Süddeutsche Zeitung

Wahlprogramm:Die trügerische Eintracht der Union

  • CDU und CSU sind sich in vielen Punkten mindestens so uneinig über ihr Wahlprogramm wie die SPD über das ihre.
  • Trotzdem dringt kaum Streit nach außen - Merkel und Seehofer zelebrieren den scheinbaren Unionsfrieden sogar bei gemeinsamen Auftritten in München.
  • Dabei gibt es bei Themen wie Steuern, Doppelpass oder Mütterrente noch großen Klärungsbedarf - von der Obergrenze ganz zu schweigen.

Von Robert Roßmann

In diesen Tagen kann man ein erstaunliches Phänomen beobachten. Die Union ist in vielen Punkten mindestens so uneinig über ihr Wahlprogramm wie die SPD über das ihre. Aber die Schlagzeilen werden von den Differenzen der Sozialdemokraten dominiert. CDU und CSU erscheinen dagegen auf einmal wieder als einträchtige Schwestern. Angela Merkel und Horst Seehofer zelebrieren den Unionsfrieden bei gemeinsamen Auftritten in München. Sogar vom ewigen Streit um die Obergrenze ist in den Nachrichten kaum noch etwas zu hören. Wie kann das sein?

Die Erfolge bei den Landtagswahlen und die traditionelle Machtkälte der Union tragen natürlich zur neuen äußeren Ruhe der Union bei: Wenn es um etwas geht, rückt sie zusammen. Mindestens genauso wichtig ist jedoch, dass CDU und CSU mit ihrem Wahlprogramm anders umgehen als die Sozialdemokraten. Zum einen bereitet die Union die Präsentation ihres Programms organisatorisch deutlich besser vor, als es die Genossen tun. Zum anderen wird in der Union nicht so transparent über die Inhalte debattiert wie in der SPD.

Die Sozialdemokraten wollen ihr Programm auf einem Parteitag am 25. Juni beraten und beschließen. Die Antragsfrist dafür endet an diesem Dienstag um 24 Uhr. Da lässt sich kein Problem verstecken. Bei der Union werden dagegen alle wichtigen Vorentscheidungen über das Wahlprogramm im kleinen Kreis getroffen. Weder CDU noch CSU halten es für nötig, das gemeinsame Wahlprogramm von einem Parteitag billigen zu lassen.

Über die Ergebnisse des Gesprächs vereinbarten sie Stillschweigen

Am Sonntag haben sich im Konrad-Adenauer-Haus alle getroffen, auf die es in der Union gerade ankommt. Die Parteichefs Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU), die Generalsekretäre Peter Tauber (CDU) und Andreas Scheuer (CSU), Kanzleramtsminister Peter Altmaier, Unionsfraktionschef Volker Kauder, Finanzminister Wolfgang Schäuble (alle CDU), Verkehrsminister Alexander Dobrindt, Bayerns Staatskanzleichef Marcel Huber und der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (alle CSU) berieten hinter verschlossenen Türen. Über die Ergebnisse des Gesprächs vereinbarten sie Stillschweigen. Kurz vor Pfingsten will sich die Runde noch einmal treffen. Dann soll es auch wesentliche Festlegungen geben, am Sonntag war die Runde noch stark mit dem Verteilen von Prüfaufträgen beschäftigt.

Offiziell beschlossen werden soll das Wahlprogramm der Union dann bei einer gemeinsamen Vorstandssitzung von CDU und CSU am 1. und 2. Juli. Wenn es so läuft wie vor der vergangenen Bundestagswahl, werden die Vorstandsmitglieder erst kurz vor der Sitzung einen vorher abgeklärten Programmentwurf zugeschickt bekommen. Viel Zeit für Debatten oder gar offenen Widerspruch bleibt dann nicht mehr. Das Programm dürfte in einer von Harmonie getränkten Vorstandssitzung ohne ernsthafte Debatte einstimmig beschlossen werden. SPD-Vorstandsmitglieder würden sich derlei vermutlich nicht gefallen lassen.

In der Union verteidigen sie das Verfahren damit, dass CDU und CSU nun mal zwei Parteien seien und es deshalb schon organisatorisch schwierig sei, ein gemeinsames Programm von Delegierten billigen zu lassen. Was sollte man tun, wenn der eine Parteitag noch Änderungswünsche hätte, denen der andere aber nicht folgen will? Müssten dann zwischen gleichzeitig tagenden CDU- und CSU-Parteitagen Emissäre hin- und herrennen? Außerdem verweist die Union darauf, dass die Parteispitze ihren Wahlprogrammentwurf ja nicht freihändig formuliere. Grundlage seien schließlich auch eine Vielzahl von Beschlüssen der zuständigen Bundesfachausschüsse oder anderer Parteigremien.

Derzeit tagt in München etwa die Konferenz aller Fraktionsvorsitzenden der Union. An diesem Dienstag wollen sie Beschlüsse zur inneren Sicherheit und zur Wirtschaftspolitik präsentieren. Die Entwürfe lagen am Montag bereits vor - in den strittigen Punkten waren sie jedoch nicht ausreichend konkret. Am Ende werden die Knackpunkte ohnehin die Partei-Granden von CDU und CSU im Alleingang entscheiden.

Dabei hat die Union noch ziemlichen Klärungsbedarf. Die CSU und der Wirtschaftsflügel der CDU wünschen sich Steuersenkungen von bis zu 30 Milliarden Euro, Seehofer hat am Wochenende bereits eine "wuchtige Steuerreform" versprochen. Merkel und Schäuble haben sich aber gegen Steuersenkungen von mehr als 15 Milliarden Euro ausgesprochen.

Ähnlich groß sind die Unterschiede beim Doppelpass. Der CDU-Parteitag hat sich für eine Verschärfung der Regeln ausgesprochen, die CSU will das auch, Merkel sieht dagegen keinen Änderungsbedarf. Und im Streit um die Obergrenze in der Flüchtlingspolitik und die Einführung bundesweiter Plebiszite gibt es erst recht keine Einigung zwischen Merkel und Seehofer.

Auch in der Familienpolitik ist unklar, was die Union genau will. Sicher ist lediglich, dass sie Familien deutlich entlasten will. Aber der Weg ist noch offen. Das zeigt sich etwa am Streit um die Mütterrente. Die CSU will Mütter generell besserstellen, der Arbeitnehmerflügel der Union dagegen lieber gezielt Müttern mit sehr niedrigen Rentenansprüchen helfen. Kurzum: In der Union ist noch vieles strittig. Weil CDU und CSU sich aber entschieden haben, ihre Differenzen intern zu klären und sich bisher fast alle daran halten, merkt davon kaum einer was.

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SZ vom 23.05.2017/fie
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