Wahl in Sachsen und Thüringen:Migration, Frieden. Und sonst so?

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Wahlplakate an einem Laternenmast am Stadtrand von Döbeln. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Was erwarten die Bürger von der Landespolitik in Dresden und Erfurt? Im Wahlkampf hat das nur am Rande eine Rolle gespielt.

Von Johannes Bauer, Dresden/Leipzig

Noch sahen sie die Chance, etwas ändern zu können. In einem offenen Brief prangerten 17 Landräte und Oberbürgermeister aus Thüringen eine Wählertäuschung an. Die liege vor, wenn Parteien und ihre Spitzenkandidaten den Bürgern im Wahlkampf suggerierten, dass diese Wahl die Fragen von Krieg und Frieden entscheide. Ihr Urteil: Themaverfehlung. Schließlich falle das in den Bereich der Außen- und Verteidigungspolitik und damit nicht in die Kompetenz einer Landesregierung. Stattdessen forderten die Unterzeichner des Briefs, „dass die Parteien und Spitzenkandidaten Thüringer Antworten auf Thüringer Themen geben“.

Eine Woche ist das Schreiben alt. Entstanden noch vor dem mutmaßlich islamistischen Messeranschlag in Solingen, bei dem drei Menschen gestorben sind. Dass es sich bei dem Tatverdächtigen um einen Syrer handelt, der seiner Abschiebung entging, verschärfte die Migrationsdebatte, die in diesem Wahlkampf von Anfang an eine große Rolle gespielt hatte. Die Bundesregierung reagierte schnell und kündigte verschärfte Regeln für Flüchtlinge an. In Thüringen und auch in Sachsen ist seitdem der Umgang mit Migration noch vor der Friedensfrage das bestimmende Thema im Wahlkampfendspurt.

Eine härtere Abschiebepolitik – da sind sich fast alle einig

Am Montag sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in Dresden, dass die „Zahl der Schutzsuchenden“ zu hoch sei. Er verwies auf die mehr als 300 000 Flüchtlinge, die 2023 nach Deutschland kamen. Nur 30 000 jährlich sollten es in den kommenden Jahren sein, forderte er: „Damit Integration möglich ist.“ Mit dieser Zahl ist Kretschmer schon lange im Wahlkampf unterwegs. Ebenso mit der Forderung nach einer eigenen sächsischen Grenzpolizei, wie Bayern sie 2018 eingeführt hat. Auch Sabine Zimmermann, die Spitzenkandidatin des BSW in Sachsen, nahm am Mittwoch in Dresden Bezug auf das Attentat in Solingen: „Wir brauchen eine konsequente Abschiebepolitik“, forderte sie. Es ist eine Position, die inzwischen fast alle Spitzenkandidaten in Sachsen und Thüringen vertreten.

BSW-Parteichefin Sahra Wagenknecht, die mit Zimmermann auf der Bühne stand, sprach auch das Thema Renten an und führte die steigende Altersarmut auf ein „besonders schlechtes Rentensystem“ zurück. Deutschland solle es machen wie Österreich, forderte sie, wo es eine gemeinsame Alterssicherung für Angestellte, Beamte und Selbständige gibt. So könne man Rentnern ein Altern in Würde finanzieren. Es ist zwar kein rein landespolitischer, aber ein konkreter Vorschlag im Vergleich zu den diplomatischen Bemühungen, die Wagenknecht auch bei ihrer Rede auf dem Dresdner Schlossplatz forderte, um den Ukrainekrieg zu beenden. Wie Verhandlungen gelingen könnten, führte Wagenknecht nicht näher aus. Stattdessen zeichnete sie über Waffenlieferungen ein düsteres Bild, wonach diese zu einem „neuen Wettrüsten“ führten und Deutschland „immer mehr selbst zur Kriegspartei“ machten.

Wie kräftig will Wagenknecht in den Ländern mitmischen?

