Wahlkampfmanager Jim Messina:Obamas Super-Stratege verrät seine Taktik

Wie gewinnt man Wahlen? Obamas Wahlkampfmanager Jim Messina weiß es - und erklärt es nun der Öffentlichkeit: Wie das Obama-Camp Datenberge auswertete, welche Fehler Romney machte und warum Steven Spielberg den besten Tipp parat hat.

Matthias Kolb, Washington

Einen Helden stellt man sich anders vor. Jim Messina trägt seine Haare seitengescheitelt und blickt aus müden Augen ins Publikum. Die Washingtoner Politik-Nerds verehren Obamas Wahlkampfmanager und lauschen gebannt, wie er über Data Mining, Romneys Fehler und Tipps von Steven Spielberg spricht. Messina betont jedoch eins: Wenn die Freiwilligen und die Wähler nicht weiter an den US-Präsidenten geglaubt hätten, wäre auch die beste Technik machtlos.

Für sein erstes TV-Interview nach der Wahl hat sich der Datenfreak mit einem anderen stillen Helden des Washingtoner Politbetriebs verbündet. Der 1969 geborene Messina stellt sich bei einem "Politico Playbook Breakfast" den Fragen von Mike Allen, einem ähnlich unscheinbaren Mann mit Halbglatze und kleiner Brille.

Doch Allen, der bei Politico den Titel "Senior White House Correspondent" trägt, ist einer der wichtigsten US-Journalisten und verschickt jeden Morgen seinen Newsletter "Playbook", der in DC als Pflichtlektüre gilt. Im obersten Stockwerk des Nobelhotels W, einen Block vom Weißen Haus entfernt, präsentiert Messina seine Lehren aus der teuersten Wahl aller Zeiten. "Wir haben die Technik des 21. Jahrhunderts genutzt, um die altbewährten Strategien noch wirksamer zu machen", sagt er vor etwa 300 Zuhörern (hier ein Foto).

"Freiwillige sind viel motivierter"

Es habe sich gelohnt, die besten Techniker anzuheuern, denen es gelang, die 2008 gewonnenen Daten mit den von den Freiwilligen gesammelten Informationen zu kombinieren. Vor vier Jahren sei die Online-Welt, in der 500 Millionen Dollar Spenden eingeworben wurden, von der Offline-Kampagne getrennt gewesen - nun griff alles in einander (Hintergründe in diesem Wahlblog-Beitrag). "Die Freiwilligen sind viel motivierter, wenn sie keine Zeit verschwenden, sondern viele Erfolgserlebnisse haben", so Messina, der sich als treuer Diener seines Herren zeigt.

Barack Obama habe Mitt Romney besiegt, weil die Wähler und die freiwilligen Helfer an ihn geglaubt hätten, versichert Messina: "Es kommt auf den Kandidaten und die Botschaft an." Die Menschen hätten sich nicht wegen eines sexy T-Shirts engagiert ("das haben sie auch gekriegt"), sondern weil sie dem Präsidenten vertrauen. Ein dezenter Hinweis auf die Frage, die viele bewegt: Lässt sich der von "Obama for America" gesammelte Datenberg für andere Kandidaten nutzen, beziehungsweise die Strategie übertragen?

Technik-Nerds, die ihm wie Aliens vorkamen

Messina, der bis Anfang 2011 im Weißen Haus arbeitete, bevor er sich an das Projekt Wiederwahl machte, ist überzeugt, dass sich jede Kampagne neu erfinden müsse. Als Kronzeugen nennt er Hollywood-Regisseur Steven Spielberg: "Du musst vergessen, was 2008 war. Die Rolling Stones waren auch nur 1965 richtig heiß. Wenn du nichts änderst, dann verkaufst du nur zu teure Tickets."

Ein anderer Tipp kam von Google-Chef Eric Schmidt, der empfahl, Techniker anzuheuern, die von Politik keine Ahnung hätten: "Ihr sagt, was ihr haben wollt, und die werden euch das bauen." Also heuerte Messina Tech-Nerds an, die ihm wie Aliens vorkamen - und die ähnlich über ihn dachten. Aber, so der Stratege, auch die Nerds hätten auf hohe Gehälter verzichtet, weil sie an Obama glaubten.

