Teile des neuen Bundestagswahlrechts sind offenbar nicht verfassungskonform. Das geht hervor aus einem vorab veröffentlichten Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das Urteil war eigentlich für den Dienstagvormittag erwartet worden, die Urteilsbegründung ließ sich aber schon am späten Montagabend über die Homepage des Gerichts herunterladen. Inzwischen ist der Link deaktiviert, eine archivierte Version ist aber weiterhin abrufbar.
Zuvor hatte der Spiegel über die kurzzeitig veröffentlichte Gerichtsentscheidung berichtet. Dem Spiegel und der Deutschen Presseagentur zufolge wollte sich das Gericht nicht dazu äußern, ob es sich bei dem Dokument um das Urteil vom Dienstag handelt.
Die Linke und die CDU sowie die CSU hatten gegen die Wahlrechtsreform der Ampelregierung geklagt, die damit das Parlament verkleinern wollte. Gegen das Grundgesetz verstößt dem am Montag veröffentlichten Urteil nach die Streichung der sogenannten Grundmandatsklausel. Die besagt, dass Parteien auch dann in den Bundestag einziehen können, wenn sie unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde bleiben, aber mindestens drei Direktmandate gewonnen haben. Für die nächste Bundestagswahl dürfte also die Grundmandatsklausel wieder gelten.
Für kleinere Parteien ist die Grundmandatsklausel ein wichtiges Instrument, um im Bundestag vertreten zu sein. Die Linke etwa holte bei der letzten Wahl 4,9 Prozent, weil sie aber genügend Wahlkreise gewinnen konnte, war sie bis Dezember 2023 als Fraktion vertreten. Auch für die CSU könnte die Grundmandatsklausel überlebenswichtig sein: Bundesweit kam die Partei 2021 auf 5,2 Prozent und wäre ohne die Klausel auch in ihrer bundespolitischen Existenz bedroht.
Bundesverfassungsgericht:Wahlgesetz auf dem Prüfstand
Mit neuen Regeln zur Bundestagswahl will die Ampel die übergroße Zahl der Abgeordneten verringern. Union, Linke und etliche Wähler haben dagegen geklagt. Von Karlsruhe hängt ab, ob der Gesetzgeber eiligst nacharbeiten muss. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Neben der Entscheidung zur Grundmandatsklausel bestätigt Karlsruhe die Reform der Ampel aber offenbar. Das heißt: Bei der nächsten Bundestagswahl wird es dem Urteil zufolge keine Überhangmandate mehr geben. Überhangmandate entstehen dadurch, dass eine Partei mehr Mandate durch Erststimmen gewinnt, als ihr nach dem Zweitstimmenanteil eigentlich zustehen. Insbesondere CDU und CSU haben von dieser Regelung stark profitiert, weil sie traditionell viele Erststimmen in ihren Wahlkreisen gewinnen. Diese Überhangmandate wurden dann durch sogenannte Ausgleichsmandate aufgewogen, um dem Zweitstimmenanteil gerecht zu werden. Dadurch wuchs der Bundestag in den vergangenen Jahren auf zuletzt 733 Abgeordnete – so viele wie noch nie.
Der Wahlrechtsentwurf der Ampel sieht vor, durch dieses Instrument den Bundestag auf eine Größe von 630 Abgeordneten zu begrenzen. Das bedeutet allerdings auch, dass künftig Politikerinnen und Politiker nicht ins Parlament einziehen könnten, obwohl sie in ihrem Wahlkreis gewonnen haben. Vor allem die Union hatte dagegen gewettert. CDU-Chef Friedrich Merz sagte im April zu der Reform: „Wahlkreismandate werden nicht mehr gewonnen oder verloren, sie werden zugeteilt.“
Offen ist, wie die Ampel nun mit diesem Urteil umgeht. Sie könnte die Grundmandatsklausel wieder einführen oder aber die Sperrklausel von fünf Prozent auf vier oder drei Prozent absenken.