Tsunami nennt er seine Wahlkampftour, und je näher nun die Parlamentswahl in Italien rückt, desto mehr jagt Beppe Grillo damit den etablierten Parteien Angst ein: Es könnten tatsächlich Wählerstimmen in einer großen Welle zu seiner Protest-Bewegung Cinque Stelle fließen. Auf 15 bis 20 Prozent kam sie in Umfragen vor zehn Tagen, seither dürfen keine neuen Werte mehr veröffentlicht werden. Aber im Politikbetrieb in Rom wird gemunkelt, dass Grillo seither mächtig zulegt haben soll. Bis zu 30 Prozent der Italiener werden sich erst im letzten Moment vor der Wahl entscheiden, deswegen sind große Verschiebungen durchaus denkbar.
Vor allem Wählern unter 25 Jahren gefällt Beppe Grillo. Der versucht auf den Plätzen der Städte die Wankelmütigen für seine Bewegung zu gewinnen, die sich gegen jede Partei und jeden Parteipolitiker richtet. Grillo ist ein Meister darin, alles und alle lauthals zu kritisieren. Er schreit sich regelmäßig heiser, als Komiker hat er Pointen parat: "Wer glaubt, dass Berlusconi lebt, der glaubt auch, dass Meister Proper lebt!" Und er benutzt reichlich Schimpfworte. Meist dauert es nur wenige Minuten, bis er zum ersten Mal von "Arschgesichtern" redet, wenn er sich über Politiker auslässt. Keinen lässt er mehr gelten, und natürlich bietet ihm die Politik der vergangenen Jahrzehnte sehr viel Angriffsfläche.
Er wettert über Korruption und Verschwendung von öffentlichem Geld, über Parteienfinanzierung und zu hohe Steuern. Den kleinen Unternehmern soll geholfen werden, fordert Grillo. Das trifft den Nerv vieler Bürger. Leute, die links gewählt haben bisher, haben nun Sympathie für ihn. Aber Zulauf hat er nun im Norden auch von bisherigen Anhängern der fremden- und europafeindlichen Lega-Nord. Wie die Lega fordert Grillo ein Referendum über den Euro, und er ist auch dagegen, dass die Staaten irgendetwas von ihrer Souveränität an Europa abgeben.
Grillo hat einiges mit Berlusconi gemeinsam
Inzwischen keilt auch Silvio Berlusconi gegen Grillo - aus Angst, Stimmen an ihn zu verlieren: "Eine Gefahr für die Demokratie" nennt ausgerechnet der Ex-Premier den Komiker, der sich weder links noch rechts einordnen lässt. Doch etwas hat er mit Silvio Berlusconi gemeinsam, auch wenn sein Stil ein ganz anderer ist: Beppe Grillo ist genauso Selbstdarsteller und Populist wie der Mann, den er seit Jahren verdammt.
Hässliche Geschichten sind in den vergangenen Monaten ans Licht gekommen, die das Image von der ganz und gar demokratischen Protestbewegung beschädigt haben: Es kam heraus, wie autokratisch Grillo alles bestimmt bei den Cinque Stelle: Wer kandidieren darf, wer in die Medien darf, Ausschlüsse hat es gegeben. Und es wurde ruchbar, dass es keineswegs so transparent zugeht, wie es den Anschein erwecken soll.
Es sah so aus, als sei die Bewegung nach dem Erfolg bei den Regionalwahlen in Sizilien auf dem absteigenden Ast. Doch jüngst hat sich das wieder geändert. Während die anderen Politiker ihren Wahlkampf wegen der Kälte bis vor wenigen Tagen nur in Hallen und Fernsehstudios führten, hat der 64 Jahre alte Grillo von Anfang an als Bühne die großen Plätze gewählt. Immer mehr Leute sind zu seinen Auftritten geströmt, die er wie Shows zelebriert. 30.000 waren es gerade in Turin, am Freitag vor der Wahl will er in Rom vor der Laterankirche gar 100.000 Leute versammeln. Dazu kommt ein riesiges, unsichtbares Publikum: Zehntausende verfolgen Grillos Auftritte per Livestream im Internet.
Kritische Fragen beantwortet Grillo nicht gern
Das ist sein Medium, dank ihm ist er groß geworden, fast nur dort teilt er sich mit, wenn er nicht gerade auf einer Bühne steht. Interviews gibt Grillo kaum, und während die anderen Wahlkämpfer von links bis rechts täglich im Fernsehen auftreten, verweigert sich Grillo da: Das sei ein Medium für Politiker, teilte er gerade mit, dort würden nur Fallen gestellt. Kritische Fragen beantwortet der Selbstdarsteller mit der grauen Lockenmähne eben nicht so gerne. Jetzt, da es keine Umfragen mehr öffentlich gibt, spekulieren einige schon, die "Grillini" könnten gar als stärkste oder zweitstärkste Kraft aus der Wahl am 24./25. Februar hervorgehen.
Der sozialdemokratische Europa-Abgeordnete Roberto Gualtieri hält das nicht für möglich, wie er am Dienstag der Süddeutschen Zeitung sagte: Cinque Stelle könne wegen seiner Schwäche in einigen Regionen im Senat höchstens 15 Prozent der Sitze erreichen und auch im Abgeordnetenhaus werde es keinesfalls zur Mehrheit reichen. Aber besorgniserregend findet er den Erfolg der Fünf Sterne auch.
Beppe Grillo selbst übrigens, das ist eine der großen Besonderheiten, kandidiert nie für irgendein Mandat, auch jetzt nicht. Der Hintergrund ist tragisch: 1981 verursachte Grillo einen schweren Autounfall. Drei Menschen starben, ein befreundetes Ehepaar und deren kleiner Sohn. Grillo wurde wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Nach dem Gesetz könnte er kandidieren, aber nicht nach den Regeln der Cinque Stelle - da darf kein Vorbestrafter antreten für ein öffentliches Amt. Er redet nicht viel über die Sache. Aber die Tochter des Ehepaars hat sich jetzt nach all den Jahren in einer Zeitschrift zu Wort gemeldet: Warum, fragte sie da, hat sich Beppe Grillo eigentlich nie gemeldet, um zu hören, wie es mir geht? Eine Antwort hat sie noch nicht bekommen.