Wahlkampf:Der SPD fehlt immer noch der Mut

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Martin Schulz und die SPD: ein wenig Kessheit, aber trotzdem immer noch zu mutlos (Foto: dpa)

Der Bundestagswahlkampf 2017 fühlt sich an, als habe man ihn schon ziemlich oft genau so erlebt. Demokratie lebt aber vom Wechsel, nicht von der Wiederholung.

Kommentar von Heribert Prantl

Wer sich mitten im Juli an "Dinner for One" erinnert, der hat sich nicht in der Jahreszeit geirrt, sondern mit dem Wahlkampf beschäftigt. In neun Wochen ist Bundestagswahl und der Wahlkampf fühlt sich an, als habe man ihn schon ziemlich oft genauso erlebt. Angela Merkel ist zwar noch nicht so alt wie Miss Sophie, aber ihr Wahlkampf erinnert an deren 90. Geburtstag. Alles läuft nach ihrem Wunsch und Plan. Nur der Schluss wird wieder etwas anders sein als im Silvester-Fernsehsketch. Die Bundeskanzlerin sagt dann nämlich nicht, wie Miss Sophie, "I think I'll retire", sondern sie bildet, mit wem auch immer, eine neue Regierung.

Mehr von Ideen wie dem "Chancenkonto" für alle Erwachsenen

Im Film ist das lustig, in der Demokratie nicht. Demokratie lebt vom Wechsel, nicht von der Wiederholung des Immergleichen. Und es ist nicht zum Lachen, wenn die Programme von CDU und SPD sich fast so gleichen wie die Pointen von Butler James. Der SPD fehlte bisher der Mut, aus ihrer Rolle auszubrechen; bei der Vorstellung des Plans "Das moderne Deutschland" durch Martin Schulz blitzt nun erstmals ein wenig Kessheit auf. Der SPD fehlt aber immer noch der Mut, über die Linke einmal was anderes zu sagen als Bäh, Pfui und "I'll kill that cat"; sie müsste Machtstrategien entwickeln, die nicht im Irrealis stehen.

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Die Nominierung des Kanzlerkandidaten Schulz war überraschend und mutig, aber dieser Mut blieb bisher singulär. Die SPD verstand es nicht, den Wahlkampf mit überraschend gesetzten Themen zu dominieren. Die Dinge, die der SPD so einfallen, hat sie entweder schon durchgesetzt (wie den Mindestlohn) oder die Kanzlerin hat sie der SPD schnell noch weggenommen (wie die Ehe für alle). Jetzt endlich kommt ein wenig Neues - das "Chancenkonto" für jeden Erwachsenen zum Beispiel. Mehr davon! Die sozialdemokratische Streitlust darf sich nicht auf Aufwallungen beschränken; Sigmar Gabriel führt diese gelegentlich vor; aber den Grund für die Aufwallung hat man alsbald wieder vergessen, weil sie nichts mit einem großen Projekt, sondern nur mit einem großen Verdruss zu tun hat - dem Verdruss über Merkel.

Die Kanzlerinpartei wirft alle Fehler auf die SPD

Weil das so ist, kann die CDU die SPD schnell in Verlegenheit bringen: Die Kanzlerinpartei wirft alle Fehler, die von Polizei und Politik beim G-20-Gipfel gemacht wurden, auf die SPD - gerade so, als habe der Bundesinnenminister von der CDU damit gar nichts zu tun, als sei der Schutz vor reisenden internationalen Gewalttätern ein lokales Problem Hamburgs. Man wünscht der ganzen SPD das Selbstbewusstsein ihres niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius, der sich nach Hamburg erst recht und zu Recht traut, die Sinnhaftigkeit des strafbewehrten Vermummungsverbots infrage zu stellen, wie es seit bald dreißig Jahren unpraktikables Gesetz ist.

Was wird sein nach dem 24. September? Merkel wird vielleicht mit Grün regieren oder mit Grün und mit Gelb; und die SPD wird vielleicht in der Opposition wieder zu der Form auflaufen, die sie braucht, um 2021 wieder kanzlerfähig zu sein.

Der späte Schulz gab am Sonntag eine Ahnung davon, wie das aussehen könnte.

© SZ vom 17.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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