Wahlkampf:Familie Gabriel öffnet sich

Sigmar Gabriel und Frau Anke

Sigmar Gabriel mit Ehefrau Anke in der Innenstadt von Goslar in Niedersachsen.

(Foto: Swen Pförtner/dpa)

Immer häufiger erzählt der SPD-Chef von seiner Mutter, dem Nazi-Vater und seiner kleinen Tochter. Sogar seine Frau spricht mit der bunten Presse. Warum wohl?

Von Christoph Hickmann

Er hat es schon wieder getan. Als Sigmar Gabriel diese Woche forderte, Alleinerziehende mit einer Reform des Unterhaltsrechts besserzustellen, da berief sich der SPD-Vorsitzende auf Erfahrungen aus seiner Kindheit. "Auch mein Vater hat sich geweigert, meiner Mutter Unterhalt zu zahlen", sagte er der Bild. Noch heute erinnere er sich an seine ebenfalls alleinerziehende Mutter, "die weinend in der kleinen Küche saß, die Hände vor dem Gesicht, weil sie nicht mehr weiterwusste".

Es hat sich etwas verändert in Sigmar Gabriels öffentlichem Auftritt. Je entschlossener er wirkt, die SPD-Kanzlerkandidatur auf sich zu nehmen, desto stärker thematisiert er seine Familiengeschichte. Das ist einerseits ein üblicher Prozess: Je höher ein Politiker aufsteigt, desto politischer wird das Private - bis hin zu Angela Merkels Ehemann, über den die Kanzlerin im Wahlkampf 2013 verriet, dass es für seinen Geschmack nie genug Streusel auf dem Kuchen sein könnten. Andererseits fällt bei Gabriel in jüngster Zeit eine bemerkenswerte Häufung auf.

Schon Schröder erzählte gern aus seiner Kindheit

Zwar hat er das Beispiel seiner Mutter auch früher schon herangezogen, um etwa seine Position zur Rente mit 67 zu untermauern - denn, so Gabriel, wie hätte sie als Krankenschwester mit 67 noch Patienten heben sollen? Doch seit einiger Zeit thematisiert der Vizekanzler mehr und mehr, aus welch schwierigen Verhältnissen ihm der Aufstieg gelungen ist. Das erinnert an Gerhard Schröder, der die prekären Umstände seiner Kindheit einst mit dem Satz zusammenfasste, er habe "jahrelang Fensterkitt gefressen".

Ganz so schlimm war es bei Gabriel nicht - und doch, auf andere Weise, noch schlimmer. Bevor sein Vater sich weigerte, Unterhalt zu zahlen, hatte er der Mutter jahrelang den Sohn entzogen und sie in einen zermürbenden juristischen Kleinkrieg gezwungen. Vor allem aber war er bis zu seinem Tod 2012 überzeugter Nazi.

Gabriel selbst hat diesen Teil seiner Familiengeschichte Anfang 2013 in der Zeit bekannt gemacht, die darüber einen langen Artikel veröffentlichte. Danach allerdings wurde es zunächst wieder ruhiger um das Thema.

Der politische Hansdampf wird zum Menschen

Nachdem die AfD in diesem Frühjahr teils spektakuläre Wahlerfolge errungen hatte, tauchte der Vater wieder vermehrt in Gabriels Reden auf - etwa mit der Formulierung, dass er "das ganze deutschnationale Gequatsche" der AfD schon von ihm kenne, dem unverbesserlichen Nazi. Und als Gabriel vor zwei Monaten nach Auschwitz reiste, sinnierte er, "wie viel von meinem Vater" wohl in ihm stecke: "In jedem Menschen stecken kleine und große Dämonen. Es ist gut, sie zu kennen und darauf aufzupassen."

Da macht sich jemand, in dem die Mehrheit der Deutschen bislang vor allem den politischen Hansdampf sieht, mehr und mehr als Mensch kenntlich, mit Prägungen und Brüchen. Und mittlerweile präsentiert Gabriel auch seine gegenwärtige, deutlich erfreulichere Familiengeschichte. Immer wieder streut er Anekdoten zu seiner vierjährigen Tochter Marie ein, und kürzlich stand seine bis dato äußerst öffentlichkeitsscheue Frau Anke der Bunten für eine Homestory Rede und Antwort. Sigmar Gabriel, erfuhr man da, sei ein ganz normaler Mann, der "auch mal Milch einkaufen" müsse. Was sich auch so übersetzen ließ: Der Wahlkampf hat begonnen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: