Süddeutsche Zeitung

Wahlkampf:Wahlplakate sind altbacken, aber erfolgreich

Immer wieder wird diskutiert, ob es sich noch lohnt, Wahlplakate aufzuhängen - insbesondere angesichts der zunehmenden Digitalisierung. Doch sie sind offenbar besser als ihr Ruf.

Von Boris Herrmann, Berlin

Wahlplakate stehen im Ruf, aus der Zeit gefallen zu sein. Alle vier Jahre vor Bundestagswahlen lassen die deutschen Parteien Millionen von ihnen aus Pappe und Kunststoff herstellen. Sie bekleben, bekleistern und betackern damit die Straßenlaternen, die Verkehrsinseln und die Ortseinfahrten, größtenteils mit Sprüchen, an die sich bald niemand mehr erinnern kann. Oder mit Versprechen, an die sie bald nicht mehr erinnert werden wollen.

Nur die wenigsten dieser Motive schaffen es wie Konrad Adenauers "Keine Experimente" ins kollektive Gedächtnis der Nation. Für die meisten ist es schon ein Achtungserfolg, wenn sich die Leute wenigstens über sie lustig machen, so wie über die CDU-Plakate des vergangenen Jahres, die aussahen, als seien sämtliche Kandidaten zum Fotoshooting in eine Wäschetrommel gesteckt worden.

Kurz nach dem Wahltag stellt sich dann schon wieder die Entsorgungsfrage, denn die Recyclingquote im Wahlplakatbereich ist noch ausbaufähig. Die Debatte, ob solch eine Materialschlacht in Zeiten, in denen sich sogar Deutschland allmählich der Digitalisierung zuwenden will, nicht eine überholte Kulturtechnik darstellt, ist zum festen Bestandteil von Bundestagswahlkämpfen geworden.

92 Prozent erinnern sich, mindestens ein Wahlplakat wahrgenommen zu haben

Eine Befragung des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung kommt nun zu dem Ergebnis, dass sich der Aufwand trotzdem lohnt. Demnach erinnern sich 92 Prozent der Deutschen daran, im Bundestagswahlkampf 2021 mindestens ein Wahlkampfplakat wahrgenommen zu haben. Plakate liegen damit mit großem Abstand vor allen anderen abgefragten Wahlwerbeformen - und zwar unabhängig vom Alter der Betrachter oder von der Farbe der werbenden Partei. "Das Plakat bleibt wichtig. Es ist altbacken. Es ist langweilig. Es ist erfolgreich", sagt der Wahlforscher Jochen Roose von der Adenauer-Stiftung.

Auf dem zweiten Platz landete der womöglich ebenfalls etwas voreilig totgesagte Brief. An Postwurfsendungen von Parteien erinnern sich immerhin noch 65 Prozent der Befragten. Auf den weiteren Plätzen folgen der Straßenstand im Wahlkampf (57 Prozent) und die Printanzeige (39 Prozent). An Wahlwerbung in sozialen Medien kann sich dagegen nur ein Drittel der Deutschen erinnern, wobei das Erinnerungsvermögen hier mit zunehmendem Alter abnimmt. Die E-Mail schafft es gerade so über die Fünf-Prozent-Hürde, was wohl auch damit zusammenhängt, dass die Parteien ohne Einverständnis der Empfänger keine Mails verschicken dürfen. Unterm Strich lässt sich festhalten, dass Wahlkämpfe in Deutschland immer noch erstaunlich analoge Veranstaltungen sind. Nahezu jeder Sechste erinnert sich an mindestens einen Wahlkampfbesuch an der Haustür.

Für die Studie wurden 4000 Deutsche per Telefon gefragt, auf welchen Kanälen sie vor der Bundestagswahl 2021 von der Werbung der Parteien erreicht wurden. Die Umfrage beantwortet indes nicht, welche Werbeform die Wähler wie stark überzeugt hat. Dass jemand ein Plakat wahrnimmt, heißt nicht zwingend, dass er es auch versteht. Trotzdem dürfen die Partei daraus zwei Lehren ziehen: Schreib mal wieder. Und: Kleister noch ein bisschen weiter.

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