Wahlkampf in den USA:Obama und Romney liefern sich Video-Kleinkrieg

Wie attackiert man einen populären US-Präsidenten? Die Republikaner setzten in ihrem neuesten TV-Spot auf Mütter mit Zukunftsangst, die aus Enttäuschung über Barack Obama in die Kamera seufzen. Das Obama-Lager reagiert mit einer Frontalattacke auf Romneys Vergangenheit als Investmentbanker.

Matthias Kolb, Washington

Es ist eine typische Vorort-Szene. Im Hof spielen ein Junge und ein Mädchen Basketball, die Mutter öffnet das Fenster und blickt hinaus. Aus dem Off ertönt eine Frauenstimme: "Ich habe es immer geliebt, ihnen beim Basketball zuzusehen. Das tue ich heute noch, obwohl sich viel geändert hat."

Die Mutter fährt sich durchs lange braune Haar, das plötzlich kurz und grau ist. Die Kinder, die nun am Essenstisch sitzen, mussten nach dem College zu Hause einziehen, denn "sie finden keinen Job, um ihre Karriere zu beginnen". Sie könne nun nicht in Rente gehen, heißt es weiter.

In zehn umkämpften swing states wie Ohio, Florida, Virginia oder North Carolina werden die Wähler die sanfte Stimme in den nächsten drei Wochen sehr oft hören, wenn sie den Fernseher anschalten. Zehn Millionen Dollar investiert die Organisation Crossroads GPS von Karl Rove, dem Chefstrategen von George W. Bush, um folgende Botschaft in die Wohnzimmer zu tragen: Unter Barack Obama geht es Amerika schlechter als zuvor. "Ich habe Präsident Obama unterstützt, weil er so schön geredet hat. Er versprach Wandel, doch alles wurde schlimmer", klagt die Frau in dem TV-Spot.

"Wir müssen vorsichtig mit der Enttäuschung umgehen"

Akribisch wurde an dem Video gearbeitet: Die Crossroads-Strategen führten Interviews mit 18 Fokusgruppen in verschiedenen Bundesstaaten und testeten einige Botschaften. Schnell wurde klar: Harte Attacken auf Obama kommen nicht gut an.

"Die Leute wollen nicht dauernd hören, dass sie 2008 einen schrecklichen Fehler gemacht haben. Wir müssen vorsichtig mit dieser Enttäuschung umgehen", sagte Stephen J. Law der der New York Times. Er ist zugleich Präsident von Crossroads GPS und dem Wahlkampffinanzier-Club American Crossroads. Er weiß: Obamas Beliebtheitswerte sind höher als die Zustimmung für seine Arbeit - und der Amtsinhaber ist populärer als Herausforderer Mitt Romney.

In St. Louis erzählten mehrere Mütter ähnlich traurige Geschichten, die im Clip Basketball verdichtet wurden. Er ist zugleich ein Seitenhieb darauf, dass Obama gern medienwirksam ein paar Körbe wirft. Doch auch wenn das neue Video auf den ersten Blick sanfter mit dem demokratischen Gegner umgeht als etwa 2004, als Spots mit der Gruppe "Swift Boat Veterans for Truth" das Kriegsheld-Image von John Kerry zu stören versuchten, verberge sich die "harte Faust in einem Handschuh", heißt es auf der Website factcheck.org.

Viele Punkte entpuppen sich als falsch

Die unabhängige Organisation, die Aussagen von Politikern und Wahlwerbung überprüft, hat in dem Clip zahlreiche Fehler, Zuspitzungen und Verdreher entdeckt. Auch wenn sich immer mehr College-Absolventen schwer tun, einen Job zu finden, lag die Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe 2011 bei 10,3 Prozent und im April 2012 bei 8,2 Prozent. Es sei also äußert unwahrscheinlich, dass zwei erwachsene Kinder arbeitslos sind und zu ihrer Mutter zurückkehren müssten.

Auch andere Punkte, mit der die Sprecherin im Video begründet, dass unter Präsident Obama alles schlechter geworden sei, entpuppen sich als falsch: So wachsen weder die Staatsausgaben in Rekordtempo noch die Kosten für Benzin. Auch die Behauptung der Romney-Kampagne, Steuern zu senken und Schulden abzubauen sei der einzige Weg zu mehr Beschäftigung, ist laut factcheck.org irreführend: Seit Februar 2010 entstanden in den USA 3,7 Millionen Jobs. Und als Arbeitgeberin hat die Video-Mama von Bushs Steuersenkungen profitiert, die Obama verlängert hat - was im Clip verschwiegen wird.

