Wahlkampf in den USA:Obama gegen alte Freunde

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Barack Obama muss über die Wall Street schimpfen, wenn er die Basis mobilisieren will. Im Wahlkampf gegen seinen republikanischen Konkurrenten, den Finanzinvestor Mitt Romney, setzt der Demokrat jetzt auf klare Parolen. Die Strategie ist riskant: Obama könnte so bisherige Unterstützer verprellen.

Nikolaus Piper, New York

"Sie waren wie Vampire", sagt Jack Cobb. "Sie flogen ein und saugten das Leben aus uns heraus." Jack Cobb war 31 Jahre lang Arbeiter bei GST Steel, einem inzwischen stillgelegten Stahlwerk in Kansas City. Dann kamen die Finanzkapitalisten von Bain Capital mit ihrem Chef Mitt Romney. Sie erwarben GST Steel, zogen das letzte Geld aus der Firma und schickten sie dann in den Bankrott, so Cobbs Darstellung. "Wir sehen Mitt Romney als einen Job-Zerstörer", sagt einer seiner Kollegen.

Barack Obama greift Mitt Romney jetzt frontal an. Er wirft seinem Gegner vor, früher als Finanzinvestor auf der Jagd nach Gewinn Jobs vernichtet zu haben. Über solche Parolen ärgert sich aber die Wall Street. (Foto: AFP)

Die Szene stammt aus dem jüngsten Wahlkampfspot von Präsident Barack Obama. Der ist vor allem deshalb so bemerkenswert, weil Obamas Leute erstmals explizit die frühere Karriere von Romney bei dem Finanzinvestor Bain Capital nutzen, um dessen wirtschaftliche und soziale Kompetenz in Frage zu stellen. Bisher hatte dies nur Newt Gingrich getan, Romneys rechter Konkurrent aus der eigenen Partei. Jetzt wird das Thema "Romney als Job-Vernichter" zur offiziellen Kampfparole der Demokraten.

Es ist eine riskante Strategie. Zum einen geht der TV-Spot recht großzügig mit der Wahrheit um: Er verschweigt, dass das fragliche Stahlwerk schon vor dem Bankrott stand, als Romney es erwarb. Zum zweiten greift die Werbung das Geschäftsmodell der Finanzinvestoren - in Deutschland gerne "Heuschrecken" genannt - an.

Damit trifft sie etliche von Obamas Beratern und Freunden. Steve Rattner, Finanzinvestor und einst Obamas Beauftragter für die Autoindustrie, kritisierte den Anti-Romney-Spot öffentlich, ebenso Cory Brooker, der Bürgermeister von Newark und bisher ein Verbündeter Obamas. "Hört auf, die Finanzinvestoren anzugreifen!" sagte er.

Ungünstiger Zeitpunkt

Vor allem jedoch dürfte sich das ohnehin gespannte Verhältnis Obamas zur Wall Street weiter verschlechtern. Eine Episode am Rande: Vorige Woche reiste der Präsident nach New York, um Spenden zu sammeln - kurz nachdem der umstrittene Wahlspot erschienen war. Den "Fundraiser" richtete ausgerechnet Hamilton James aus, Präsident der mächtigen Private-Equity-Firma Blackstone - eine Oberheuschrecke sozusagen.

Die Teilnehmer an dem erlesenen Kreis von Hedgefonds-Managern und Finanzinvestoren zahlten je 35 800 Dollar, um am Abendessen mit Obama in Hamiltons Wohnung an der Park Avenue teilzunehmen. "Die Leute waren einfach ungläubig", zitierte die New York Times einen Teilnehmer. "Hätten sie nicht wenigstens eine Woche damit warten können?"

Obama und das große Geld, das ist ein Drama, das durchaus den Ausgang der Wahl am 6. November beeinflussen könnte. Seit der Amtszeit von Bill Clinton herrschte Freundschaft zwischen der Wall Street und den Demokraten. Clintons Finanzminister Robert Rubin und Lawrence Summers verfügten über enge Verbindungen in den Finanzsektor. Auch Obama hatte bei seiner Wahl vor vier Jahren die Wall Street hinter sich.

Jamie Dimon, der Chef von JP Morgan Chase, der inzwischen größten Bank Amerikas, stand Obama so nahe, dass er eine Zeitlang als Finanzminister im Gespräch war. Minister wurde dann Timothy Geithner, ebenfalls ein Gewächs der Wall Street. Geithner verhinderte auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, dass Großbanken verstaatlicht wurden, so wie es etliche den Demokraten nahestehende Professoren gefordert hatten.

Doch dann verschlechterte sich das Verhältnis zusehends. Ein wichtiger Faktor dabei dürfte das Gesetz zur strengeren Regulierung der Finanzmärkte gewesen sein. Der "Dodd-Frank Act" zwingt die Wall Street zwar nicht zur Änderung ihres Geschäftsmodells, aber er zieht Kontrollen ein und begrenzt bestimmte besonders riskante Geschäftspraktiken. Das Gesetz war überfällig, aber einige Chefs an der Wall Street glaubten, sie könnten nach der Finanzkrise einfach weitermachen wie bisher. Insofern war die Enttäuschung wohl unvermeidbar.

Unter Clinton boomte die Wirtschaft, da war es auch leicht, Wähler aus der Mittelklasse, Unternehmer aus dem Silicon Valley und Finanziers aus New York in einem Bündnis zusammenzubringen. In der Krise geht das nicht mehr. Der Konsens zwischen Demokraten und Wall Street sei unter dem Druck der Ereignisse erodiert, sagt der frühere Clinton-Berater William Galston. "Die Tiefe, die Schwere und die Dauer der Großen Rezession hat die Spannungen im Land und in der Demokratischen Koalition verschärft."

So enden Freundschaften

Obama hat den Unwillen von Bankern, Hedgefonds-Managern und Private-Equity-Leuten zusätzlich durch seine gelegentlich scharfe Polemik über die "Bonzen an der Wall Street" erregt. Es ist ein Dilemma: Obama muss über die Wall Street schimpfen, wenn er seine Basis mobilisieren will, besonders seit es "Occupy Wall Street" gibt. Aber er entfremdet damit einen Teil seiner früheren Verbündeten.

Wie groß diese Entfremdung ist, lässt sich in Dollar und Cent bemessen: Nach Angaben des überparteilichen Centers for Responsive Politics hat Obama im Finanzsektor bisher 8,39 Millionen Dollar an Spenden gesammelt, Mitt Romney dagegen 19,2 Millionen. Vor vier Jahren war das Verhältnis zwischen Obama und seinem Gegenkandidaten John McCain genau umgekehrt.

Die fünf größten Spender für Romneys Wahlkampf sind bisher die Beschäftigten von Goldman Sachs (573.000 Dollar), Bank of America (398.850), JP Morgan Chase (393 825), Morgan Stanley (373.850) und Credit Suisse (317.410). Auf Obamas Liste der Spender findet sich unter den Top fünf keine einzige Finanzfirma. Vor vier Jahren hatten alleine die Beschäftigten von Goldman über eine Million Dollar für Obama gespendet.

Ein prominenter Wechsler ist Jamie Dimon von JP Morgan. Der frühere Obama-Verbündete erklärte öffentlich, er sei "kaum noch ein Demokrat". Dimon kämpfte monatelang darum, dass das Dodd-Frank-Gesetz so harmlos wie möglich ausfällt. Dann musste er zugeben, dass seine Bank innerhalb weniger Wochen einen Spekulationsverlust von weit über zwei Milliarden Dollar erlitten hat. Obama seinerseits nützt Dimons Debakel nun, um Druck auf eine strengere Gesetzgebung zu machen. So enden Freundschaften.

© SZ vom 26.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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