Wahlrechtsreform:Der Gewinner ist... Renzi

Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi verknüpft die von der Opposition kritisierte Wahlrechtsreform erfolgreich mit der Vertrauensfrage.

Von Oliver Meiler, Rom

Und dann kam der Tag, an dem Blumen durchs italienische Parlament flogen. Viele weiße Chrysanthemen, wie bei einer Beerdigung. Und so waren sie auch gedacht: als Trauergesteck.

Zwei Dutzend Abgeordnete der linken Partei Sinistra Ecologia Libertà warfen also während der Debatte über das neue Wahlrecht Chrysanthemen vor die Bänke der Regierung, wo die Minister sitzen: "Ihr tragt die Demokratie zu Grabe", rief einer von ihnen. "Ihr Schweine!", entfuhr es einem toskanischen Deputierten. Man hörte auch pompöse lateinische Zitate, die an die Politik der Antike gemahnten, dazu krude Obszönitäten aus dem Hier und Jetzt. Auch Referenzen an den Faschismus konnten nicht fehlen, wie immer, wenn die Aula im Palazzo Montecitorio sich zur Arena wandelt. Und diesmal war der Chef der Minister gemeint, Matteo Renzi, der Premier. In den Reihen der rechten Opposition ging die Rede vom "Fascismo renziano", dem "Renzianischen Faschismus".

Natürlich sollte man italienische Politiker nicht immer beim Wort nehmen - gerade wenn sie laut werden. Doch der Kampf um die neuen demokratischen Spielregeln im Land, der da gerade stattfindet, ist echt und virulent. Er hat einen handfesten politischen Hintergrund. Renzi will Italiens chronisch prekäre Regierbarkeit mit einigen Reformen verbessern, ja revolutionieren. Für diesen Zweck soll die Exekutive über einen neuen Wahlmodus gestärkt, die Parteizentralen und die Legislative sollen geschwächt werden. Der Senat, der im Zweikammersystem bisher dasselbe Gewicht hatte wie die Abgeordnetenkammer, soll zurückgestuft werden. So würden sich Gesetze schneller verabschieden lassen. Nach Meinung seiner Kritiker aber bereitet Renzi den Boden, um freier regieren zu können, mit weniger Gegenmacht.

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Pokert hoch, und gewinnt: Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi will mit einer Wahlrechtsreform die Regierbarkeit des Landes verbessern.

(Foto: Angelo Carconi/dpa)

Der heftigste Streit entzündete sich am neuen Wahlgesetz, das am kommenden Montag, spätestens am Dienstag die letzte Hürde nehmen soll - das sogenannte Italicum, eine Kreuzung mehrerer Modelle. Es basiert auf dem Verhältniswahlrecht, kombiniert mit einem originellen Bonussystem für jene Liste, die am meisten Stimmen gewinnt: Erreicht eine Partei oder Koalition auf Anhieb 40 Prozent, wird ihr Sitzanteil im Abgeordnetenhaus automatisch um 15 Prozent aufgestockt; schafft indessen keine Partei 40 Prozent, kommt es zur Stichwahl zwischen den beiden Formationen mit den meisten Stimmen, die dem Sieger dann eine etwas geringere Prämie beschert. Der Mehrheitsbonus soll dafür sorgen, dass eine italienische Regierung fortan auch ohne wacklige Alliierten robust genug ist, um eine Weile zu überleben, idealerweise eine ganze Legislaturperiode lang. Fänden heute Parlamentswahlen nach diesem Modus statt, würde mit großer Wahrscheinlichkeit Renzis Partito Democratico die Prämie gewinnen.

Es ist aber nicht so sehr der Inhalt der Reform, der den Konflikt nährt, sondern die Art, wie Renzi die Vorlage durchs Parlament zwingt. Er verband die Verabschiedung von drei umstrittenen Paragrafen mit ebenso vielen Vertrauensfragen, was zur Folge hatte, dass alle Änderungsanträge auf einen Schlag verwirkt wurden. Freilich: Hätte er eine der Abstimmungen verloren, wäre seine Regierung gestürzt. Renzi ging also ein Wagnis ein, wenigstens formal. Und so wollte er das auch verstanden wissen. "Was ist demokratischer als eine Vertrauensabstimmung", fragte er mehr rhetorisch, "verliere ich, gehe ich nach Hause." Die tatsächliche Gefahr einer Niederlage war aber klein. Seine Mehrheit im Abgeordnetenhaus ist so groß, dass sie bei Bedarf auch den Unmut einiger Dutzend Dissidenten erträgt. Außerdem bangen viele Kollegen um Amt und Posten.

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Am Ende versagten nur 38 Abgeordnete des Partito Democratico, dem der Premier in Personalunion auch als Parteisekretär vorsteht, der eigenen Regierung ihre Stimme. Es waren prominente Figuren darunter, wie der frühere Parteichef Pier Luigi Bersani und der ehemalige Premierminister Enrico Letta. Sie sagen, sie würden ihre Partei nicht wiedererkennen. Doch austreten mögen sie wohl auch nicht. Der alten Garde missfällt, dass der ungestüme Neue ohne sie regiert, sie zuweilen gar etwas verhöhnt. Jedenfalls scheint Renzi ihre innere Opposition nicht zu fürchten, sonst würde er nicht bei jeder Gelegenheit die Kraftprobe suchen. Renzi gewinnt auf ganzer Linie - nicht sehr elegant zwar, aber deutlich.

Im Parlament wächst nun eine lose, parteiübergreifende Koalition aus dem Movimento 5 Stelle, der Lega Nord, Forza Italia und einigen linken Parteien, die das Italicum dem Volk zur Abstimmung vorlegen möchte und hofft, das Gesetz so zu verhindern. Doch Umfragen zeigen, dass die Italiener mehrheitlich hinter Renzis Reformen stehen. Und der könnte die Kampagne vor dem Referendum leicht dazu nutzen, sein Profil als Italiens Erneuerer noch zu schärfen.

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