Süddeutsche Zeitung

Wahlkampf in Arizona:Latinos bekämpfen "Amerikas härtesten Sheriff"

Trump verehrt ihn, Obamas Regierung hat ihn verklagt: Sheriff Joe Arpaio verfolgt Einwanderer in Arizona kompromisslos. Junge Latinos machen nun gegen seine Wiederwahl mobil.

Von Matthias Kolb, Phoenix

Im Eingangsbereich des Polizeihauptquartiers in Phoenix steht eine Vitrine. Darin liegen ein graues T-Shirt mit der Aufschrift "Amerikas härtester Sheriff", ein rosafarbener "Go Joe"-Wimpel und pinke Boxershorts, auf denen die Unterschrift von Joe Arpaio prangt. Pinke Boxershorts, das hat Arpaio verfügt, müssen die Häftlinge im Gefängnis von Maricopa tragen. Damit sie keine Wäsche klauen. Und natürlich, um sie zu demütigen.

Joe Arpaio, oberster Polizist in Maricopa County, Arizona, ist der wohl berühmteste Sheriff der USA. Seine Methoden sind, je nach Blickwinkel, eigenwillig oder menschenverachtend. Arpaio steckt seine Gefangenen nicht nur in pinke Unterwäsche. Aus Kostengründen bringt er sie auch in Zeltstädten unter - und das im Wüstenstaat Arizona, wo es im Sommer weit mehr als 40 Grad heiß wird. Die Regeln, die in diesen Zeltstädten gelten, sind auf ein anderes T-Shirt gedruckt, das in der Vitrine präsentiert wird: keine Zigaretten, keine Pornohefte, kein Kaffee. "Verbrechen lohnt sich nicht", steht darüber.

Seit 1993 ist Arpaio Sheriff, sechs Mal wurde der heute 84-Jährige gewählt. Am 8. November, wenn neben dem US-Präsidenten und einem neuen Kongress auch viele Ämter auf regionaler und lokaler Ebene gewählt werden, wird er wieder kandidieren. Doch diesmal wird es knapp für den Mann, den alle "Sheriff Joe" nennen. Die Stimmung hat sich gedreht unter den vier Millionen Einwohnern im Bezirk um die Metropole Phoenix. Der Widerstand wächst.

Arpaio wurde zum Idol für Fox News

Etwa 500 Bürger und Aktivisten feiern am Samstag vor dem Polizeihauptquartier eine vorgezogene "Ruhestandsparty" für Arpaio, mit Live-Musik, Picknick und einem aufblasbaren Arpaio in Häftlingskleidung. Als der echte Sheriff im Inneren des Eingangsbereichs ein TV-Interview gibt, laufen die Leute aufs Gebäude zu und rufen "Verhaftet Arpaio, nicht die Menschen" oder "Wenn das Volk zusammensteht, ist es unbesiegbar." Alles wird auf Facebook live übertragen, Fotos mit #BaztaArpaio bei Twitter und Instagram hochgeladen. Die meisten Demonstranten sind unter 30, viele tragen rote T-Shirts mit "Bazta Arpaio"-Logo: So heißt die Organisation, die genug hat von diesem Sheriff.

"Seit ich denken kann, heißt der Sheriff hier Joe Arpaio und seit Jahren nimmt der Hass auf uns Einwanderer zu", sagt Leidy Robledo, als die Protestrufe verstummt sind. Die 25-Jährige arbeitet bei "Bazta Arpaio". Sie ist US-Bürgerin, in Phoenix geboren. Doch ihre Eltern und viele Verwandte haben keine Aufenthaltserlaubnis. Sie leben seit Jahren in Angst vor Arpaio und seinen Cops. "Mein Onkel und mein Vater sind Bauarbeiter und mussten sich stundenlang verstecken, als die Polizei Razzien durchführte", sagt sie. "Er terrorisiert uns und unser Leben."

2010 verabschiedeten die Republikaner in Arizona das Gesetz "SB 1070". Es erlaubt der Polizei, alle "verdächtig scheinenden Menschen" nach Ausweispapieren zu fragen. Ein kaputter Blinker oder ein unachtsamer Spurwechsel können seitdem reichen, um angehalten zu werden. Arpaio schickte seine Leute in die Viertel im Süden von Phoenix, wo vor allem Hispanics wohnen. Wer keinen Führerschein hatte, wurde verhaftet und abgeschoben - so wurde Arpaio landesweit bekannt und zum Idol für Fox News und das konservative Talkradio.

Es dauerte Monate, bis ein Bundesrichter dieses racial profiling (Fahndung nach rassistischen Kriterien) untersagte. Doch Arpaio und seine Cops ignorierten den Beschluss zunächst. Er sei tough on immigration und tue nur seinen Job, rechtfertigte sich der Sheriff.

