Wahlkampffinanzierung in den USA:Wenn Politiker nur an Geld denken

Hier mal 1000 Dollar, dort mal 15 Millionen: US-Abgeordnete verbringen inzwischen den Großteil ihrer Zeit damit, Spenden einzusammeln. Sie brauchen das Geld, um wiedergewählt zu werden. Dadurch verschaffen sich Lobbyisten Zugang zur Macht. Bürgerrechtler sorgen sich um Amerikas Demokratie und hoffen auf die Wut der Wähler.

Matthias Kolb, Washington

Es passiert überall und zu fast jeder Zeit in Washington. Wer etwa an einem Frühstück mit dem New Yorker Abgeordneten Tim Bishop in "Johnny's Half Shell" interessiert ist, zahlt zwischen 500 und 2500 Dollar. Mindestens 1000 Dollar kosten die Teilnahme an einem Cocktailempfang mit der Demokratin Carolyn McCarthy oder an einem Lunch mit dem republikanischen Senator Tom Coburn. Es wird geplaudert, Visitenkarten werden ausgetauscht und Schecks überreicht.

Politik und Geld, Wahlkampf in USA

Demonstranten protestieren in New York gegen die Macht des Geldes in der Politik.

(Foto: AFP)

Das Ziel der Abgeordneten: Fundraising, also das Auffüllen der Wahlkampfkasse. Mindestens zwanzig dieser Veranstaltungen finden täglich in Amerikas Hauptstadt und im Rest des Landes statt, schätzen die Experten der Sunlight Foundation, die auf www.politicalpartytime.org Einladungen zu diesen Events ins Netz stellen. Es ist also kein Geheimnis, dass es zwischen 1000 und 2000 Dollar kostet, um mit dem Demokraten Mark Critz ein Baseball-Spiel zu sehen (hier die Einladung) oder mit Senator John Thune ein Konzert von Van Halen zu besuchen (Einladung hier).

Der Druck, der auf den Abgeordneten lastet, ist enorm: Das Repräsentantenhaus wird alle zwei Jahre gewählt, und wer seinen Sitz verteidigen will, benötigt mindestens eine Million Dollar. Es sind meist ehemalige Politiker wie der Demokrat Walt Minnick aus Idaho, die offen über dieses Thema reden. Minnick, der 2010 abgewählt wurde, sagte dem Radiosender NPR: "Ich musste als Abgeordneter jeden Tag zwischen 10.000 und 15.000 Dollar einwerben. Ich habe zwei bis drei Stunden pro Tag damit verbracht, um Spenden zu bitten."

Die Volksvertreter sind unterwegs, um Geld einzutreiben

Da es ihnen untersagt ist, von ihren Abgeordnetenbüros aus um Spenden zu werben, treffen sich die Politiker in Büros, die ihre Parteien in der Nähe des Kapitols angemietet haben. Jeder, der einen Scheck schicken könnte, wird angerufen: alte Unterstützer, Schulfreunde, Lobbyisten. Entgegen der üblichen Vorstellung, dass die Lobbyisten ihren Tag damit verbringen, Abgeordneten aufzulauern, sind es in Washington oft die Politiker, die Industrievertreter bitten, Fundraiser zu organisieren.

"Heute verbringt ein Abgeordneter mehr als die Hälfte seiner Zeit mit Fundraising", sagt Craig Holman von der Nichtregierungsorganisation Public Citizen im Gespräch mit Süddeutsche.de. Er beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit der Finanzierung von Wahlkämpfen und kann vom Fenster seines mit Büchern und Aktenordner vollgestopften Büros auf den Capitol Hill schauen. "Es ist ein Donnerstag im Mai, doch da draußen ist niemand. Unser Parlament tagt noch, doch die Volksvertreter sind unterwegs, um Geld einzutreiben", klagt er.

Holman weiß genau, wann das bisherige System aufgehört hat, zu funktionieren. Am 21. Januar 2010 verkündete der Oberste Gerichtshof sein Urteil im Fall Citizens United v. Federal Election Commission. Eigentlich ging es nur um ein Detail: Die Bürgervereinigung Citizens United hatte geklagt, weil ihr die Wahlkommission untersagt hatte, eine 90-Minuten-Doku über Hillary Clinton im Kabel-TV anzubieten.