Die Demokraten schlagen zurück

Während in Basketball nur Schauspieler auftreten, setzten die Demokraten in ihrem Konkurrenz-Spot Steel auf die Authentizität von Stahlarbeitern aus Kansas City. Sie berichten im Video, wie ihre Fabrik GST Steel nach der Übernahme durch die Romney-Investment-Firma Bain Capital pleite ging. "Sie waren wie Vampire, sie haben uns ausgesaugt", klagt Jack Cobb, während sein Kollege Joe Soptic ergänzt: "Ich bin wütend. Diese Leute sind doch alle reich, sie haben mehr, als sie jemals ausgeben können. Sie kümmern sich nicht, um die Leute, die ihr Geld verdienen."

Zwischen diese Aussagen sind Wahlkampfauftritte von Mitt Romney geschnitten, in denen er die eigene Erfahrung in der Privatwirtschaft lobt. Für Soptic und die anderen Arbeiter ist klar: Sollte Romney ins Weiße Haus einziehen, wird er nichts für die normalen Amerikaner tun. Der zweiminütige Clip endet mit den Worten des Präsidenten: "I am Barack Obama and I approve this message."

Dass Obama diese Botschaft unterstützt, löste heftige Debatten in den US-Medien aus. Das Romney-Team stellte flugs einen Clip über eine andere Stahlfabrik ins Netz, die dank des Investments von Bain Capital prosperiert, und warf dem Präsidenten vor, antikapitalistisch zu sein.

"Genug ist genug"

Doch auch bei den Demokraten ist die Frontalattacke umstritten. Cory Booker sagte in der TV-Sendung Meet the Press, die Amerikaner seien diese Schmutzkampagne leid: "Genug ist genug". Zudem habe Bain Capital vielen Firmen geholfen, betonte der afro-amerikanische Bürgermeister von Newark.

Kurz darauf fand sich der Demokrat Booker als Kronzeuge im Romney-Clip Big Bain Backfire wieder. Und Obama sah sich während des Nato-Gipfels in Chicago genötigt, Stellung zu beziehen. Er zog erneut Romneys Eignung in Zweifel: "Ich sage nicht, dass er nicht gut in seinem alten Job war. Aber im Gegensatz zum Chef einer Investmentfirma ist es nicht die Aufgabe des Präsidenten, Profite zu maximieren."

Nicht nur der ähnliche Aufbau der Videos lässt vermuten, dass Obama und seine Berater ähnlich wie Senator Ted Kennedy im Wahlkampf 1994 vor allem darauf setzen, Romneys Expertise als Wirtschaftsfachmann in Frage zu stellen (hier ein alter Kennedy-Clip zum Vergleich). In diesem Punkt ist Romney durchaus angreifbar: Seine Aussage, bei Bain Capital 100.000 Arbeitsplätze geschaffen zu haben, ist nur schwer haltbar (weitere Details bei der Washington Post) und neben GST Steel finden sich genug Beispiele, in denen Firmen nicht gerettet wurden. Steven Rattner, Obamas Beater für die Automobil-Branche, konstatiert in der New York Times: "Es war nicht Romneys Jobs, neue Jobs zu schaffen."

E. J. Dionne, Professor an der Georgetown University und Kolumnist der Washington Post, hält die Debatte für äußerst wichtig. Es geht Dionne zufolge zwar nicht um Sozialismus versus Kapitalismus, aber dennoch um eine Grundsatzentscheidung: Die Amerikaner müssten sich im November entscheiden zwischen einer sozialen Marktwirtschaft à la Deutschland oder einem entfesselten Kapitalismus à la Romney, in dem die Regulierung der Finanzmärkte weiter gelockert werde.

Dieser Frage könnten sich dann auch jene - fiktiven oder realen - Mütter nicht entziehen, die sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder machen. Linktipp: Der einstige Wahlkampfmanager von Ted Kennedy, Bob Shrum, vergleicht in einer Kolumne des Magazins The Week die beiden Bain-Kampagnen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: