Wahlkampf der Sachsen-SPD:Ein Spitzenkandidat, wie er sächsischer nicht sein könnte

SPD-Wahlkampf an der Ostsee

Mit dieser BU: Am Strand vor der Seebrück von Ahlbeck: Martin Dulig auf der Suche nach Wählern aus Sachsen.

(Foto: dpa)

Erfrischendes Experiment im Sommer-Wahlkampf: Die kümmerliche Sachsen-SPD tritt mit Martin Dulig bei der Landtagswahl in gut einer Woche an. Der punktet vor allem durch seine Biografie - und inzwischen mit prominenter Unterstützung.

Von Cornelius Pollmer, Dresden

Wenn Martin Dulig sich vergegenwärtigen möchte, wie sehr sich sein Leben in den vergangenen Monaten verändert hat, dann muss er im Grunde nur seinen Küchentisch anschauen. Dulig ist Vater von sechs Kindern, zu Hause in Moritzburg bei Dresden dampften einst die Töpfe auf diesem Tisch, noch immer sieht man auf ihm die Pikser von Kindergabeln. Aber man sieht jetzt noch mehr auf diesem Tisch, da sind viele Edding-Unterschriften, von Gerhard Schröder etwa, auch von Hannelore Kraft. Der Tisch ist ganz schön rumgekommen in letzter Zeit, und hätten Duligs Leute nicht ein paar neue Winkel unter der Platte verschraubt, er wäre längst zusammengebrochen.

Bis zur Landtagswahl am 31. August wird Martin Dulig mit diesem Küchentisch noch durch Sachsen reisen, er ist das zentrale Motiv einer außergewöhnlichen Kampagne für einen außergewöhnlichen Landesverband der SPD. Vom "roten Sachsen" war vor Urzeiten die Rede, der Freistaat ist die Heimat der Sozialdemokratie, aber die SPD hat diese Heimat verloren. Sachsen ist heute schwarzes Land. Nach 24 Jahren Dauerherrschaft ist die CDU bis in den Vorstand der letzten Kleingartensparte gesickert.

Bei der Landtagswahl vor fünf Jahren erreichte die SPD 10,4 Prozent, danach übernahm Dulig den Vorsitz - eine gleichermaßen furchtbare wie fantastische Ausgangslage. Furchtbar, weil Bedeutung in der Politik nun mal in Prozentpunkten gemessen wird. Fantastisch, weil erst diese Baisse der Partei ein Experiment ermöglichte, dessen Ausgang zwar ungewiss ist, dessen Verlauf aber dem sonst rammdösigen Sommer-Wahlkampf in Sachsen gut tut, und vermutlich auch der SPD. Das Experiment heißt: Martin Dulig.

Die sächsische SPD hat nicht viel anzubieten, das sich in einem Wahlkampf prozentgewinnbringend einsetzen ließe, aber sie hat die Biografie ihres Spitzenkandidaten. Martin Dulig, 40, seit mehr als 20 Jahren verheiratet, sechs Kinder. Gelernter Maurer, Abitur, studierter Sozialpädagoge. Im Ganzen wirkt Dulig, als wäre er von einer Fokusgruppe SPD-naher Sachsen erdacht worden, er passt ins Milieu, bis in die Feinheiten. Martin Dulig sagt nicht Küchentisch, er sagt "Küschentüsch".

"Ich möchte die SPD aus dem Tal der Tränen herausholen, in dem sie so lange war", sagt Dulig, das ist sein Traum. Es ließe sich streiten, wie leicht oder schwer die Aufgabe nun ist, eine 10-Prozent-SPD aus dem Tal zu führen. Fest steht, dass Dulig und sein Team sie bisher ganz gut gelöst haben. Eine Million Euro ist die Kampagne schwer, zu deren Auftakt verteilte die Partei ein Magazin an alle sächsischen Haushalte. Auf dem Titel war ein Porträt Duligs zu sehen, darunter stand die Frage "Kennen Sie diesen Mann?". Dessen Bekanntheitsgrad sei von 27 Prozent auf 50 gestiegen, vermeldet Generalsekretär Dirk Panter. Der Schlagersänger Roland Kaiser spricht die Radiospots für Dulig, der Komiker Ingo Appelt versucht, ihm mit gemeinsamen Auftritten zu helfen.

