Süddeutsche Zeitung

Wahlkampf:Die Kanzlerin und die Deutschen sind noch nicht fertig miteinander

Von Merkel und Seehofer lässt sich das allerdings nicht sagen. Der CSU-Chef ist einstweilen der gefährlichere Gegner als Martin Schulz.

Kommentar von Nico Fried

Angela Merkel ist seit bald elfeinhalb Jahren Kanzlerin. Damit liegt sie zwischen den sieben Jahren Gerhard Schröders und den 16 Jahren Helmut Kohls. Es ist ein heikler Zeitpunkt, nicht nur wegen der bevorstehenden Bundestagswahlen. Merkel kann einerseits nicht mehr vorzeitig scheitern wie ihr Vorgänger, aber sie könnte andererseits wie Schröder die Macht verlieren, weil ihr eigene Leute, insbesondere die CSU, die Gefolgschaft verweigern. Sie kann es einerseits noch schaffen, so lange im Amt zu bleiben wie ihr Förderer, aber sie könnte andererseits auch wie Kohl den rechten Zeitpunkt schon verpasst haben, um ungeschlagen und aus eigenem Willen zu gehen.

Seit der Nominierung von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD und dem beispiellosen Aufschwung der Sozialdemokraten in den Umfragen wird in den einschlägigen Foren öffentlicher Debatte geunkt, ob die Deutschen der Kanzlerin womöglich müde sind. Wie viel Kohl von 1998 steckt in Merkel 2017? Doch bei allem Respekt vor dem Phänomen Martin Schulz: Mindestens genauso bedeutsam ist die Frage, wie müde Merkel der lähmenden Uneinigkeit in den eigenen Reihen ist. Wie viel Schröder von 2005 steckt in Merkel 2017?

Die Vermutung, die Deutschen könnten der Kanzlerin mehrheitlich überdrüssig sein, erscheint bemerkenswert, wenn man bedenkt, wie hoch die Zustimmungswerte noch vor wenigen Wochen waren, als Merkel verkündete, sie werde erneut kandidieren. Die einzige Müdigkeit, die sich danach über das Land zu legen drohte, war jene, die als Folge eines langweiligen Wahlkampfs zu erwarten war.

Merkel hat ihre Entscheidung, noch einmal anzutreten, lange überlegt, hin und her gewälzt - und am Ende doch aus dem Moment heraus getroffen. Sie war nicht allein, aber doch maßgeblich von der Wahl Donald Trumps in den USA beeinflusst. Mit ihrer erneuten Kandidatur entsprach Merkel einer verbreiteten Stimmung, in einer so fragilen Situation dürfe nicht auch noch die erfahrene Kanzlerin gehen. Sie nahm sich in die Pflicht.

Merkel kann nicht die letzte Verteidigerin der westlichen Werte sein

Die Weltlage ist in den vergangenen Wochen nicht erquicklicher geworden, und die meisten Menschen nehmen das auch so wahr. Man darf deshalb vermuten, dass viele noch immer eine Kanzlerin wollen, die im Ausland ernst genommen wird und mitreden kann. Sie soll die internationale Unbill so gut wie möglich fernhalten. Die Deutschen wissen selbst, dass Merkel nicht die letzte Verteidigerin der westlichen Werte sein kann, aber es wirkt beruhigend auf viele, dass manche Experten ihr so eine Rolle zutrauen.

Gleichwohl ist ihre außenpolitische Bedeutung für die Kanzlerin im Wahlkampf Segen und Fluch zugleich. Denn manches spricht dafür, dass die Deutschen nicht Merkels müde sind, sehr viele aber der politischen Probleme, derer sich die Kanzlerin fortwährend annehmen muss. Ihr Status als Krisenmanagerin, der ihr Ansehen über Jahre befördert hat, absorbiert nicht nur Merkel, sondern auch die zunehmend ermattende Aufmerksamkeit des Publikums. Für diese Müdigkeit hat das Erscheinen von Martin Schulz wie ein Katalysator gewirkt.

Anders lässt sich kaum erklären, warum ein Mann, den die meisten Wähler überhaupt nicht kennen, so eine Wirkung erzielt. Denn der Kandidat der SPD präsentiert ja keine Lösungen. Aber er vermittelt vielen Menschen den Eindruck, dass trotz Trump, Putin, Erdoğan, Syrien-Krieg und Brexit, trotz der Erschütterung so vieler globaler Gewissheiten, auch mal wieder über sie geredet wird, ihr tägliches Leben, ihre persönlichen Sorgen. Schulz' Vorgänger Sigmar Gabriel hatte dieses Defizit auch als Begleiterscheinung der Flüchtlingskrise früh erkannt. Er beging aber den Fehler, die Ansprüche der Deutschen mit den Ansprüchen der Flüchtlinge zu verrechnen. Das hat seinem Anliegen mehr geschadet als genutzt.

Schulz, der über soziale Gerechtigkeit bis in die Formulierungen dasselbe sagt wie Gabriel, unterscheidet sich an einem wichtigen Punkt: Er steht bislang eisern zu Merkels Flüchtlingspolitik, auch wenn er sich unter Sozialdemokraten damit längst in der Minderheit befindet. Offenbar macht ihn aber diese klare Haltung glaubwürdiger, wenn er sich der niedrigen Rente widmet, der teuren Pflege, dem Bus, der nicht fährt, und was sonst noch schiefläuft. Schulz ist quasi ein politisch korrekter Populist.

Die Kanzlerin hat dem einstweilen wenig entgegenzusetzen. Sie kann darauf verweisen, dass der Herausforderer Sprüche macht - und sie Politik. Sie kann darauf setzen, dass erst in sieben Monaten gewählt wird. Und niemand kann erfahrungsgesättigter berichten, wie am Ende ein Amtsbonus wirkt, als Merkel, die 2005 schon wochenlang an der absoluten Mehrheit schnuppern durfte, ehe sie Schröder beinahe doch noch unterlegen wäre.

Dennoch liegt eine Ambivalenz über dieser Kanzlerschaft: Die Merkel, die mehr erreicht hat, als ihr die meisten zugetraut haben, darf sich heute vieles erlauben. Aber die Merkel, die nicht mehr unschlagbar erscheint, kann sich manches nicht mehr leisten. Die Wahl des Sozialdemokraten Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten an diesem Wochenende ist eine lästige Niederlage, schadet ihr aber nicht wirklich.

Ihre trostlose Kür zur Kanzlerkandidatin der CSU war hingegen ein verlorener Tag. So demonstrativ unfroh wie mit Horst Seehofer erlebt man Merkel sonst nur neben russischen oder türkischen Präsidenten. Man sah ihr das Wissen an, dass eine so missglückte Inszenierung angeblicher Eintracht nur besonders geeignet ist, den Riss zwischen CDU und CSU noch einmal herauszustellen.

Merkel 2017 ist nicht Kohl 1998. Die Kanzlerin und die Deutschen sind noch nicht fertig miteinander. Von Merkel und Seehofer lässt sich das nicht sagen. Es ist unverkennbar, wie genervt die Kanzlerin ist. Aus dem Auftritt in München hat sie so viel Schwung mitgenommen wie eine Radlerin, die mit plattem Hinterreifen in eine Steigung fährt. Der CSU-Chef ist einstweilen der gefährlichere Gegner als der SPD-Kandidat. Und Merkels unübersehbare Erschöpfung gegenüber Seehofer gefährdet ihre Kanzlerschaft mehr als die angebliche Merkel-Müdigkeit der Deutschen.

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SZ vom 11.02.2017/dit
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