Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern:Einer von ihnen

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Nicht nur mit Rosen kommt Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Sellering gut an. Im Wahlkampf verbreitet er mehr Optimismus als neue Ideen - aber die Leute schätzen, dass er ihren Ton trifft.

Jens Schneider

Kann es sein, dass manch eine Frau einen Spitzenkandidaten allein deshalb wählt, weil er ihr eine Rose schenkt? Es könnte sein, zumindest, wenn es eine langstielige, dunkelrote Rose ist. In Parchim, Teterow und Schwerin sieht es in diesen Tagen jedenfalls danach aus. Auf dem Wochenmarkt von Parchim in Mecklenburg riecht es an diesem Sommermorgen nach Schnittblumen und Obst. Eine Frau, Mitte fünfzig, wirft einen prüfenden Blick. Ist er das? Der Mann vom Plakat? Ja, es ist Erwin Sellering, der Ministerpräsident. Sie sagt, mehr zu sich: "Schön, dass er hierher kommt." Sie hätte gern eine Rose.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering trifft nicht nur im Rostocker Stadthafen den richtigen Ton. (Foto: dpa)

Sie könnte hingehen, er gibt ihr bestimmt eine. Dafür ist er hierhergekommen. Aber die Frau stellt sich abseits und lächelt, als er einen Bogen macht und zu ihr geht. Kurz reden sie über die Wahl am 4. September, heiter hält sie die Nase an ihre Rose. Der lächelnde Mann von der SPD macht weiter. Sie hätte sich keine Sorgen machen müssen, er lässt niemanden aus. Auch nicht die älteren Männer. "Für Ihre Frau", sagt Sellering. "Is' weggelaufen", brummt einer. "Dann für die Nachbarin." Beide grinsen. Die Parteien haben sich viel ausgedacht zuletzt, Wahlkampf auf Internetforen, moderne Sachen halt. Rosen verschenken ist eher alte Schule. Wer einmal angesehen hat, was für eine Qual das sein kann, wenn die Leute einem die Blumen nicht abnehmen, der wird nie wieder Politiker um Privilegien beneiden. Erwin Sellering vermag den Eindruck zu erzeugen, dass er es genießt, weil er die Leute mag.

Der 62-Jährige ist erst knapp drei Jahre Regierungschef. Als er anfing, kannte ihn fast niemand, um die SPD stand es schlecht. Er kommt, das hört jeder an seinem Ruhrgebiets-Singsang, nicht von hier. Was Fremde, und erst recht Politiker, aus dem Westen angeht, stehen sie hier im Ruf, mufflig zu sein, nach all den düsteren Jahren in diesem Land, das als verloren und abgehängt galt. Das Lächeln üben sie angeblich im Keller, und nicht jeder hat einen. Aber Sellering scheint auf einer Welle zu reiten.

Er weiß, was man über die Leute hier sagt. "Aber wenn man zu ihnen kommt, sind sie herzlich." In Umfragen liegt er weit vor allen Konkurrenten. Vor dem Stand des Vietnamesen mit den glitzernden Shirts erzählt eine Frau, dass sie wieder Arbeit sucht. Über ein Jahrzehnt hat die Diplom-Ökonomin bei einer Beschäftigungsgesellschaft gearbeitet. Nun ist Schluss. "Geben Sie nicht auf", ermuntert er sie. "Die Situation wird besser." Sie lächelt kaum, die Rose in der Hand. "Ich bin über fünfzig. Da nicht." Sellering sagt noch einmal: "Doch, es wird besser. Die Alten werden wieder gebraucht." Sie guckt skeptisch, aber sie fühlt sich nicht veralbert.

Es muss sich etwas geändert haben im Nordosten. "Es ist ja nicht norddeutsch, so auf die Sahne zu hauen", sagt Sellering, und wer noch vor fünf Jahren das Gute herausstellen wollte, der wurde schnell verspottet: Ja, ja - die blühenden Landschaften. Vor seiner ersten Regierungserklärung 2008 haben sie sich in der Staatskanzlei lange gefragt: Sollten sie auch von Erfolgen reden?

