Wahlkampf:Österreich: Mit Dilettanten in die Wahl

Wahlkampf: Anhänger der christ-sozialen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) von Außenminister Sebastian Kurz Anfang September 2017 in Graz

Anhänger der christ-sozialen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) von Außenminister Sebastian Kurz Anfang September 2017 in Graz

(Foto: AFP)

Politiker, die keine Politiker sein wollen, Parteien, die sich als Bewegungen ausgeben, Kandidaten, die vor allem als Seiteneinsteiger ausgewählt wurden - so geht Wahlkampf in Österreich.

Gastbeitrag von Karl-Markus Gauß

Die österreichischen Politiker liefern sich derzeit einen merkwürdigen Wettkampf. In dem geht es vor allem darum, wer von ihnen weniger Politiker ist als der andere. Die Parteien wiederum bemühen sich, das Stigma, Parteien zu sein, abzustreifen und sich als freie Wählerlisten oder als Bewegungen zu präsentieren, die mit Elan und Frische eine verkrustete Republik erneuern werden, eine Republik, die sie doch bisher selbst regiert und parlamentarisch repräsentiert haben.

Kurz, wer sich um ein politisches Amt bewirbt, hat tunlichst den Eindruck zu erwecken, es nicht als Politiker anzustreben, sondern als verärgerter Bürger, dem es reicht und der jetzt endlich die Politik nicht mehr den Politikern überlassen möchte.

Diese Bemühung, die Politik unpolitisch aussehen zu lassen und die Politiker von ihrem größten Makel zu befreien, nämlich Politiker zu sein, zeitigt mitunter komische Folgen.

Der Grüne Peter Pilz, einer der interessantesten Politiker des Landes, und das seit über dreißig Jahren im Parlament, hat eine neue Partei gegründet, die er "Liste Pilz" nennt und von der er sagt, aus ihr werde nie eine Partei werden, weil er "von Parteien die Nase voll" habe. Wie sich der rhetorisch brillante, als Mitglied diverser Untersuchungsausschüsse bewährte Mann nun als Haudegen ausgibt, der die Politiker das Fürchten lehren wird, das ist kurios und abgeschmackt.

Ich sage das als jemand, der den Politiker Peter Pilz auch nach dem Bruch mit den Grünen zu schätzen weiß und manche der programmatischen Ziele seiner Partei, aus der nie eine werden darf, durchaus teilt. Dem Vorsitzenden der liberalen Neos, Matthias Strolz, auch er ein begabter, mit unorthodoxer Emphase formulierender Redner, geht das alles nicht weit genug.

Er verlangt neuerdings sogar, dass für Politiker eine Beschränkung ihrer Amtszeit eingeführt werden müsse, wonach niemand länger als 15 Jahre Abgeordneter oder zehn Jahre Minister sein dürfe.

Der Politiker verlangt also ein Berufsverbot für länger dienende Politiker, und dies gewiss in der Hoffnung, von den Wählern künftig nicht als ein solcher identifiziert zu werden, sondern als unbestechlicher Wüterich, der antritt, die politische Kaste aufzuscheuchen.

Kurz, ist sein ganzes junges Leben als Erwachsener nichts anderes gewesen als Politiker

Ebenso einfallsreich wie bedenkenlos hat jener Mann seine Karriere, seine Politik, seinen Wahlkampf angelegt, der am 15. Oktober höchstwahrscheinlich als triumphaler Sieger aus der Wahl zum österreichischen Nationalrat hervorgehen wird.

Sebastian Kurz, der auch in Deutschland viele Fans hat, ist sein ganzes junges Leben als Erwachsener nichts anderes gewesen als Politiker. Zuerst Obmann der Jungen Volkspartei, dann Nationalratsabgeordneter, darauf jüngster Staatssekretär aller Zeiten, schließlich Außenminister und seit einigen Monaten zudem: Bundesparteiobmann der Österreichischen Volkspartei.

Seine erste Amtshandlung als Parteichef war es, die Partei, die 1945 von christlichsozialen Politikern gegründet wurde, die aus den Konzentrationslagern zurückkehrten, für die Wahl in "Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei" umzubenennen.