Offenheit, die sich rächen könnte

Aus der eigenen Partei kommen nun fast täglich Prominente und Halb-Prominente nach Sachsen zum Wahlkampf, sogar eine Abordnung der SPÖ reist aus Österreich an, um sich den Wahlkampf an- und etwas abzuschauen. "So richtig ernst genommen wurde ich in der SPD vorher nie, das hat sich geändert", sagt Dulig. Als Geburtsstunde dieser Veränderung nennt er den Bundesparteitag im November in Leipzig. Die SPD steckte in den Koalitionsverhandlungen und in zweifelhafter Stimmung, genau wie Martin Dulig am Vorabend seiner Rede. Er kam mit seinem Manuskript nicht zurecht, deshalb legte er es zur Seite und redete einfach mal drauf los.

Am nächsten Tag ging er dann nur mit ein paar Stichpunkten auf einer Karteikarte auf die Bühne und begann: "Mein Name ist Martin Dulig. Den Namen sollte man sich merken." Dulig hatte sich noch nicht wieder gesetzt, da brummte schon sein Handy - eine Glückwunsch-SMS von Andrea Nahles. Danach schaffte er es sogar, den ebenso brummigen Altkanzler für seine Sache zu gewinnen. Gerhard Schröder wird zum Wahlkampffinale in Dresden auftreten, Anfang Juli stieg er in Leipzig auf ein Podium. Dulig war bei Schröder in Berlin vorstellig geworden. Als dieser hernach davon erzählte, sagte er noch: "Ich kannte den gar nicht." Bei dem Termin in Leipzig sagte Schröder dann schon etwas anderes. Der Martin, der sei wirklich "eine der interessantesten Persönlichkeiten in der deutschen Politik".

Schröder begründete das Lob auch mit dem Realismus Duligs. Dieser sagt nicht, er wolle Ministerpräsident werden, er sagt, dass er regieren will. Wie es aussieht, kann dieser Wunsch wahr werden, als kleiner Partner der CDU. In Umfragen erreicht die SPD gerade 13 bis 15 Prozent.

Martin Dulig ist ein Wollender, manchmal merkt man ihm sein Wollen auch ein bisschen zu sehr an. Er sagt dazu, "SPD-Kampagnen waren immer Abbild des Zustandes der Partei. Wir machen jetzt eben diesen Wahlkampf, mit allen Risiken." Zu diesen gehört zum Einen die Frage, wie ein gerade mal 40-Jähriger in Zukunft wahlkämpfen will, wo er doch jetzt schon bis zu seiner Familie alles in den Wettkampf einbringt? "Mir ist schon klar, dass man diese Art Wahlkampf nur einmal führen kann. Wir haben damit auch Standards gesetzt, hinter die wir nicht mehr zurück können, in Sachen Originalität, Kommunikation und auch Bildsprache. Ich kann diese Frage nicht beantworten, weil sie mich selbst umtreibt."

Eine zweite Frage ist jene, ob die große Offenheit jetzt sich in Zukunft rächen könnte. Dass es nicht von dauerhafter Klugheit sein muss, sich mit der Boulevardpresse einzulassen, hat sich inzwischen ja nicht nur bis Großburgwedel herumgesprochen. Wie schnell die gute Wahlkampfstimmung auch mal kippen kann, das erfuhr Martin Dulig vor Kurzem in Ahlbeck an der Ostsee, bei einem Shooting für die Bild-Zeitung. Ein Fotograf hatte ihn auf dem Bord eines gestrandeten Fischerbootes platziert, es machte ein paar Mal Klick, Dulig lächelte. Dann stapfte der Bild-Reporter heran, für ein gemeinsames Foto mit dem Spitzenkandidaten. Dulig lächelte also weiter, der Reporter sprang ihm zur Seite, doch in diesem Moment scheiterte die Trockenübung. Das Boot bekam Schlagseite - und kippte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: