Wahlrechtsreform:Plötzlich 33 Bundestagsabgeordnete weniger aus Bayern

Wahlrechtsreform: Sie lehnen die Wahlrechtsreform der Ampelkoalition ab: CDU-Chef Friedrich Merz (li.) und Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe.

Sie lehnen die Wahlrechtsreform der Ampelkoalition ab: CDU-Chef Friedrich Merz (li.) und Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe.

(Foto: Florian Gaertner/Imago)

Eine Beispielrechnung zeigt, welche besonderen Folgen das von der Ampelkoalition beschlossene Wahlrecht für den Freistaat haben kann.

Von Robert Roßmann, Berlin

Mit der CSU und Bayern ist es ja so eine Sache. Die Christsozialen erwecken gerne den Eindruck, der Freistaat und ihre Partei seien eins. Dabei standen die Alpen schon vor der Gründung der CSU. Wenn Markus Söder jetzt sagt, "das neue Wahlrecht schwächt ganz Bayern und nicht nur die CSU", ist das also zunächst einmal ein Fortschritt. Der bayerische Ministerpräsident unterscheidet ausnahmsweise zwischen Partei und Land. Aber hat er mit seinem Vorwurf auch recht?

Unstrittig ist, dass das neue Wahlrecht der CSU ein Problem bereiten kann. Denn mit ihm wird die Grundmandatsklausel gestrichen. Die Klausel besagt, dass eine Partei, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, trotzdem entsprechend ihrem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag einziehen darf, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewonnen hat. Die Klausel war damit eine Überlebensversicherung für die CSU. Bei der letzten Wahl ist sie bundesweit nur auf 5,2 Prozent gekommen. Da die CSU in Bayern aber fast alle Wahlkreise gewinnt, wäre sie bisher auch dann im Bundestag gesessen, wenn sie einmal unter die Fünf-Prozent-Marke gerutscht wäre.

Das bayerische Innenministerium hat nachgerechnet

Damit ist es jetzt vorbei. Wenn die CSU bei der nächsten Wahl erneut 45 der 46 bayerischen Wahlkreise gewinnen würde, bundesweit aber nur noch auf 4,9 Prozent der Zweitstimmen käme, dürfte kein einziger Christsozialer mehr in den Bundestag einziehen. Aber welche Auswirkungen hätte dieser Fall auf Bayern - und die Zahl der Abgeordneten, die insgesamt aus dem Freistaat in den Bundestag einziehen dürfen?

Anders als das bisherige Wahlrecht sieht das neue Recht nicht mehr vor, dass den Bundesländern Mindestsitzzahlen entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil zugeteilt werden. Künftig werden die Mandate der Parteien in einem zweistufigen Verfahren ermittelt: Erst wird der bundesweite Sitzanspruch der Parteien festgestellt, dann wird dieser bundesweite Anspruch auf die Landeslisten der Parteien verteilt. Die Zahl der Sitze, die einer Landesliste zusteht, bestimmt sich dabei nach dem Anteil an den bundesweiten Zweitstimmen ihrer Partei. Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung hat das bayerische Innenministerium berechnet, wie sich das genau auf die Zahl der bayerischen Abgeordneten im Bundestag auswirkt.

Wenn die CSU bei der letzten Bundestagswahl statt auf 5,2 nur auf 4,9 Prozent gekommen wäre, und alle anderen Parteien unverändert abgeschnitten hätten, wäre die CSU im Freistaat demnach auf 36 Sitze gekommen, die SPD auf 21, die Grünen auf 17, die FDP auf 13 und die AfD auf 11 Sitze. Insgesamt wären also 98 Abgeordnete aus Bayern in den Bundestag eingezogen.

