Drei Wochen vor der Bundestagswahl tobt der Kampf um Wählerstimmen. Kein Wunder: Erfahrungsgemäß sind viele Wählerinnen und Wähler noch unentschlossen. Als Deutschland im Jahr 2021 einen neuen Bundestag wählte, traf laut einer repräsentativen Umfrage, die das Redaktionsnetzwerk Deutschland veröffentlichte, jeder Zweite erst in den letzten vier Wochen vor der Abstimmung seine endgültige Entscheidung. Weil nur wenige Lust und Muße haben, sich durch die Wahlprogramme zu quälen, erfreut sich der sogenannte Wahlomat der Bundeszentrale für politische Bildung immer größerer Beliebtheit: Seit 2002 stellt er Nutzern Thesen zu den wichtigsten Politikfeldern vor, denen sie zustimmen oder die sie ablehnen können. Anschließend zeigt er, mit welcher Partei sie laut Wahl- und Parteiprogramm die größte Schnittmenge haben. Vor der Bundestagswahl 2021 wurde der Wahlomat 21,3 Millionen Mal genutzt – ein Rekordwert. In diesem Jahr soll er am 6. Februar freigeschaltet werden.
Nun gibt es eine Ergänzung. Das Projekt „Frag den Staat“, das zur gemeinnützigen Organisation Open Knowledge Foundation gehört und sich für Informationsfreiheit einsetzt, hat mit weiteren Nichtregierungsorganisationen wie Abgeordnetewatch ein Onlinetool entwickelt, das selbstbewusst an das beliebte Vorbild anknüpft: den „Realomat“. Auch dieser bietet eine Auswahl an Thesen, die man bewerten kann. Die Auswertung zeigt dann die Übereinstimmung mit den bisher im Bundestag vertretenen Parteien. Hier liegt ein erster gravierender Unterschied zum Wahlomat, der die Aussagen aller zur Wahl zugelassenen Parteien vergleicht. Noch entscheidender ist aber, dass der Realomat nicht mit Wahlprogrammen arbeitet, sondern das bisherige Abstimmungsverhalten der Parteien zu bestimmten Themen analysiert.
Beim Realomat werden 20 Thesen vorgestellt und bewertet. Es geht um Taurus-Lieferungen an die Ukraine, die Aussetzung der Schuldenbremse, eine Erhöhung des Mindestlohns. Dass der Realomat die Politik der vergangenen vier Jahre analysiert, wirkt sich auf die Themenauswahl aus. Eine der Thesen fragt zum Beispiel nach der Zustimmung zu einer allgemeinen Impfpflicht für Beschäftigte in Alten- und Pflegeheimen, um die Corona-Pandemie einzudämmen.
Entscheidungsfindung, basierend auf Realpolitik
Wer realistisch einschätzen will, wie Wahlkampfversprechen umgesetzt werden, müsse die Politik der vergangenen Legislatur analysieren, sagen die Initiatoren von Frag den Staat. In einem sogenannten Koalitionstracker hatten sie zuletzt überprüft, wie viele messbare Vorhaben die Ampelregierung aus dem Koalitionsvertrag verwirklicht hat: 71 von 271.
Beim Realomat können nach der Auswertung zu jeder These die Standpunkte der Parteien sowie ihr reales Abstimmungsverhalten eingesehen werden. Das Tool stellt auch die Begründungen der Parteien bereit: Beschlussempfehlungen, Gesetzesentwürfe, Anträge und Plenarprotokolle sind verlinkt.
„Wir möchten keine Wahlempfehlung aussprechen, sondern ein Informationsangebot sein“, sagt Michelle Trimborn, die das Tool mitentwickelt hat. Als Datengrundlage wurden ausschließlich Bundestagsdokumente genutzt, Transparenz habe oberste Priorität.
Ein weiteres Tool: Wollen Sie wissen, wie Ihre eigenen Positionen mit denen der Parteien übereinstimmen? Machen Sie hier den wissenschaftlichen Test der Universitäten Potsdam, Greifswald, Mannheim und der TU Darmstadt unter party-check.org.