Wahlkampf in Texas:Showdown am Rio Grande

FILE PHOTOS: A combination photo  of Beto O'Rourke and Ted Cruz speaking to supporters in Texas

Wer wird der nächste Senator von Texas? Der demokratische Herausforderer Beto O'Rourke (links) tritt gegen den republikanischen Amtsinhaber Ted Cruz (rechts) an.

(Foto: REUTERS)
  • Amtsinhaber und Republikaner Ted Cruz, 47, wird von dem Demokraten Beto O'Rourke, 46, in der Senatswahl in Texas herausgefordert.
  • In Texas, einem US-Staat mit traditionell sehr niedriger Wahlbeteiligung, versucht der Herausforderer Beto O'Rourke, vor allem die Nichtwähler für sich zu gewinnen.
  • Beto O'Rourke betreibt einen massiven Aufwand für seinen Wahlkampf und besuchte als erster Politiker alle 254 Wahlbezirke.

Von Beate Wild, Austin

In Texas ist alles größer, heißt es im Volksmund. Doch nicht nur Pickup-Trucks, Cowboy-Hüte und Barbecue-Teller sind hier überdimensioniert, auch das Selbstbewusstsein und der Stolz der Bewohner.

Genau diese Eigenschaften machen Texas zum idealen Schauplatz für einen symbolischen Showdown, den sich dort gerade zwei Männer liefern. Auf der einen Seite: der republikanische Senator und Amtsinhaber Ted Cruz. Auf der anderen: sein demokratischer Herausforderer Beto O'Rourke.

Einem internationalen Publikum ist Ted Cruz bekannt als "Lyin' Ted"

Die beiden könnten unterschiedlicher kaum sein - und verkörpern damit die beiden unterschiedlichen Herzen, die im Bundesstaat Texas mit mehr als 28 Millionen Einwohnern schlagen. Denn der Bundesstaat im Süden, und das mag manchen europäischen Leser jetzt überraschen, ist weit mehr als nur der erzkonservative Staat aus Prärie und Wüste, in dem es mehr Waffen gibt als Fahrräder.

Ted Cruz, 47 Jahre alt, Jurist und 2013 als Ausläufer der reaktionären Tea-Party-Welle in den Senat gespült, ist dem internationalen Publikum auch unter dem Spitznamen "Lyin' Ted" bekannt. Den verpasste ihm im letzten Präsidentschaftswahlkampf ein gewisser Donald Trump. Der Spitzname hat seine Berechtigung, wie selbst Parteifreunde unter der Hand zugeben. Sein republikanischer Amtskollege Lindsey Graham stellte sogar die Theorie auf: "Wenn du Ted Cruz im Senatsplenum umbringen würdest und das Gerichtsverfahren im Senat stattfände, niemand würde dich verurteilen."

El Paso hat eine der niedrigsten Kriminalitätsraten im Land

Doch Cruz ist Konservativer mit Leib und Seele. Er verteufelt Abtreibungen und wettert gegen eine Einmischung der Regierung, ist gegen hohe Steuern und strenge Umweltregulierungen. Auch die Angst vor mexikanischen Einwanderern und Afroamerikanern weiß er mit subtilen Anspielungen zu benutzten.

Sein Herausforderer Beto O'Rourke ist 46, früherer IT-Unternehmer und seit 2013 Kongressabgeordneter in Washington. Er stammt aus El Paso im Westen von Texas, das am Rio Grande direkt an der Grenze zu Mexiko liegt. Wegen der Nähe zum Nachbarland, sagt O'Rourke, ist er gegen den Bau der Mauer. Die Stadt El Paso habe eine der niedrigsten Kriminalitätsraten in den USA und gedeihe mit den zugewanderten Latinos ganz prächtig, wird er nicht müde zu betonen.

Sichere Grenzen, aber keine Dämonisierung der Einwanderer

"Wir hatten noch nie eine derart ernste Situation an der Grenze zu Mexiko, es verletzt unsere nachbarschaftlichen Beziehungen und wenn es so weitergeht, wird es auch Texas schaden", ruft O'Rourke dem Publikum bei einem Wahlkampfauftritt in Austin zu. Er redet frei, wie immer, und rudert dazu ausladend mit den Armen, unter denen sich im texanischen Klima große Schweißflecken bilden - inzwischen sein Markenzeichen, das sein Kämpfer-Image noch verstärkt. Der tosende Applaus zeigt, dass er einen Nerv trifft. Die Migranten-Karavanen, gegen die der US-Präsident Trump gerade in diesen Tagen wieder hetzt, jagen progressiven Texanern noch lange keine Angst ein.

Freilich, eine geregelte Einwanderung über die offiziellen Grenzübergänge müsse schon sein, über den Rio Grande zu schwimmen, sei nicht der geeignete Einreise-Weg, sagt auch O'Rourke. Damit trifft er die Haltung vieler progressiver Texaner: Fast jeder hier stammt aus einer Familie, die in den vergangenen 200 Jahren eingewandert ist, aus anderen Teilen des Landes oder aus Mexiko. Sichere Grenzen, ja - aber keine Dämonisierung von Menschen, die hier ihr Glück suchen.