Spenden in fast unbegrenzter Höhe

Doch angeführt von Chief Justice John Roberts, der noch von Präsident George W. Bush berufen worden war, widmete sich das Gericht einer anderen Frage, wie Holman erläutert: "Sie prüften, ob es rechtmäßig war, Unternehmen ein Jahrhundert lang die Finanzierung von Wahlkämpfen zu verbieten. Sie urteilten mit einer Mehrheit von 5:4 Stimmen, dass Firmen nach dem ersten Zusatz der US-Verfassung wie Individuen zu behandeln seien und ihre Redefreiheit nicht begrenzt werden dürfe."

Zwar gelten in den USA weiterhin Grenzwerte für Geldspenden, mit denen der Wahlkampf der Kandidaten unterstützt werden darf: Pro Bewerber sind höchstens 2500 Dollar erlaubt, im Präsidentschaftswahlkampf das Doppelte. Unternehmen, Verbände und Gewerkschaften dürfen den Kandidaten gar nichts geben (Details in diesem SZ-Artikel). Doch in seinem Citizens-United-Urteil ließ der Supreme Court die Gründung der formell unabhängigen Super-Pacs zu, die Unternehmen, Verbände und reiche Einzelpersonen unterstützen dürfen. Für die Wahlvereine gelten keine Limits und dank vieler Schlupflöcher bleiben Geldgeber oft unerkannt.

Die Folgen sind immens: Allein im Jahr 2010 wurden in den USA 3,5 Milliarden Dollar für Lobbying ausgeben. Die Summen, die von außen in den Wahlkampf gepumpt wurden, stiegen um 427 Prozent, hat das Center for Responsive Politics dokumentiert, eine in Washington ansässige, gemeinnützige Organisation.

Im Winter hätten weder Rick Santorum noch Newt Gingrich ohne die Unterstützung einzelner Milliardäre den Vorwahlkampf so lange durchgehalten. Craig Holman rechnet 2012 mit dem Äußersten: "Es wird eine schmutzige Wahl werden. Die Bürger werden mit Negativwerbung bombardiert und wissen nicht, wer dafür zahlt."

Der Politikwissenschaftler, dessen Expertise auch bei der EU-Kommission gefragt ist, nennt zwei Gründe für die Entwicklung: Einerseits hätten Unternehmen und Verbände wie die einflussreiche US-Handelskammer (Details liefert der Economist) gelernt, dass die bestehenden Regularien - etwa das Kooperationsverbot - nicht streng durchgesetzt würden. Und andererseits geht es in diesem Jahr um das Weiße Haus, um the big trophy.

Die Super-Pacs sind auch der Grund, weshalb US-Präsident Barack Obama immer weniger regiert und immer öfter bei Spendengalas auftritt - ein Abend bei George Clooney bringt knapp 15 Millionen Dollar. Aus den staatlichen Töpfen stünden Obama und seinem Herausforderer Mitt Romney nur 90 Millionen Dollar zu - dank der Hilfe von Firmen und reichen Fans werden beide jedoch jeweils eine Milliarde Dollar ausgeben können.

"Bürger werden mit Negativwerbung bombardiert"

Im Allgemeinen gilt allerdings: Für die Spenden gibt es so gut wie nie Gegenleistungen, denn Bestechung ist weiter illegal. Auch Kritiker wie der Harvard-Professor Lawrence Lessig, der mit Republic, Lost. How money corrupts Congress and a plan to stop it ein ebenso lesenswertes wie engagiertes Buch geschrieben hat, glaubt nicht an direkte Vereinbarungen. Das Zauberwort heißt Zugang: Wenn Lobbyisten genug Geld zur Verfügung stellen, bekommen sie stets einen Termin bei Abgeordneten.

Der Jurist Lessig sorgt sich vielmehr darum, dass den Abgeordneten immer weniger Zeit bleibt, um mit den Bürgern in ihren Wahlkreisen zu sprechen, sich umfassend zu informieren oder handwerklich gute Gesetze zu verabschieden. Er schreibt ausführlich über die Washingtoner "Korruption der Abhängigkeit". Ehemalige Abgeordnete wie Walt Minnick geben zu, dass sie im Zweifel eher einen Spender zurückgerufen hätten als einen Normalbürger. Laut Lessig ist es das System, das die Politiker verändere.

Dass die Senatoren und Abgeordneten heute so besessen vom Geld sind und nur noch wenige den Mut haben, Gesetze auf den Weg zu bringen, die Banken, Versicherungen oder der Energiebranche schaden, erklären langjährige Beobachter wie der renommierte Politologe Norman Ornstein vom American Enterprise Institute (mehr über dessen aktuelles Buch hier) mit einer ebenso einleuchtenden wie bestürzenden Tatsache: Sie haben Angst vor Rache.