Und die Partei am Abgrund hat sich dieser geradezu unerhörten Übernahme willenlos gebeugt; es wird ihr damit entgolten, dass sie, die es nominell als wahlwerbende Partei gar nicht mehr gibt, sich seither in einem sensationellen Höhenflug befindet, der ihre altgedienten Anhänger zum ersten Mal seit bald fünfzig Jahren wieder davon träumen lässt, dass die Schmach, die ihr Bruno Kreisky von der SPÖ angetan hat, doch noch getilgt werden könnte.

Die Quereinsteiger von gestern haben sich oft rasch als Enttäuschungen erwiesen

Für gestandene ÖVPler ist die lange sozialdemokratische Dominanz in Österreich ein Verhängnis, das gewissermaßen den natürlichen Gegebenheiten des Landes, dem überhistorischen Konservativismus seiner Bewohner widerspricht.

Die ÖVP wird mit Kurz wieder zur Nummer eins in Österreich, indem sie sich als Partei auf- und als Wahlliste ausgibt. Seitdem Kurz dieses Manöver gelang, ist er vollauf damit beschäftigt, zweierlei zu tun:

Erstens nichts, denn er ist abgetaucht, vermeidet es (zumindest bis Anfang September), irgend klare programmatische Aussagen zu machen, überlässt es merkelweise den anderen, sich im Wahlkampf abzunutzen. Und zweitens überrascht er jede Woche mit einem neuen Kandidaten seines Teams, dessen Verdienst es ist, kein Politiker zu sein, sondern als Quereinsteiger anzuheuern.

Der Quereinsteiger ist eine relativ neue Spezies, die im politischen Biotop ermüdender Demokratien gedeiht. Die Spezies blüht auf, weil eine andere, die in diesem Biotop lange unangefochten war, mittlerweile in diesem unterzugehen droht.

Der Quereinsteiger tritt vermehrt dort zutage, wo der Politiker seinen Platz räumt oder räumen muss. Unter den Quereinsteigern der Politik gibt es, so wie unter den Journalisten, Opernsängern und Schustern, gescheite Kerle und ausgewiesene Dummköpfe, moralische Existenzen und berechnende Schurken, politisch gebildete, halbgebildete und demonstrativ ungebildete Leute.

Dass ein Quereinsteiger politische Überzeugungen hat und auch fähig ist, diese zu verfechten, ist möglich, aber nicht der Grund, warum er neuerdings so häufig auf wählbare Plätze gehievt wird.

Dilettanten bleiben - oder ganz normale Politiker werden

Kurz hat in rascher Folge eine überaus sympathische, nach einem Trainingsunfall querschnittgelähmte Stabhochspringerin, eine Society-Lady, die den Opernball organisiert, den Vizepräsidenten der Wiener Polizei und einen Universitätsprofessor für Mathematik als Spitzenkandidaten seiner Liste präsentiert. Sie haben nicht viel Gemeinsames, außer dass sie zu ihrem politischen Amt durch die lobenswerte Tatsache kommen, bisher keines ausgeübt zu haben.

Quereinsteiger in der Politik gab es auch früher schon, freilich waren sie nie so umworben wie heute. Die Quereinsteiger von gestern haben sich oft rasch als Enttäuschungen erwiesen: Sie enttäuschten die Parteien, von denen sie gerufen wurden, weil sie Stimmen für diese nur akquirieren konnten, solange sie noch mit jener Rolle identifiziert wurden, die sie eben ablegen mussten, um sich in die Partei einzugliedern.

Weiters sind sie in der Regel auch selbst enttäuscht, weil sie sich überfordert, ja nutzlos und auf gut bezahlte Weise missbraucht vorkommen.

Und sie enttäuschen ihre Wähler, weil sie als Nichtpolitiker entweder Dilettanten bleiben, die das politische Handwerk nicht beherrschen und folglich nichts weiterbringen, oder weil aus ihnen - ganz normale Politiker werden.

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