Wie Messina die Romney-Kampagne bewertet

Es habe sich als Vorteil erweisen, dass das Hauptquartier in Chicago und nicht in Washington eingerichtet wurde, meint Messina. Nur so habe das Team, das in der Hochphase aus 4000 Angestellten bestand, ungestört daran arbeiten können, die größte Graswurzel-Bewegung aufzubauen, noch mehr neue Wähler zu registrieren und diese zur Stimmabgabe zu bewegen.

Trotz aller E-Mails und dem Einsatz von Facebook und Twitter sei es am effektivsten gewesen, wenn Nachbarn, Freunde oder Bekannte unentschlossene Bürger in ein persönliches Gespräch verwickelten. "Die Haustür ist der magische Ort, an dem du jeden Wähler erreichst", schwärmt Messina. Die negative Dauer-Werbeflut der Kampagnen führe dazu, dass persönliche Kontakte immer wichtiger würden - und mit der eigens entwickelten Dashboard-App hätten die Freiwilligen ("grassroots army") stets über gute Argumente und Informationen verfügt.

Weil das Gespräch mit Mike Allen in Washington stattfindet, muss Messina auch zu den Gegenkandidaten Stellung nehmen. Zunächst sagt er, dass er Romney nicht für den besten Kandidaten der Republikaner hielt: "Ein Wahlkampf gegen Jon Huntsman wäre sicher am schwierigsten gewesen." Utahs pragmatischer Ex-Gouverneur, den Obama als Botschafter nach China schickte, hatte jedoch bei der radikalisierten Basis keine Chance.

Für Romney hat Messina einige anerkennende Worte ("exzellente Leistung im Spendensammeln"), aber auch Kritik. Als dessen größten Fehler nennt er weder das 47-Prozent-Video noch die Scheu, die frühen Charakter-Attacken des Obama-Lagers auf den Multimillionär gekontert zu haben, sondern den Werbespot, der behauptete, Jeep wolle Arbeitsplätze nach China verlagern (Details hier): "Es war eine Lüge, und so waren sie die letzten beiden Wochen im Mittleren Westen in der Defensive."

"Ich kann nich glauben, dass sie das wirklich tun"

Wie er auf die Kür von Paul Ryan reagiert habe, will Allen wissen. Messina erinnert sich an seinen ersten Gedanken: "Ich kann nicht glauben, dass sie das wirklich machen." Doch der für seine radikalen Sparpläne bekannte Ryan habe zwar die konservative Basis euphorisiert, doch auch zu vielen für die Republikanern ungewollten Diskussionen über Kürzungen geführt. Messinas Fazit: Der Stellvertreter hat Romney weder geholfen noch geschadet.

Nicht alles, was Messina verrät, ist neu, doch aus dem Mund des Strategen wirken Aussagen wie "Online-Werbung wird in den nächsten Wahlkämpfen immer wichtiger" wie Gesetze. Am ärgerlichsten wird Messina, als es um die Umfrage-Institute geht (Hintergründe hier). Viele Demoskopen seien zu faul oder zu geizig, um Mobiltelefone anzurufen (diese dürfen nicht per Automatik angewählt werden), weshalb in den Erhebungen immer zu wenige Junge und zu wenige Angehörige von Minderheiten vertreten gewesen seien.

Eine Woche Urlaub in fünf Jahren

Das Obama-Team setzte eigene Analysten ein, die jeden Abend Tausende Wähler befragten - die Ergebnisse landeten morgens in Messinas Email-Postfach. "Ich habe gelacht, als Suffolk bekannt gab, dass sie keine Umfragen mehr in Florida und Virginia machen werden, weil Obama keine Siegchance mehr habe", sagt er - und gibt dann doch ein wenig an. Bekanntlich sei es ja anders gekommen und seine Demoskopen hätten das Ergebnis in Florida auf 0,2 Prozentpunkte genau prognostiziert.

Das Publikum folgt Messina bei diesen Ausführungen ebenso gebannt wie bei seinen privaten Plaudereien. Bald werde er über seine Zukunft nachdenken, die weiter mit Obama zu tun habe - aber wohl eher außerhalb des Weißen Hauses liege. In den letzten fünf Jahren habe er nur eine Woche Ferien machen können, weshalb er sich auf einen Monat in Italien freue, so Messina. Dort werde er sich seinem neuen Hobby widmen: "Es ist diese wunderbare Sache, die man Schlafen nennt."

Der Autor twittert unter @matikolb.

Linktipp: Einige Videoausschnitte des Gesprächs zwischen Messina und Mike Allen sind auf der Website von Politico zu finden.

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