Süddeutsche Zeitung

Wahlkampf der Sozialisten in Frankreich:Unter Freunden

Mit einem Sieg bei der Wahl in Frankreich wollen Sozialisten und Sozialdemokraten einen Machtwechsel in ganz Europa einleiten. Daher sind viele von ihnen nach Paris gekommen, um Präsidentschaftskandidat François Hollande zu unterstützen. Das Problem nur: Seine Unterstützer begeistern die Zuhörer mehr, als das Hollande vermag.

Stefan Ulrich, Paris

Die Renaissance der Linken soll in einem Zirkus aus dem 19. Jahrhundert beginnen. Hier, im Pariser Cirque d'Hiver mit seinen flamboyanten Lüstern und goldschimmernden Pegasus-Pferden, treten normalerweise die Artisten der Familie Bouglione auf. An diesem Samstag aber können die Pariser in der Manege eine ganz andere Attraktion bestaunen: rote Elefanten.

Europas Sozialdemokraten und Sozialisten haben etliche Schwergewichte in den Winterzirkus geschickt, um dem französischen Präsidentschaftskandidaten François Hollande zum Sieg zu verhelfen und einen Machtwechsel auf dem ganzen Kontinent einzuleiten. "Frankreich ist der entscheidende Wendepunkt", versichert der Italiener Massimo D'Alema. "Gemeinsam werden wir Europa verändern", verheißt der Deutsche Sigmar Gabriel. "Wir werden in Frankreich gewinnen, und wir werden in Europa gewinnen", prophezeit der Österreicher Hannes Swoboda.

Viel ist darüber diskutiert worden, ob es eine Demokratie auf europäischer Ebene geben könne. Nein, meinten die Skeptiker, politische Debatten ließen sich nur auf nationaler Ebene führen. Dies scheint sich zu ändern, und die Versammlung im Winterzirkus - die vier linke Partei-Stiftungen, darunter die Friedrich-Ebert-Stiftung, organisiert haben - mag als Beweis dafür dienen. Alle Redner stellen klar, die Wahl in Frankreich gehe ganz Europa an, weil es um die gemeinsamen Themen Sparen und Wachstum, Arbeitslosigkeit, Zähmung der Finanzmärkte und soziale Gerechtigkeit gehe. Hollande drückt es zirkusgerecht blumig aus: "Der französische Traum ist nicht vom europäischen Traum zu trennen."

Dem Sozialisten, der den konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy herausfordert, ist die Unterstützung aus dem Ausland hoch willkommen. Denn er hat mit seinen Forderungen nach einer Rückkehr zur Rente mit 60, einer Reichensteuer von 75 Prozent und einer Neuverhandlung des europäischen Fiskalpakts Unbehagen erregt. Konservative Staats- und Regierungschefs schneiden ihn, und auch aus den Reihen der deutschen Sozialdemokraten drangen skeptische Stimmen. Es sei naiv, wenn Hollande glaube, den Pakt wieder aufschnüren zu können, hieß es. Sarkozy hatte es so leicht, seinen Gegner als isoliertes europapolitisches Leichtgewicht hinzustellen.

"Ich bin nicht allein"

Künftig wird das schwerer sein. Europas Rote stellen sich demonstrativ hinter diesen Kandidaten. Ausdrücklich unterstützt SPD-Chef Sigmar Gabriel Hollandes Plan, den Fiskalpakt um "wirksame Initiativen für mehr Wachstum und Beschäftigung" zu ergänzen. Er steht auch hinter dem Vorschlag, "Projekt-Bonds" in der EU einzuführen, also gemeinsame Anleihen, mit denen nicht die alten Schulden der Nationalstaaten, aber neue europäische Investitionen etwa in den Bereichen Energie, Umweltschutz und Arbeit für junge Leute finanziert werden sollen. Hollande ruft erleichtert: "Ich bin nicht allein, weil ihr da seid."

So wie Hollande seine europäischen Genossen benötigt, um der "Heiligen Allianz" der Konservativen zu trotzen, brauchen diese Hollande. Die Rechte hat ein Übergewicht in den Brüsseler Institutionen, im EU-Parlament, in der Kommission und vor allem im Rat. Alle großen Staaten werden von konservativen oder bürgerlich-liberalen Regierungen geführt. Auch in den meisten anderen der 27 EU-Länder bestimmt die Rechte. Lediglich in Belgien, Dänemark, Österreich, Slowenien und demnächst der Slowakei regieren Linke.

Die "Progressiven", wie Hollande sein politisches Lager nennt, bauen nun auf eine Domino-Theorie. Falls das konservativ regierte Frankreich bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in diesem Frühjahr an die Linke fällt, könnte das einen Machtwechsel im Jahr 2013 in Deutschland und Italien anstoßen. Dies werde das Schicksal des ganzen Kontinents entscheiden, glaubt Massimo D'Alema. Denn die 200 Millionen Deutsche, Franzosen und Italiener stünden im Zentrum des Euros und der EU.

Die Sozialisten und Sozialdemokraten glauben, einen wachsenden Frust über die konservative Krisenpolitik zu spüren. Diese setze einseitig aufs Sparen, vernachlässige das Wirtschaftswachstum und treibe Staaten wie Griechenland immer weiter in die Misere. Martin Schulz, der sozialdemokratische Präsident des Europaparlaments, betont, Merkel und Sarkozy hätten in der Krise die EU geführt. Dennoch kritisiere Frankreichs Präsident nun, Europa werde schlecht regiert. Schulz macht eine genüssliche Pause. Dann sagt er: "Ich teile nicht oft seine Meinung - aber da hat er recht." Die Zuschauer johlen. Die Nummer kommt an.

Vernachlässigte Bürger

Dann nimmt sich der Parlamentspräsident die Drohung Sarkozys vor, den grenzkontrollfreien Schengen-Raum einseitig zu suspendieren. "Ich will in keinem Europa leben, in dem das Kapital völlig frei, die Freiheit der Menschen aber begrenzt ist", sagt er. Die Bürger würden derzeit generell vernachlässigt. In Griechenland sei er Eltern begegnet, die nicht mehr wüssten, wie sie ihre Kinder ernähren können. So gehe es heute zu in Europa zu. "Was für eine Schande!"

"Renaissance pour l'Europe", heißt das Motto der Veranstaltung. Diese Wiedergeburt soll nicht, wie die Konservativen den Linken unterstellen, mit Unmengen neuer Staatsschulden finanziert werden. "Die Schulden sind die Feinde der Linken", beteuert Hollandes Wahlkampf-Leiter Pierre Moscovici. Der Kandidat selbst sagt, der Schuldenabbau sei unerlässlich, "um der kalten Hand der Märkte zu entkommen". Seine Wachstumspläne möchte er mit einer Finanztransaktionssteuer, den Projekt-Bonds und den EU-Strukturfonds finanzieren.

Hollande spricht lange, doch er wirkt an diesem Tag matt, reißt die Besucher im Cirque d'Hiver kaum mit. Ist er verunsichert, weil Sarkozy in den Umfragen aufholt? Erschöpft ihn der brutale Wahlkampf, der den Kandidaten alles abverlangt? Eine pensionierte französische Lehrerin, deren Herz immer für die Sozialisten schlug, zeigt sich enttäuscht. Schulz und Gabriel hätten viel packender gesprochen als Hollande. Das ist keine Einzelstimme. In Frankreich mehren sich Zweifel am schon sicher geglaubten Sieg des Sozialisten. Er wird noch viel kämpfen müssen, damit sich der rote Frühling im Winterzirkus nicht als Illusionsnummer erweist.

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Quelle:
SZ vom 19.03.2012/leja
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