"SB 1070" hat Tausende Familien auseinandergerissen und eine Generation junger Hispanics politisiert. "Für Arpaio sind wir Latinos keine Menschen", ruft Audisey Alvarado. Sie ist Sozialarbeiterin an einer Highschool. In ihrer Freizeit klopft sie an die Türen von Latinos, damit sie am 8. November gegen Arpaio stimmen. Allein am Protest-Wochenende kontaktierten 500 Aktivisten bei praller Hitze 13 000 Wähler - manche waren aus Solidarität aus Chicago oder North Carolina angereist.

Die 20-Jährige Alvarado weiß, dass Tweets und Facebook-Posts allein nicht ausreichen - bei der Wahl 2012 hatten die Proteste unter dem Motto "Adios Arpaio" noch keinen Erfolg. "Wir fürchten uns vor niemandem", sagt Alvarado selbstbewusst und nennt einige Zahlen: Ein Drittel der Bevölkerung in Arizona ist Hispanic und die aktuellste Umfrage der Zeitung Arizona Republic gibt Arpaios Herausforderer Paul Penzone einen Vorsprung von 15 Punkten.

Audisey Alvarado und ihre Mitstreiter möchten noch ein anderes Signal senden: "Was Arpaio und Trump machen, das ist so unamerikanisch. Unser Land ist besser als das." Rund um Phoenix ist zurzeit oft ein spanisches Sprichwort zu hören: "Dime con quién andas, y te diré quién eres", also auf Deutsch: "Sag mir, wer an deiner Seite steht und ich sage dir, wer du bist."

Dass die Republikaner ausgerechnet Donald Trump ins Weiße Haus schicken wollen, ist laut Aktivistin Leidy Robledo eine zusätzliche Motivation. Manche sprechen schon vom Kampf gegen "Trumpaio", sagt sie: "Wir erinnern unsere Leute daran, dass es die Regierung in Washington ist, die Arpaio gestoppt hat. Wenn Trump im Weißen Haus sitzt, dann gibt es keine Grenzen für Sheriff Joe."

Arpaios Krawattennadel hat die Form einer Pistole

Sheriff Joe empfängt am Vortag der Protestaktion in seinem Eckbüro im fünften Stock. Im Gang hängt ein Ölgemälde von ihm, auf dem Beistelltisch sind Magazine drapiert, auf deren Titelbildern Joe Arpaio abgebildet ist. Das Büro ist ein Museum: An allen Wänden hängen gerahmte Zeitungs- und Magazinartikel, die sein Image in die Welt hinausgetragen haben: Arpaio ist Amerikas "härtester" oder wahlweise "bösester" Sheriff.

Der 84-Jährige ist Medienprofi ("ich habe ausländischen Reportern 4000 Interviews gegeben, Sie sind Nummer 4001"), charmant im persönlichen Umgang und hat auf jede Frage eine passende Anekdote. Er weiß, wie er sich inszeniert - seine Krawattennadel hat die Form einer Pistole. Wenn ihm jemand Egomanie und Mediengeilheit vorwirft, sagt er: "Mir geht es um Transparenz. Ich rede mit jedem und lasse alle in mein Gefängnis." Die vielen Demonstrationen stören ihn nicht: Er empfindet sie als Auszeichnung.

Die Parallelen zu Donald Trump sind unübersehbar: Auch der Immobilien-Mogul dekoriert sein Büro mit Devotionalien und Bildern von sich selbst. Wie Trump schreckt Arpaio vor keiner provokanten Aussage zurück. Er ist eine Art Proto- oder Ur-Trump: Als überzeugter "Birther" ließ er lange ermitteln, ob Präsident Obama wirklich auf Hawaii geboren wurde. Aus dem New Yorker Trump Tower erhielt er Dankesbriefe.

Seine Bewunderung für den Geschäftsmann verbirgt Arpaio nicht: "Trump hat ein großes Herz. Meine Frau ist sehr krank, aber er ruft sie ständig an." Trump sei ein winner, sagt Arpaio, das habe er sofort gespürt. Wenn der Präsidentschaftskandidat in Arizona auftritt, steht Sheriff Joe mit ihm auf der Bühne. Zusammen schimpfen sie dann über Latinos, die "Verbrecher" seien und Drogen ins Land brächten. Dass sie keine Nuancen mögen - auch das haben Trump und Arpaio gemeinsam.

Arpaio ist überzeugt, dass der Republikaner am 8. November zum Präsidenten gewählt wird, aber selbst wenn es nicht so kommen sollte, habe er das Land zum Guten verändert: "Wir müssen Trump danken, dass er das Thema der illegalen Einwanderung auf die Tagesordnung gesetzt hat. Niemand wollte darüber reden." Die New York Times hat es so formuliert: "Arpaio verkörpert das, was Trump sich für die Zukunft ausmalt."

