Wie er diese Republik je erreichen will, sagt er nicht.

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