Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl in Schleswig-Holstein:Marathon zwischen den Meeren

Lesezeit: 4 min

Lange lag SPD-Ministerpräsident Albig vorn - am Ende triumphiert CDU-Frontmann Günther. Wie sich in Schleswig-Holstein das politische Rennen entschieden hat.

Von Peter Burghardt, Kiel

Daniel, Daniel, Daniel", rufen sie am frühen Sonntagabend, als der Wahlsieger Daniel Günther die Party der CDU in Schleswig-Holstein betritt. In diesem Moment ist er bei seinem langen Lauf fürs Erste erfolgreich am Ziel. Bis vor wenigen Tagen spielte dieser Mann eine Nebenrolle im nördlichsten Bundesland - jetzt wird er höchstwahrscheinlich Ministerpräsident und löst den Wahlverlierer Torsten Albig von der SPD ab.

"Das ist ein guter Tag für Schleswig-Holstein", spricht der bisherige Oppositionsführer Günther. "Das ist ein großartiger Tag für die CDU. Wir haben die Wahl gewonnen, liebe Freunde. Die Regierung Albig/Stegner ist abgewählt." Wer hätte das bis vor Kurzem gedacht? Etwa ein Drittel der Stimmen bekommen Günther und die Union nach den Hochrechnungen, deutlich mehr als Albigs Sozialdemokraten. "Ein bitterer Tag für meine Regierung, ein bitterer Tag für mich", sagt Torsten Albig mit versteinerter Miene, neben sich einen finster dreinblickenden SPD-Chef Ralf Stegner.

Die Koalition aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband hat nach nur fünf Jahren ihre knappe Mehrheit verloren, Günthers CDU kann sich um ein Bündnis bemühen. Auf der Suche nach einer Mehrheit im Landtag wird Günther mit der FDP verhandeln, die wird unter ihrem alten Häuptling Wolfgang Kubicki immerhin knapp zweistellig.

Günther will auch mit den Grünen von Robert Habeck reden, deren Hilfe bräuchte er wohl; der bisherige Partner der SPD sammelt rund 13 Prozent. Nicht ganz reicht das, Stand am späten Abend, für Schwarz-grün, sicher aber für Jamaika. Eine Ampel dürfte es kaum geben. Jedenfalls: Die SPD scheint Marathonmann Günther sträflich unterschätzt zu haben. Vor einigen Tagen hatte SPD-Chef Stegner für die Konkurrenz nur Hohn und Spott übrig gehabt. "Wenn Sie nach den vier, fünf bekanntesten Politikern in Schleswig-Holstein fragen, finden Sie keinen CDU-Mann", frotzelte er in seinem Büro.

Das stimmte sogar: Jeder dritte Wähler hatte noch im April keine Ahnung von Daniel Günther. Da hatten Stegner und Albig, der Grüne Habeck und der FDP-Haudegen Kubicki klingendere Namen.

Daniel Günther? Erst vor einem halben Jahr hatte ihn die Union nominiert, in dieser vormaligen Hochburg der Konservativen war es zuvor drunter und drüber gegangen.

Fünfmal wechselte die CDU im Nordwesten seit 2010 ihren Vorsitzenden, im November 2016 übernahm Daniel Günther von Ingbert Liebing den Posten und auch den Job des Spitzenkandidaten. Immerhin sitzt er bereits seit acht Jahren im Kieler Landtag, 2014 wurde er sogar Chef der Fraktion. Und doch war Günther weitgehend ein Unbekannter geblieben.

Albig versuchte, den Landesvater zu geben - offenkundig vergeblich

Aber der Neuling startete eine Aufholjagd, bis zur Erschöpfung. Günther joggt und hat eine drahtige Figur, das schmale Gesicht mit der dünnrandigen Brille verleiht ihm etwas Jungenhaftes. Das hat Vorteile und Nachteile, weil ihn die einen für dynamisch halten und die anderen ihn offenbar nicht richtig ernst nehmen wollten.