Im 40 Minuten langen Interview sagt Arpaio nichts Positives über Latino-Einwanderer, die zum Teil vor Gang-Gewalt flohen oder der Armut entkommen wollten. Er zieht sich auf eine Hardliner-Position zurück: "Meine Eltern kamen aus Italien und wurden in Ellis Island durchgecheckt. Alles muss legal ablaufen, mir geht es nur um Fairness." Den Mexikanern müsse man klarmachen, dass sie die Grenzen dichtmachen müssen, fordert Arpaio. "Die Drogen müssen draußen bleiben." Abschreckung ist sein bevorzugtes Werkzeug. Er steckt auch Schüler mit Einwilligung der Eltern einen Tag in sein "Tent City"-Gefängnis, damit diese nicht auf die schiefe Bahn geraten.

Wie sein Gesinnungsgenosse Trump lehnt es Arpaio ab, sich für irgendetwas zu entschuldigen oder auch nur den geringsten Fehler einzugestehen. Er inszeniert sich als Opfer einer linken Verschwörung und bittet mit diesem Argument online um Spenden. Dass sein Herausforderer Paul Penzone in Umfragen führt? "Die Zeitung Arizona Republic hasst mich und hat bei den Zahlen getrickst." Dass die Beziehung zu der Latino-Community vergiftet ist? "Die denken, ich sei der Teufel, dabei bin ich doch ein netter Kerl." Dass ihn das US-Justizministerium im Oktober wegen bewusster Missachtung des Gerichts (criminal contempt of court) angeklagt hat, weil er weiter Migranten kontrollieren ließ? "Das ist ein offensichtlicher Machtmissbrauch und eine Racheaktion der korrupten Obama-Regierung. Halten Sie es für Zufall, dass dies direkt vor Beginn der Briefwahl verkündet wird?" Hillary Clinton, die Demokratin, habe viel Schlimmeres getan, doch sie laufe frei rum.

Arpaio kann sich lange darüber aufregen, dass sein Gegner Penzone Geld von auswärtigen Gruppen und dem liberalen Milliardär George Soros erhält - doch er hat mit zwölf Millionen Dollar etwa 20 Mal mehr Geld zur Verfügung, so dass er Unmengen an TV-Werbeclips schalten kann. Dass er mit 84 Jahren überhaupt zur Wiederwahl antritt, erklärt er mit seinen italienischen Vorfahren: "Wir geben nie auf." Hätte er sich nicht den Wählern gestellt, dann wäre dies als "Eingeständnis einer Niederlage" interpretiert worden. Er bereut übrigens nichts - und würde auch in der siebten Amtszeit kaum etwas an seinem Stil ändern.

Arpaios Prozesse kosten Arizonas Steuerzahler Dutzende Millionen

Bei Tea-Party-Events wird Arpaio noch immer wie ein Rockstar gefeiert. Offenbar hat im Polizeihauptquartier niemand etwas gegen den Personenkult. Arpaio scheint überzeugt, dass seine siebte Amtszeit kurz bevorsteht. Stolz erzählt er, wie er im Juli 2015 den Tausenden Trump-Fans zurief: "Ihr seid die schweigende Mehrheit." Es sind die Weißen, denen das bunte und nicht nur Englisch sprechende Amerika nicht gefällt - der Sheriff braucht ihre Stimmen.

Doch wahrscheinlich wird es am 8. November trotzdem nicht reichen. 57 Prozent der Bürger in Maricopa County haben eine schlechte Meinung über Arpaio, was auch daran liegt, dass die Prozesse gegen die Bundesbehörden die örtlichen Steuerzahler mehr als 50 Millionen Dollar gekostet haben (hinzu kommen Millionen-Entschädigungen für Angehörige von Häftlingen, die im Zelt-Gefängnis starben oder verprügelt wurden). Zehntausende Wähler wurden neu registriert - und viele treibt die Abneigung gegen Trump und Arpaio an.

Unter den Besuchern von Arpaios Ruhestands-Party sind nicht nur Latinos. Die Afroamerikanerin Annika Wolters und ihr weißer Freund Kaiah Miller sind erst vor drei Wochen nach Arizona gezogen. Die beiden sind Anfang 20 und wollen ihre Solidarität zeigen: "Jeder hat von Sheriff Arpaio gehört und dessen Ruf schadet dem Image von Phoenix."

Momentan spricht viel dafür, dass sowohl Arpaio als auch sein Held Donald Trump in zwei Wochen genau das sein werden, was sie nicht leiden können: Sie werden als loser dastehen.

Linktipps: Die New York Times hat in einem Leitartikel erläutert, wieso Sheriff Joe Arpaio nicht wiedergewählt werden sollte. Die Bürgerrechtsorganisation ACLU hat eine Sammelklage von Migranten gegen Arpaio hier dokumentiert. Ein 80 Minuten langes Gespräch mit "Trumps politischem Paten", in dem Glenn Thrush von Politico viel nach dem Lebensweg von "Sheriff Joe" fragt, ist in diesem Podcast nachzuhören. Und mit SZ plus können Sie hier eine Seite 3 über den "Ur-Trump" Arpaio nachlesen, die weitere Details aus der Biografie des 84-Jährigen enthält.

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