Joggen mit den Wählern

Ohnehin haben die Menschen andere Probleme: Im allzu unternehmerfreundlichen Texas ist es als Arbeitnehmer nicht immer einfach, sich eine Existenz aufzubauen. O'Rourke will deshalb einen Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde einführen und fordert eine Krankenversicherung für alle Amerikaner. Dazu plädiert er für die Legalisierung von Marihuana und strengere Waffengesetze.

Das sind ganz liberale und damit neue Töne in Texas. Die Botschaft verfängt dennoch. Ted Cruz und seine Leute haben das unterschätzt. Als O'Rourke - der von allen kumpelhaft bei seinem Spitznamen Beto gerufen wird, aber eigentlich Robert mit Vornamen heißt - seinen Wahlkampf startete, galt er als chancenlos. Jetzt, ein paar Tage vor den Zwischenwahlen, liegt er nur wenige Prozentpunkte hinter dem republikanischen Amtsinhaber Ted Cruz. Wie hat er das nur geschafft?

Texas ist fast so groß wie Deutschland und Polen zusammen

O'Rourke hat als erster Politiker alle 254 texanischen Wahlbezirke besucht, darunter selbst Dörfer mit weniger als hundert Einwohnern. Das ist schon deshalb eine enorme Leistung, weil Beto O'Rourke elf Stunden braucht, um von seiner Heimatstadt El Paso etwa nach Houston am Golf von Mexiko zu fahren. Texas ist fast so groß wie Deutschland und Polen zusammen, der Kandidat sitzt einen beachtlichen Teil seiner Zeit im Auto.

Und diese Zeit lässt Beto O'Rourke nicht ungenutzt verstreichen, sondern überträgt seine Tour über die Dörfer gerne live auf Facebook und in anderen sozialen Netzwerken. Er redet bei seinen Tankstops mit Kunden an der Tankstelle und macht Selfies mit den Mitarbeitern seiner Lieblingsrestaurantkette Whataburger.

Texas ist ein "Nichtwähler-Staat"

"Ich besuche selbst Bezirke, die so rot sind, dass ihr Leuchten noch vom Weltall aus zu sehen ist", witzelt er gerne. Rot ist die Farbe der Republikaner, blau die der Demokraten. Der Spruch vom "blauen Wunder", das in Texas möglich sei, ist alleine Verdienst des sportlichen, schlaksigen Mannes aus El Paso.

Dazu ist zu wissen: Texas ist strenggenommen kein "roter Staat", sondern ein "Nichtwähler-Staat". Bei den letzten Midterms 2014 haben nur 28,3 Prozent der Bürger gewählt. Im landesweiten Vergleich liegt Texas immer auf den letzten Plätzen. Den Demokraten gibt das Hoffnung. Sie wollen Minderheiten und junge Menschen aktivieren, die traditionell seltener wählen. Das könnte am Ende reichen für O'Rourke.

Selbst evangelikale Mütter finden sich in Beto O'Rourke wieder

John Cornyn, der andere republikanische Senator des Bundesstaates Texas, glaubt nicht daran. "Ich kenne Beto. Er ist ein guter Typ. Aber ich denke, das ist eine Selbstmord-Mission", sagte er dem US-Magazin Politico. "Wir haben im ganzen Staat seit 1994 keinen Demokraten mehr gewählt."

Trotzdem gibt O'Rourke alles, an die Nichtwähler heranzukommen. Er geht mit den Wählern schon bei Sonnenaufgang joggen, besucht mittags sozial schwach gestellte Familien und hält abends flammende Reden bei Wahlkampfveranstaltungen. Dass er trotz irischer Abstammung besser spanisch spricht alsTed Cruz, der der Sohn eines Exilkubaners ist, - geschenkt. Aber dass er sich die Sorgen von Einwanderern ohne Aufenthaltserlaubnis anhört, kommt sogar bei manchen evangelikalen Müttern gut an, die als Erzkonservative eigentlich immer die Republikaner wählen.

Der New York Times sagte etwa eine strenggläubige Christin aus Dallas, Sarah Damoff, sie sei sehr bewegt gewesen, wie sich Beto O'Rourke um das Schicksal der auseinander gerissenen Migrantenfamilien gekümmert hätte. Sie waren die direkte Folge einer Direktive der Trump-Regierung. "Die Republikaner waren früher die Partei der Familie, der Moral und der Werte. Heute sind sie das nicht mehr."

Sozialprogramme als Teufelswerk

Glaubwürdig erscheint der Kandidat Beto O'Rourke, der stets im Hemd mit metaphorisch nach oben gekrempelten Ärmeln auftritt, auch deshalb, weil er Geld ausschließlich von Kleinspendern sammelt. Mehr als 70 Millionen Dollar hat er auf diese Art eingenommen, zweieinhalb Mal mehr als Cruz. Dass er seinen Wahlkampf über Social Media als Dauerdokumentation inszeniert, hilft dabei.