Günther eilte zwischen Nordsee und Ostsee wochenlang von Tür zu Tür, von Platz zu Platz, durch Hallen und Autohäuser. Sprach man ihn auf sein Pensum an, dann erwiderte er, an seine physischen Grenzen gegangen zu sein.

Seine Biografie machte im Schnelldurchlauf die Runde. Geboren 1973 in Eckernförde, Katholik, Vater einer kleinen Tochter, Linkshänder, Studium der Politik, Volkswirtschaft und Psychologie, Hobbyläufer. Plötzlich lag seine CDU vor der SPD. "Wir haben ordentlich was gedreht", sagte Günther kürzlich vor einem Supermarkt am Rande von Kiel. Der Einsatz habe sich gelohnt, auch sei der Schulz-Effekt verpufft, und die Gegner hätten Fehler gemacht. Das war bereits vor der Wahl Günthers Erklärung für die Trendwende. Tatsächlich tauchte der SPD-Boss Martin Schulz erst in der Endphase wieder auf. Bundeskanzlerin Angela Merkel machte derweil für Günther Reklame.

Albig dagegen versuchte, sich als Landesvater in einem zufriedenen Bundesland zu präsentieren. Ein unaufgeregter, vielleicht ein bisschen phlegmatischer Mann von bald 54 Jahren, der früher Sprecher einer Bank und des Finanzministeriums war sowie Kieler Oberbürgermeister. Schon seine breitere, schwarz umrandete Brille, der kahle Kopf, die tiefere Stimme und die etwas ruhigere Grundstatur sollten gegenüber seinem jüngeren Herausforderer Charisma und Erfahrung signalisieren.

Der größte Aufreger: das angebliche Zitat von der "Verdi-Schlampe"

Das misslang genauso wie Albigs Experiment, im Magazin Bunte und bei Auftritten über Privates zu plaudern. Er versäumte es darüber, entschiedener für sein Bündnis aus SPD, Grünen und SSW zu werben. Dabei hat das hoch verschuldete Land erstmals seit geraumer Zeit einen Haushaltsüberschuss erwirtschaftet. Es schiebt afghanische Flüchtlinge nicht ab. Die Energiewende kommt voran. Die vielen Windräder waren indes eines der landespolitischen Streitthemen. Es ging außerdem um Dauerbaustellen an Landstraßen und Autobahnen. Albigs SPD verweist da auf Altlasten der CDU, die wiederum will schneller bauen.

In der Schulpolitik möchte die CDU anders als die SPD zum G 9 zurückkehren. Der größte Aufreger der Auseinandersetzung war der unbewiesene Vorwurf einer SPD-Gewerkschafterin in der Wahldebatte im NDR-Regionalfernsehen, Günther habe sie mal "Verdi-Schlampe" genannt. Doch im Grunde waren beide Widersacher mit ihrer eher friedlichen Art untypisch für dieses Revier.

Was hat Schleswig-Holstein nicht schon für Dramen erlebt. Einmal wurde es sogar eine Tragödie, bald 30 Jahre ist das jetzt her. Damals, 1987, verlor die CDU im Rahmen der Barschel-Affäre erstmals seit 1950 ihre Mehrheit an die SPD - im Oktober lag der Ministerpräsident Uwe Barschel dann tot in einer Genfer Hotel-Badewanne, 1988 wurde sein SPD-Rivale Björn Engholm zu seinem Nachfolger gewählt.

2005 stürzte ein unbekannter Abweichler bei der Abstimmung im Landtag die SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis, der wuchtige Peter Harry Carstensen von der CDU übernahm das Amt. Als "Heide-Mörder" ging der anonyme Dissident in die Geschichte ein.

Diesmal war es eine ganz andere Spannung in Schleswig-Holstein, dem Land der zwei Meere. Für die SPD ist es gleichwohl ein Desaster - und ein Triumph für die Union und ihren Dauerläufer Daniel Günther.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3494057
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.05.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.