Nur drei der 36 Sitze, die die CSU verlieren würde, blieben bei Parteien in Bayern

Da die Ampelkoalition im Rahmen ihrer Wahlrechtsänderung zusätzlich aber auch die Grundmandatsklausel gestrichen hat, hätte die CSU nicht mehr in den Bundestag einziehen dürfen, ihr Anspruch auf die 36 Sitze wäre entfallen. Von diesen 36 Sitzen wären laut der Rechnung des Innenministeriums zwei an die bayerische SPD gefallen und einer an die bayerischen Grünen - der Rest wäre in andere Bundesländer gegangen. "Insgesamt wären damit nur 65 Abgeordnete aus Bayern in den Bundestag eingezogen, Bayern wäre daher mit 33 Abgeordneten weniger im Bundestag vertreten gewesen", schreibt das Innenministerium. Derzeit stellt Bayern übrigens 117 Bundestagsabgeordnete.

Aber was sagen die Wahlrechtsexperten der Ampelkoalition in Berlin zu der Rechnung? Till Steffen ist parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, er hat für seine Partei das neue Wahlrecht verhandelt. Und er bestreitet die möglichen Auswirkungen auf Bayern gar nicht. Auf die Frage der SZ, ob es hinnehmbar sei, dass ein Bundesland auf diese Weise unterdurchschnittlich im Bundestag vertreten sein könne, antwortet Steffen: "Wenn eine Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, dann ist der Teil der Bevölkerung, der diese Partei gewählt hat, nicht im Bundestag vertreten - egal ob bezüglich der Weltanschauung oder auch regionaler Angehörigkeit."

Die Ampel bringt eine Listenverbindung ins Spiel, die CSU lehnt das ab

Gerade bei der regionalen Vertretung stelle eine derartige Verzerrung "aber weniger ein Problem dar, da hier durch den Bundesrat die regionalen Besonderheiten bei der Gesetzgebung berücksichtigt werden" - und "dies sogar besser als durch eine einzige Regionalpartei, die dort allenfalls nur einen Ausschnitt der Bevölkerung vertritt".

Außerdem sei er sich sicher, "dass die CSU einen Weg finden kann und wird", in dem das Szenario nicht eintrete, sagt Steffen. Die Ampel habe sich "zudem offen für den Vorschlag einer Listenverbindung gezeigt". Die CSU könnte dann eine derartige Verbindung mit der CDU eingehen und müsste sich keine Sorgen mehr wegen der Fünf-Prozent-Hürde machen. Deshalb seien die Berechnungen "unwahrscheinliche Gedankenspiele einer Partei im Wahlkampf". Sebastian Hartmann, der das Wahlrecht für die SPD verhandelt hat, argumentiert ähnlich. Er sagt: "Beispielrechnungen sind aufgrund willkürlich gesetzter Rahmenbedingungen nicht seriös zu beurteilen - Fakt ist, dass die CSU in bislang jeder bundesweiten Wahl mehr als fünf Prozent erzielt hat."

Die beiden Unionsparteien lehnen eine Listenverbindung, wie sie Till Steffen ins Spiel bringt, jedoch ab. CSU-Chef Söder sagt, es sei "eine Unverschämtheit, dass die Mehrheit im Bundestag darüber entscheiden will, wie sich Oppositionsparteien organisieren - das ist übergriffig und mit unserem Selbstverständnis nicht vereinbar".

Konstantin Kuhle hat das neue Wahlrecht für die FDP verhandelt. Bei der Verabschiedung des Gesetzes hat der stellvertretende FDP-Fraktionschef im Bundestag gesagt, die CSU müsse jetzt "damit klarkommen, dass es auf der Welt und in diesem Land auch mal einen einzigen Tag gibt, an dem es nicht um die CSU geht, sondern um dieses Land - und heute ist dieser Tag". Doch inzwischen klingt Kuhle deutlich konzilianter. Auf Nachfrage der SZ, was er von den möglichen negativen Auswirkungen des neuen Wahlrechts auf Bayern halte, lässt sein Büro ausrichten: "Wenn die CSU befürchtet, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern, sind wir auf Grund der Bedeutung der Stimmen der Wählerinnen und Wähler auch weiterhin bereit, nach einer Lösung zu suchen."

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