In liberalen Städten wie Austin, Houston oder Dallas steht in jedem zweiten Garten ein "Beto for Senate"-Schild. Außerhalb der Metropolen ist auch Ted Cruz populär: Ranch-Besitzer und Unternehmer unterstützen ihn, aber auch ultrareligiöse Christen und jene Bewohner des Bundesstaates, die in den Demokraten eine Bedrohung ihres Lebensstils sehen. Steuern, Beschränkungen beim Waffenkauf und Regierungsprogramme für den sozialen Ausgleich gelten gerade in ländlichen Regionen und bei wohlhabenden Einwohnern als untexanisch, manchmal sogar als Teufelswerk, und das buchstäblich. Gehen sie alle zur Wahl, könnte es noch einmal reichen für Ted Cruz.

Wer Zodiac-Killer googelt, bekommt Bilder von Ted Cruz

Ted Cruz, der amtierende Senator aus Houston, ist für die Texaner vor allem wie ein Werkzeug. Als sympathisch gilt er nicht in einem Landstrich, in dem Anwälte ungefähr das Ansehen von zwielichten Gebrauchtwagenverkäufern oder, schlimmer noch, Politikern haben. Selbst ein Trump-Berater gab vor kurzem zu, dass Cruz durchaus die Wahl verlieren könnte, weil er "nicht liebenswert" sei. Immer noch kursiert das Internet-Meme, das Cruz mit dem Zodiac-Killer vergleicht, einem kalifornischen Serienmörder aus den 60er Jahren, dessen Identität bis heute ungeklärt ist. Wer Zodiac-Killer googelt, bekommt Bilder von Cruz.

Cruz behauptet, nur er könne die Interessen der Texaner richtig in Washington vertreten. Die Texaner haben aber durchaus bemerkt, dass er kurz nach seiner Wahl 2013 bereits Präsident werden wollte und sich nicht mehr so richtig im Senat engagierte. Dazu merken viele Bürger, dass einige Dinge in Texas nicht so toll laufen. Die öffentlichen Schulen etwa sind chronisch unterfinanziert. Der Klimawandel und die daraus resultierenden, mittlerweile jährlich in Erscheinung tretenden Wirbelstürme, machen immer mehr Texanern große Sorgen.

Selbst die Einwanderer, die Cruz so verteufelt, haben ihren festen Platz in der texanischen Marktwirtschaft. Es ist kein Zufall, dass die Arbeitgeber des Bundesstaates sich heftig gegen eine verpflichtende digitale Prüfung des Aufenthaltsstatus von Mitarbeitern wehren. Nachdem der Grenzschutz im Auftrag der Trump-Regierung bei einer Vielzahl von Firmen Razzien durchführte und illegale Migranten festnahm, um sie abzuschieben, leiden zahlreiche Betriebe unter Arbeitskräftemangel und überlegen gar, ihre Produktion nach Mexiko zu verlegen.

Beto spielte früher in einer Punkrock-Band

Die republikanische Partei versucht unterdessen, Beto O'Rourke als Sozialisten darzustellen. Sogar dass er früher in einer Punkrock-Band spielte, wird thematisiert. Und über allem schwebt die Drohung, die in konservativen texanischen Kreisen seit Jahren funktioniert: Beto O'Rourke könnte Texas in ein weiteres Kalifornien verwandeln - jenen regulierten, hoch besteuerten, umweltfreundlichen und von Demokraten dominierten Staat an der Westküste der USA, der im Sozialismus-Ranking der Republikaner ungefähr punktgleich mit der Sowjetunion liegt.

Beto O'Rourke lässt sich davon nicht beirren. Er kurvt weiter unermüdlich durch das Land und fährt schon mal in seinen Pausen auf einem Parkplatz ein paar Runden mit dem Skateboard.

Willie Nelson schrieb einen Song für Beto O'Rourke

Selbst die konservative Tageszeitung Dallas Morning News lobt Beto O'Rourke in den höchsten Tönen: "O'Rourke ist der stärkere Kandidat. Mit seiner Kampagne hat er gezeigt, dass er Respekt gegenüber allen Menschen hat und Demut besitzt, die ihm erlaubt, Türen zu öffnen. Auch von denen, die andere politische Ansichten haben als er."

Neulich hat Country-Legende Willie Nelson in Austin ein Konzert für Beto gegeben. 55 000 Texaner sind gekommen. Nelson sang seinen neuen Song "Vote 'em out". Darin heißt es in Anspielung auf den Senat: "Wenn dir nicht gefällt, wer drin sitzt, wähl ihn raus. Das ist, worum es am Wahltag wirklich geht. Die größte Waffe, die wir haben, ist die Wahlurne." Spannende Zeiten in Texas.

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