Süddeutsche Zeitung

Wahlkampf:Finnen wollen den Wechsel

  • Seit drei Jahren schrumpft die Wirtschaft in Finnland. Die Nokia-Pleite, der Niedergang der Papierindustrie und die europäischen Sanktionen gegen den wichtigen Handelspartner Russland setzen dem Land zu.
  • Bei der Wahl am Sonntag wird Umfragen zufolge die regierende Nationale Sammlungspartei abgewählt.
  • Gute Chancen hat die agrarisch-liberale Zentrumspartei, die unter anderem mit Olli Rehn antritt, dem Vizepräsidenten des Europaparlaments. Auch die EU-kritische und rechtspopulistische Partei "Die Finnen" erhofft sich eine Regierungseteiligung.

Von Silke Bigalke, Helsinki

In Helsinki ist es kälter als in Brüssel. Olli Rehn hat den Vormittag vor einem Parteistand verbracht, jetzt ist er durchgefroren. Der Vizepräsident des Europaparlaments macht Wahlkampf in der Heimat. "Die Situation in Finnland ist sogar noch schlechter als vor einem Jahr", begründet Rehn, warum er den Job in Brüssel gegen einen Posten in der neuen finnischen Regierung tauschen würde.

Seine Partei, die agrarisch-liberale Zentrumspartei, hat laut Umfragen gute Chancen, die Wahl am Sonntag zu gewinnen. Parteichef Juha Sipilä würde dann vermutlich Alexander Stubb als Ministerpräsident ablösen. Dessen konservativer Nationaler Sammlungspartei sagen Umfragen das schlechteste Wahlergebnis seit den Sechzigerjahren voraus. Viele Finnen wollen den Wechsel. Sie suchen einen Weg aus der Krise, in der sie seit Jahren stecken.

Einstiger Musterschüler in der Krise

Im Wahlkampf dreht sich alles darum, wie Finnland weiter tüchtig sparen und trotzdem seine Wirtschaft wiederbeleben kann. Die ist in den vergangenen drei Jahren geschrumpft, geschockt von der Nokia-Pleite, vom Niedergang der Papierindustrie und zuletzt von den europäischen Sanktionen gegen den wichtigen Handelspartner Russland.

Von Brüssel aus habe er dabei zusehen müssen, wie sich die Lage weiter verschlechterte, so Rehn. Die Exporte litten, die Leistungsbilanz wurde negativ, die Arbeitslosigkeit stieg auf mehr als zehn Prozent. Der einstige EU-Musterschüler Finnland hat stets gegen ein zu hohes Defizit angespart. In diesem Jahr werden die Staatsschulden wahrscheinlich trotzdem die von Brüssel erlaubten 60 Prozent der Wirtschaftsleistung übersteigen.

Wunsch nach Wechsel

Die jetzige Regierung war mit großen Reformvorhaben angetreten, um dies zu verhindern. Doch sie war von Anfang an schwach, begann mit einer Koalition aus sechs Parteien, die sich fast über das gesamte politische Spektrum streckte. Die wichtigsten Reformen konnte sie nicht umsetzen. Deswegen wählen die Finnen jetzt die Opposition. "Es ist zweitrangig, wofür die Zentrumspartei eigentlich steht", sagt Erkka Railo, Politikwissenschaftler an der Uni von Turku. Die Wähler wollten einfach die jetzigen Regierungsparteien abwählen.

Das Wichtigste sei nun, die finnische Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, sagt Rehn. Er möchte dafür vor allem die hohen Lohnkosten senken, die in Finnland besonders in die Höhe geschossen sind. Danach müsse man die öffentlichen Finanzen in den Griff bekommen. Die Ziele seiner Partei unterscheiden sich wenig von denen der anderen großen Parteien. Keine hat eine bahnbrechende Vision, wie sich das Ruder herumreißen ließe.

Die Finnen nehmen die Einschnitte seit Jahren ohne viel Murren hin. Sie seien realistisch, sagt Rehn, auch in Bezug auf die EU. "Die meisten Finnen sind sicher keine Föderalisten, die die europäische Fahne schwenken", sagt er. Aber sie seien sich bewusst, dass die EU-Mitgliedschaft gut ist für Finnland. Dafür, dass sie andere Staaten vor der Pleite retten sollten, hatten die sparsamen Finnen jedoch noch nie viel Verständnis. Es gebe in Finnland immer noch eine Mehrheit für den Euro, sagt Rehn. "Aber sogar diese Mehrheit verliert ihre Geduld, weil sie keinerlei Engagement der griechischen Regierung erkennt, die notwendigen Reformen umzusetzen."

"Die Finnen" wollen diesmal mitregieren

Schon vor vier Jahren war Europa im Wahlkampf das entscheidende Thema. Damals ging es um Finanzhilfen für Portugal. Die Diskussion führte zu einem erdrutschartigen Erfolg der EU-kritischen Partei "Die Finnen". Parteichef Timo Soini versprach, dass es mit ihm kein Geld für Portugal geben werde, verweigerte dann aber eine Regierungsbeteiligung und erzwang damit quasi jene Sechser-Koalition, die Finnland seit 2011 regiert.

Jetzt möchte Soini unbedingt mitregieren, als Außenminister oder Finanzminister - zwei Posten, die auch den früheren EU-Kommissar Rehn interessieren dürften. Rehn äußert sich vor der Wahl nicht zu Spekulationen über Ministerämter, Soini tut das ganz offen. Auch er steht in diesen Tagen häufig vor Parteiständen und spricht mit Anhängern.

"Arbeiter-Partei ohne Sozialismus"

"Letztes Mal war es vor allem Protest", sagt er über den Erfolg seiner Partei vor vier Jahren. "Dieses Mal ist es Revanche." Revanche für vier Jahre Opposition. Weitere EU-Rettungspakete stehen derzeit nicht zur Debatte, Gedankenspiele über Griechenland ohne Euro sind kein Tabu mehr. Soini verschreckt niemanden mehr, wenn er sagt, mit ihm als Finanzminister wäre "die gesamte Rettungspolitik in Schwierigkeiten". Diese sei "völlig fehlgeleitet und voll von Lügen". Das Beste sei es, wenn Griechenland die Euro-Gruppe verlasse.

Dass seine Partei häufig als rechtspopulistisch bezeichnet wird, gefällt Soini nicht. Er sei konservativ, gegen Abtreibung, gegen Homo-Ehe, gegen Schwedisch als Schulpflichtfach, für ein strenges Einwanderungsrecht. Ansonsten beschreibt Soini seine Partei als "Arbeiter-Partei ohne Sozialismus". Jede der anderen größeren Parteien kann sich eine Koalition mit ihr vorstellen.

Die Partei der Finnen konkurriert nun mit den Sozialdemokraten und der Nationalen Sammlungspartei um Platz zwei im Parlament. Den Posten des Finanzministers hat derzeit Sozialdemokrat Antti Rinne. "Die jetzige Regierung ist ziemlich unbeliebt bei den Finnen", erklärt er den Erfolg der Zentrumspartei. Rinne ist erst seit vergangenem Jahr im Amt. Er hofft, dass die Wähler ihn einfach nicht mehr zur jetzigen Regierung zählen.

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Quelle:
SZ vom 17.04.2015/sks
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