Wahlkampf:Rüttgers kleine Schulwelt

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Vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen streiten Regierung und Opposition verbissen um die Bildungspolitik.

Von Hans-Jörg Heims

Wenn Jürgen Rüttgers im Wahlkampf über Bildungspolitik redet, schlüpft er erst einmal in die Rolle des besorgten Vaters. Seine Frau und er hätten drei Söhne, erzählt der CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Marcus, Lucas, Thomas. Keiner von ihnen sei gleich, jeder besitze unterschiedliche Begabungen und Fähigkeiten. Wo sich die verschiedenen Talente am besten entwickeln können, das weiß der Politiker Rüttgers wiederum: Jedes Kind sei anders, sagt er.

Deshalb müsse es beim viergliedrigen Schulsystem in NRW bleiben. "Einheitsschule ist Einheitsbrei", lautet der Standardsatz des Christdemokraten, der am 22. Mai gute Aussichten hat, Ministerpräsident zu werden.

Allerdings, die kleine Rüttgers-Welt lässt sich nicht auf den Alltag der meisten Kinder übertragen. Die Ergebnisse der Pisa-Studie haben gezeigt: In keinem anderen Land hängt die Chance auf einen höher qualifizierten Schulabschluss so sehr vom Geldbeutel der Eltern ab wie ausgerechnet in NRW. Das bestätigt auch die CDU. Nur: Nicht alle Kinder können wie die Söhne des Oppositionsführers morgens zusammen mit dem Vater frühstücken, um sich anschließend mit dem Dienstwagen in den Kindergarten oder die Schule fahren zu lassen.

Auch FDP-Spitzenkandidat Ingo Wolf erzählt gern von seinen drei Kinder. Mit einem Jahreseinkommen von 226.000 Euro verdient der Liberale so viel wie der Bundespräsident. Fürsorgend wie Wolf ist, kann man davon ausgehen, dass es seinen Kindern ebenfalls nicht schwer fallen wird, einen guten Schulabschluss zu machen.

Auch die FDP lehnt einen Ausstieg aus dem bisherigen Schulsystem ab. Ein Wahlsieg von Schwarz-Gelb würde demnach bedeuten: Im Bildungswesen ändert sich nicht viel. Um dieses Ziel zu erreichen, betreiben CDU und FDP eine massive Kampagne gegen die rot-grüne Schulpolitik. Dieser Streit ist das einzige landespolitische Thema in diesem Wahlkampf.

Wie schon vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein schüren CDU und FDP auch an Rhein und Ruhr die Angst vor einer Abschaffung der Haupt-, Real- und Gesamtschulen, insbesondere aber der Gymnasien. Es passt ja auch so schön zusammen: Linke und Einheitsschule. Im Wahlprogramm der SPD findet sich allerdings keine entsprechende Forderung, anders bei den Grünen. Sie sind dezidiert für die Einführung einer Gemeinschaftsschule. Künftig soll sich nicht schon in der vierten Klasse entscheiden, wer welchen Bildungsweg gehen darf.

Mehr Lehrer

Einen solchen Radikalumbau des Schulsystems hatte im vergangenen Jahr bereits eine von der Landesregierung eingesetzte Zukunftskommission angeregt. Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) ließ damals durchaus Sympathie für den Vorschlag erkennen. Doch nun im Wahlkampf bleibt der ansonsten für klare Botschaften bekannte Politiker vage.

Er weiß, dass in Nordrhein-Westfalen seit dem Streit um die Einführung der Gesamtschulen vor 30 Jahren jede Diskussion um Schulformen in ideologischen Schützengräben endet und Wahlen damit nicht zu gewinnen sind. Gegen den Willen von Eltern und Lehrern werde keine Schulform abgeschafft, beteuert Steinbrück daher, fügt aber hinzu, es gebe jedoch keine Denkverbote.

Die Opposition frohlockt, sieht sie sich doch in ihrer Vermutung bestätigt, dass nach der Wahl die "Einheitsschule" kommt, falls Rot-Grün an der Macht bleibt. Andererseits ist der Opposition nicht viel Neues eingefallen, wie Nordrhein-Westfalen seinen unteren Mittelfeldplatz beim Pisa-Vergleichstest verbessern kann. Bisher hat Rüttgers in seinem Kompetenzteam nicht einmal jemanden für die Bildungspolitik benannt.

Vor allem mit der horrenden Zahl von fünf Millionen Stunden Unterrichtsausfall im Jahr machen CDU und FDP im Wahlkampf Stimmung gegen die Landesregierung. Diese Zahl stamme aus dem Jahr 2003, versucht Steinbrück den Angriff abzufangen.

Doch selbst wenn inzwischen ein paar Stunden weniger ausfallen dürften, besteht kein Zweifel daran, dass die Unterrichtsversorgung nicht überall ausreichend gesichert ist. Damit sich dies ändert, versprechen die Oppositionsparteien, mehr Lehrer einzustellen. Bei den Christdemokraten sind es 4000 zusätzliche Pädagogen, bei den Liberalen sogar 8000.

Wie diese Neueinstellungen angesichts von 110 Milliarden Euro Schulden im Haushalt finanziert werden sollen, dazu gibt es bisher keine Vorschläge, die schnell zu realisieren wären. Die Liberalen plakatieren zwar "Kinder statt Steinkohle fördern", womit sie ihrer Forderung nach einem Ausstieg aus der Subventionierung des Bergbaus Ausdruck verleihen wollen. Auch die CDU will die staatlichen Beihilfen halbieren, um sie in das Bildungswesen umzuleiten. Freilich ist ein Ausstieg aus der Kohlefinanzierung aufgrund bereits getroffener Vereinbarungen vor 2009 nicht möglich.

Weniger Gesetze

Im Sofortprogramm der CDU für die ersten 200 Tage findet sich daher auch kein Hinweis auf neu einzustellende Lehrer. Die ersten Maßnahmen zielen vor allem auf die Rücknahme von Gesetzen ab, die von Rot-Grün beschlossen wurden. So sollen Schüler der dritten Klasse wieder Zeugnisse erhalten, das für die Klassen fünf bis acht gerade eingeführte Fach Naturwissenschaften abgeschafft und wieder Chemie, Biologie und Physik unterrichtet werden.

Ferner verspricht die CDU den Schulen ein Höchstmaß an Autonomie, so bei der Wahl des Schulleiters, der Einstellung von Lehrern und der Verwaltung eines eigenen Sachmittelbudgets. Das Land soll nur noch Bildungsstandards vorgeben und regelmäßig die Lernentwicklung und Leistungsfähigkeit der Schüler überprüfen. "Gibt es doch alles längst", sagt Bildungsministerin Ute Schäfer (SPD) und verweist auf das Konzept der Selbstständigen Schule, das Zentralabitur nach zwölf Jahren und auf Lernstandserhebungen.

Wer in der Schule abschreibt, bekommt eine Sechs. In der Politik kann man damit Wahlen gewinnen.

© SZ vom 9.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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