Süddeutsche Zeitung

Wahlkampf:Merkels Gift wirkt

Tabuthema Europa: Im Wahlkampf scheint die existenzielle Gefahr der großen europäischen Krise wie weggeblasen. Das liegt vor allem daran, dass Kanzlerin Merkel das Thema vergiftet - und Sentiments schürt, die kaum noch zu erschüttern sind.

Ein Kommentar von Daniel Brössler

Deutschland erlebt einen absonderlichen Wahlkampf. Gewiss: Die Parteien der Opposition betonen die Sorgen der Menschen. Es geht um Renten, um Löhne, zu hohe Mieten, steigende Stromkosten und fehlende Kitaplätze. Und natürlich: Die Parteien der Regierung zeigen auf die Zufriedenen. Auf Menschen, die sich über relativ sichere Arbeitsplätze freuen und eine starke Volkswirtschaft.

Es läuft also, und gerade das macht diesen Wahlkampf so seltsam, alles wie immer. Die existenzielle Gefahr, in der die Europäische Union schwebt, bleibt unsichtbar; die große europäische Krise wirkt wie weggeblasen. Die Europäer blicken nach Deutschland, weil ihnen klar ist, dass die Zukunft der Union wesentlich von diesem Land abhängt. Was sie aber zu sehen bekommen, ist eine Nation, die für den Moment so tut, als gehe sie das alles nichts an.

Es ist dabei nicht so, als hätten die Parteien zu Europa und seiner Krise nichts zu sagen. In den Wahlprogrammen fordern sie ein "europäisches Deutschland innerhalb einer Wirtschafts- und Solidarunion" (Grüne), eine "sozial verantwortlich handelnde EU" (SPD), einen "Neustart für die Europäische Union" (Linke), einen "europäischen Bundesstaat" (FDP) oder wenigstens, dass "Europa gestärkt aus der Krise hervorgeht" (CDU/CSU).

Das Bild von den so sparsamen wie fleißigen Deutschen

Vom Kanzlerinnenversprechen eines sicheren Euro abgesehen, spielt die EU auf den Plakaten aber keine Rolle. Nicht einmal bei den Grünen, die in ihrem Wahlprogramm behaupten, sie wollten die Bundestagswahl nutzen, um "einen Politikwechsel auch in Europa voranzubringen". Die groteske Wahrheit ist: Je mehr die Parteien über Europa in ihre wenig gelesenen Programme geschrieben haben, desto weniger reden sie darüber. Die Wahlstrategen halten das Thema offenkundig für toxisch.

Wenn eine große Mehrheit der Bevölkerung der Meinung ist, die Regierung habe in einer schwierigen Situation das Mögliche getan, ist für die Opposition nicht mehr viel zu holen. Überdies hat die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Sentiments bedient und geschürt, die nun kaum noch zu erschüttern sind. Das Bild von den so sparsamen wie fleißigen Deutschen, die für sorglose Südeuropäer blechen müssen, hat sich so tief ins Bewusstsein der Bundesbürger eingegraben, dass es nur noch schwer herauszuholen sein wird.

Überdies hat Angela Merkel den Deutschen das Gefühl gegeben, in der Euro-Krise immer das Unvermeidbare zur Abwendung einer Katastrophe getan zu haben, aber nie mehr. Auch das kam gut an. Merkel hatte nie den Anspruch, den Bürgern ihr Tun in der Euro-Krise zu erklären. Die Menschen sollten nur glauben, dass die komplizierte Sache in guten Händen ist. Das ist ihr gelungen. Für die Zwecke des Wahlkampfs hat sie die Euro-Krise auf diese Weise tatsächlich vergiftet. Wer sie anrührt, dem droht Lähmung.

Das bekommt vor allem SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zu spüren. Eigentlich müsste er als früherer Finanzminister Kompetenz ausspielen können, stattdessen verzettelt er sich, indem er Merkel fehlende europäische Leidenschaft vorhält. Steinbrücks Problem besteht darin, dass es gerade Merkel ist, die die Gefühlslage der Deutschen trifft.

Niemand, nicht einmal die Linken, wagen es, ihre Kritik an der von Merkel durchgesetzten Sparspirale zu plakatieren, unter der die Südeuropäer leiden. Merkels Gift wirkt - und zwar in beide Richtungen. Das Empörungspotenzial wegen der Kredite für Krisenländer scheint fürs Erste erschöpft zu sein. Darunter leidet die Euro-skeptische Alternative für Deutschland mindestens ebenso sehr wie unter ihren inneren Querelen.

Es hat sich der Eindruck verfestigt, dass die schlimmsten Zeiten der Euro-Krise vorüber sind. Das mag stimmen, wäre aber - nebenbei bemerkt - weniger das Verdienst Merkels als das des Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, und seines Machtwortes zur Rettung der europäischen Währung. So oder so ist den Bürgern nicht zu verdenken, wenn sie nach mehreren turbulenten Jahre die Ruhe als angenehm empfinden.

Und doch besteht genau darin das Problem. Unabhängig davon, ob nach der Bundestagswahl ein neuer Schuldenschnitt für Griechenland lauert, harrt die EU einer großen Klärung. Die Währungsunion wird auch künftig ohne eine echte politische Union nicht funktionieren. Darüber wird es Streit geben, ja geben müssen. Ein Streit, in dem Deutschland, für viele Deutsche dann vermutlich überraschend, eine zentrale Rolle spielen wird.

Im Mai des kommenden Jahres wählen die Bürger der EU ein neues Parlament. Gut wäre es, wenn der Bann, der eine echte Europa-Debatte in deutschen Wahlkämpfen verhindert, bis dahin gebrochen wäre. Sehr wahrscheinlich ist es nicht.

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SZ vom 12.08.2013/ebri
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