Behutsam fingen sie an. Inzwischen sagt er laut, wie viel geschafft wurde. "Wir sind hier wirklich gut vorangekommen. Wir können stolz sein." Er hat es ausprobiert und ist sicher, es kommt an. "Es ist wie mit dem Glas Wasser. Ich glaube, dass es guttut, wenn wir nicht mehr sagen: Es ist halb leer." Er spüre, dass die Menschen es jetzt halb voll sehen wollen. Also zählt er Erfolgsdaten auf, von der deutlich gesunkenen Arbeitslosenrate bis hin zu den Lehrstellen, von denen es in diesem Jahr zum ersten Mal mehr gibt als Bewerber. Aber die Stimmung ist nicht euphorisch. Zu Sellerings Repertoire gehört der Satz, dass "es große Disparitäten im Land gibt und es in einigen Regionen nur schwer vorangeht". Noch sind viele geprägt von den Jahren, in denen fast jeder Jugendliche das Land zum Lernen verlassen musste. "Wir können in die Schulen fahren und den Eltern sagen: Jeder kriegt eine Lehrstelle. Und die Leute glauben es nicht."

Vielleicht haben die Leute einfach aufgehört, noch mehr zu erwarten, oder sie würdigen, dass er immer auch dazu sagt, was noch fehlt. "Die Löhne sind viel zu niedrig. Die müssen hoch." Er tut nicht, als ob er von hier kommt. Aber seine Geschichte klingt fast noch schöner für die Einheimischen. Sellering kam aus Sprockhövel in Nordrhein-Westfalen. Er war dort Verwaltungsrichter. 1994 machte er in der Nähe von Greifswald Urlaub mit der Familie. Sie reisten zur einen Seite nach Usedom, zur anderen nach Rügen. Auf dem Rückweg stimmten sie ab und entschieden, nach Greifswald zu ziehen. Er wurde dort Richter, trat in die SPD ein und kam 1998 als Abteilungsleiter in die Staatskanzlei nach Schwerin, bevor er zwei Jahre später Minister wurde. So entdeckte er den Osten für sich und fand einen Umgang mit dem Osten, der hier ankommt.

Wenn er auch kein gelernter DDR-Bürger ist, wie man hier oft sagt, so kämpft er doch für das, was er eine angemessene Würdigung von DDR-Biographien nennt. "Viele haben in der DDR Beachtliches geleistet." Und nach der Wende hätten sie oft mehrmals den Job verloren. All das werde nicht genug anerkannt. Sellering hat die Umfragen im Kopf, die belegen, dass viele Ostdeutsche sich nicht gewürdigt fühlen. Und er wittert Versuche, ihr Leben in der DDR gering zu achten. Deshalb hat er sich in der Debatte, ob die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei, gegen diesen Begriff gewehrt. Gewiss habe es in der DDR viel Unrecht und Willkür gegeben. Aber: "Diejenigen, die auf diesem Begriff beharren, wollen ganz häufig einen Stempel darauf drücken", sagt er, "als hätte es nichts Positives in diesen Leben gegeben."

Bürgerrechtler werfen ihm vor, sich anzubiedern. Aber in der Staatskanzlei haben sie die Stapel mit den Reaktionen nebeneinandergelegt und wunderten sich nicht, dass sich die Mehrheit über ihn freute. Die politischen Gegner im Land können ihren Respekt schwer verbergen - für den Standpunkt, oder weil sie finden, dass Sellering das geschickt macht. Eine Woche vor der Wahl sind alle auf ihn ausgerichtet. Die CDU möchte gern in der großen Koalition weiter regieren, auch als kleiner Partner. Die Linke hat mit ihrem Spitzenkandidaten Helmut Holter eine Liste aufgestellt, die "Sellering-Liste" genannt wird, weil sie so kommod für den Ministerpräsidenten ist. Nach jüngsten Umfragen wird sogar über Rot-Grün spekuliert.

Sellering lässt alles offen. Mit der CDU sei es gut gewesen, sagt er, auch mit der Linken ließe sich regieren. Seine größte Sorge scheint zu sein, dass die guten Umfragewerte am Ende nicht eingefahren werden. Es gibt so wenig Streit in diesem Wahlkampf, alles scheint entschieden zu sein, und so muss er eine geringe Wahlbeteiligung befürchten, die auch die schwächer gewordene NPD wieder in den Landtag bringen könnte. Am Nachmittag, er ist jetzt in Teterow, schickt Sellering einen Mitarbeiter los, Rosen holen. Eigentlich ist das nicht geplant. Aber er entert die Apotheke, einen Drogeriemarkt, den Buchladen. Bald sind die Blumen alle. Mehr Rosen, sagt der Mitarbeiter, hätte der Laden nicht gehabt.

© SZ vom 27.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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