Durch seine Haltung zum Ukrainekrieg wurde das BSW zuletzt selbst zum Thema im Wahlkampf. Zwar schneidet die neue Partei in Umfragen gut ab, und während in Sachsen eine erneute schwarz-rot-grüne Kenia-Koalition zumindest rechnerisch möglich erscheint, ist in Thüringen eine Neuauflage von Rot-Rot-Grün nahezu ausgeschlossen. Dort dürfte es schwierig werden, eine Regierung am BSW vorbei zu bilden. Mario Voigt, Spitzenkandidat der CDU, stört sich allerdings an Bedingungen, die Wagenknecht für Koalitionsverhandlungen genannt hat: Die künftige Regierung müsse sich etwa für einen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine einsetzen. Außerdem möchte sie an den Verhandlungen persönlich teilnehmen, obwohl Katja Wolf die thüringische Spitzenkandidatin des BSW ist. „Ich verbitte mir eine solche Einmischung“, sagte Voigt der Welt.

Daneben ging es, wie im Brief der Kommunalpolitiker gefordert, im Wahlkampf aber schon auch um Thüringer Themen. Zum Beispiel um Bildung, einen Klassiker im Wahlkampf. In einer TV-Debatte rechnete Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) vor, man habe in den vergangenen zehn Jahren 7500 Lehrer eingestellt. Trotzdem hat das Land weiter mit Lehrermangel und Unterrichtsausfall zu kämpfen. Björn Höcke präsentiere dafür keine Lösungsvorschläge, stattdessen erklärte der AfD-Spitzenkandidat, dass Integration und Inklusion die Schulen überlasten würden. Eine Behauptung, die ein Faktencheck des MDR tags darauf widerlegte.

Beim Thema Energie sind sich die sächsischen Parteien einig, dass diese für Industrie und Verbraucher bezahlbar sein soll. Den Weg dorthin bewerten sie allerdings ganz unterschiedlich. Katja Meier, Spitzenkandidatin der Grünen, lobt, dass man sich von den „Putin’schen Gasfesseln“ befreit und „so viel wie noch nie“ auf Solar- und Windkraft gesetzt habe. Diesen Weg müsse man weitergehen, sagte sie bei einer Wahldebatte. Kretschmer sagt dagegen, er sehe die Energiewende in ihrer aktuellen Form als gescheitert an. Der Strompreis sei zu hoch und gefährde Unternehmen und den sozialen Frieden. Darum müsse man darüber sprechen, „dass nach dem Krieg wieder russisches Gas möglich ist“. Wie Kretschmer beklagt auch der AfD-Landesvorsitzende Jörg Urban eine Deindustrialisierung, weil Deutschland auf Atom- und Kohlestrom verzichte: „Die hohen Energiepreise sind ein Grund, warum Unternehmen aus Deutschland weggehen.“

Eine Debatte über Löhne hätte womöglich der SPD geholfen

Migration, Frieden und Energie spielten im Wahlkampf in Sachsen und Thüringen eine große Rolle, mit Abstrichen auch Bildung, Rente Fachkräftemangel und die Schließung von Krankenhäusern. Eine nennenswerte Debatte über die Angleichung der Löhne in Ost und West oder über einen höheren Mindestlohn fand hingegen nicht statt. Davon hätten wohl vor allem SPD und Linke profitiert. Noch weniger Aufmerksamkeit bekam der Klimaschutz. So gab es mit Ausnahme der AfD zwar von allen Parteien das Lippenbekenntnis, dass man Klimaschutz brauche. Sie verzichteten aber darauf, die Wähler auf Einschränkungen einzuschwören. Zu abschreckend wirkt das Beispiel der Grünen, die im Osten wegen des missglückten Heizungsgesetzes viel Ablehnung erfahren und auch deshalb um den Einzug in die Landtage bangen müssen. Das wiederum war ein Thema, das CDU, BSW und AfD im Wahlkampf gern bespielten.

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