Ornstein berichtete bei NPR, vor welchem Horrorszenario sich viele Abgeordnete fürchteten: "Sie sind Politiker und haben genug Geld gesammelt, um Ihren Gegner auszustechen. Zwei Wochen vor der Wahl investiert irgendjemand zehn Millionen Dollar, um Sie im Fernsehen als Halunke, als Straftäter oder als Außerirdischen zu bezeichnen. Die Clips laufen in Dauerschleife. Sie können nie in so kurzer Zeit Geld für einen Gegenschlag sammeln." Die Konsequenz: Die Politiker horten noch mehr Geld in einer Art "Kriegskasse", um für einen solchen Fall gerüstet zu sein.

Es muss also noch nicht mal Geld fließen, damit Verbände oder Gewerkschaften ihre Abgeordneten beeinflussen können. Wer sich ausgiebiger mit dem Thema beschäftigt, findet zahllose Aussagen von Politikern wie von Lobbyisten, die das jetzige System verachten. Doch eine Reform ist in diesem Wahljahr unmöglich. Craig Holman nennt zwei Gründe: Die Republikaner wissen, dass die Wut vieler Firmenbosse auf Obama ihnen nutzen könnte, ihm die Wiederwahl zu verbauen. Und alle Abgeordneten schätzen die Vorteile des Amtes: Anders als sein Herausforderer kommt er einfacher an Geld und kann Kontakte für die Zeit nach dem Politiker-Leben knüpfen. Dieses Spiel, so spottet Holman, hätten die Tea-Party-Anhänger "innerhalb von zwei Wochen" gelernt.

Dennoch lassen Kritiker wie Ornstein, Holman und Lessig nicht locker. Sie wissen, dass viele Amerikaner angewidert von diesem politischen System sind: Nur elf Prozent haben eine positive Meinung über den Kongress und drei Viertel aller Bürger stimmten 2011 der Aussage zu: "Mit Geld lassen sich in Washington Ergebnisse kaufen." Lessig, dessen Buch vor einem Jahr erschien (hier mehr Details), tourt mit idealistischen Ideen durch die Vereinigten Staaten. Er wünscht sich etwa, dass die Bürger in ihren Bundesstaaten dafür werben, dass ihr Parlament einen Antrag für eine Convention stellt, auf der über Reformen diskutiert wird - ein Weg, den die Verfassung ermöglicht, wenn drei Viertel aller Staaten zustimmen.

Wie reagieren die Bürger?

Lessig möchte das Citizens-United-Urteil rückgängig machen und schlägt als neues Modell das Projekt "Grant and Franklin" vor. Jeder Amerikaner soll für die ersten 50 Dollar (auf dem Schein ist Präsident Ulysses Grant zu sehen), die er an Steuern zahlt, einen "Demokratiegutschein" in gleicher Höhe erhalten, den er an einen oder mehrere Politiker vergibt - wenn diese bereit sind, keine anderen Spenden anzunehmen. Daneben soll es möglich sein, 100 Dollar (diesen Schein ziert Benjamin Franklin) zusätzlich zu spenden. Wenn jeder Bürger mitmacht, kommen drei Milliarden Dollar pro Jahr zusammen, rechnet Lessig vor (weitere Details in einem Text für die New York Times).

Craig Holman von Public Citizen verfolgt eine andere Strategie: Er setzt sich als Lobbyist dafür ein, einen der fünf Richter, die am 21. Januar 2010 das Citizens-United-Urteil fällten, davon zu überzeugen, dass es nicht im Sinne der Verfassungsväter war, den Ersten Zusatz auf global agierende Firmen auszuweiten. "Wenn wir einen der fünf für uns gewinnen, ließe sich das alte, funktionierende System wiederherstellen", hofft Holman.

Der Politologe ist sich nicht sicher, wie die Bürger auf den monatelangen, schmutzigen Wahlkampf reagieren werden. Er hält zwei Reaktionen für möglich: "Es könnte passieren, dass sich die Wähler angewidert abwenden und sagen: Bei so etwas mache ich nicht mit. Das wäre schrecklich für Amerikas Demokratie. Ich hoffe hingegen sehr, dass die Wähler so wütend werden, dass sie aktiv werden und Reformen verlangen. Ich bin mir aber nicht sicher, welcher Fall eintreten wird."

Der Autor twittert unter @matikolb

Linktipps: NPR analysiert das Thema "Geld und Politik" in einer 60-Minuten-Sendung, die online verfügbar ist. Der New Yorker hat die Hintergründe zum Citizens-United-Urteil nachgezeichnet. Der Titel des Texts lautet: Money Unlimited.

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