Vor den Landtagswahlen:Leise Töne unter Scharfmachern - wie Gemäßigte in der AfD Wahlkampf machen

Pressekonferenz Alternative für Deutschland

"Wir brauchen Politiker, die den Mut haben, das Wort einer 'aktiven Bevölkerungspolitik' in den Mund zu nehmen" - Eine Aussage der Bundesvorsitzende der Alternative für Deutschland, Frauke Petry.

(Foto: dpa)

Auch in der AfD gibt es vor den Landtagswahlen Kandidaten, die jede Provokation vermeiden. Wie geht es ihnen in ihrer Partei?

Von Bernd Kastner, Cornelius Pollmer und Jens Schneider

Er redet bereits seit ein paar Minuten, als es zu pfeifen beginnt. Jörg Meuthen fragt suchend: "Wer ist'n hier für den Ton verantwortlich?" Die Rückkopplung tut den Ohren weh. Meuthen, einer von zwei Parteichefs der AfD und Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Baden-Württemberg, steht im Rokokosaal des Schießhauses zu Heilbronn und will den 140 Besuchern erklären, warum sie AfD wählen sollen. Das Tonproblem gibt sich rasch von selbst, aber wie ist es mit dem Ton seiner AfD? Ist dafür nicht Meuthen verantwortlich?

An die Fassade des Schießhauses hat jemand in schwarzer Farbe "Verpisst euch!! Asylanten" gesprüht. So ähnlich ist die gefühlte Stimmung im rechten Lager, maßgeblich befördert durch die AfD. Niemand zweifelt mehr daran, dass Meuthen in den Landtag einziehen wird, die Frage ist nur, ob mit einem ein- oder zweistelligen Ergebnis. Ähnlich sieht es in Rheinland-Pfalz aus, und in Sachsen-Anhalt kratzt die AfD an den 20 Prozent. Die SPD muss befürchten, von der AfD überholt zu werden. Auch in Baden-Württemberg bedrängen die Rechtspopulisten die SPD. 12,5 Prozent sage die jüngste Umfrage, verkündet Meuthen. "Das ist die einzige Gemeinsamkeit, die wir mit der SPD haben."

Jörg Meuthen, Spitzenkandidat im Südwesten, scheint nicht zu seiner Partei zu passen

Gerade hat seine Chef-Kollegin Frauke Petry in einem Brief an die Mitglieder der AfD erklärt, dass Provokationen sein müssten, weil die AfD sonst nicht durchdringe, "um uns in Folge sachkundig und ausführlicher darzustellen". Meuthen folgt ihrem Rat nicht. Provokationen überlässt er anderen, er hält eher eine Wahlempfehlungsvorlesung, Szenenapplaus ist selten. Meuthen, der Seriöse an der Parteispitze, der Gemäßigte unter vielen Scharfmachern.

"Wir stehen zu Deutschland. Wir lieben unser Vaterland und sind stolz und glücklich, dass wir hier leben." Konservative Selbstverständlichkeiten. Er ist für eine strikte Begrenzung der Zuwanderung, für nationale Grenzkontrollen, ihm ist das gerade verschärfte Asylrecht noch zu lasch. Rechtsradikal? Ähnliches hört man von der Berliner Regierungspartei CSU.

Im Saal sitzt für Baden-Württemberg typisches AfD-Publikum - zumeist älter, männlich, bürgerlich. Es applaudiert, wenn er ruft, dass man Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive "wieder verabschieden" solle. Wenn er sagt: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland." Meuthen sagt aber auch einen zweiten Satz: Dass die Menschen islamischen Glaubens, die hier leben, sehr wohl zu Deutschland gehörten. Da ist Ruhe im Saal. Meuthen, 54 Jahre alt, Vater von fünf Kindern, scheint nicht zu seiner Partei zu passen. Oder umgekehrt. Oder leben sie die perfekte Symbiose?

"Meistens gut", antwortet er auf die Frage, wie es ihm mit seiner Partei gehe, da hat sich der Saal schon wieder geleert. Meistens gut? Wenn er es ehrlich gemeint hat am Rednerpult, müsste er täglich im Viereck springen angesichts hetzerischer, fremdenfeindlicher Aussagen, auch aus seinem Landesverband. Einer hat Obama einen "Quotenneger" genannt, einer den Koran mit Hitlers "Mein Kampf" verglichen. "Manches macht mich ja auch wahnsinnig", sagt Meuthen. Aber er lässt gewähren. Er wolle Scharfmacher nicht ausgrenzen, es genüge ihm, sich selbst abzugrenzen. Den Schusswaffen-Satz seiner Kollegin Petry nennt er gebetsmühlenhaft "unglücklich". Mehr Kritik kommt ihm nicht über die Lippen, so kurz vor dem Ziel. "Ich versuche stilbildend zu wirken", sagt er.

Auf den Wahlabend freue er sich "wie ein kleiner Schneekönig", sagt er in Heilbronn. Ob er dann auch die Tonprobleme seiner Partei in den Griff bekommt, ist eine andere Frage. Und ob er dies wirklich will.

Die Zeit nach der Wahl am Sonntag wird es zeigen, die Zeit nach dem Burgfrieden. So nennen AfD-Vorständler die Streitpause, die sie sich mit Blick auf die drei Landtagswahlen verordnet haben. Vor allem die Wahlen im Südwesten haben für die AfD-Spitze große Bedeutung. Mit diesen Flächenländern glauben sie, sich mittelfristig im deutschen Parteiensystem etablieren zu können, auf dem Weg in den Bundestag.

Der Burgfrieden dürfte nach dem Wahlsonntag enden. Zu groß ist der Ärger über vermeintliche Alleingänge von Petry. Es geht um Stilfragen, aber auch politische Strategie. Petry will mit der AfD regieren und sagt das auch. Sie hat das Ziel formuliert, 2017 in den Bundestag, 2021 in die Bundesregierung zu wollen. Zumindest solle die Partei dann so weit sein, sich an einer Regierung beteiligen zu können.

Auf einem Landesparteitag in Sachsen sprach sie gar von einer angestrebten Regierungsrolle in "hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft". Der Partei-Vize Alexander Gauland sagt dazu jetzt nichts, es ist ja Burgfrieden. Aber er hat längst klargemacht, dass er die Aufgabe der AfD in der Opposition sieht. Regieren wäre "tödlich".

Powerpoint auf der Kegelbahn

Immer noch scheint die AfD aus mehreren unterschiedlichen Parteien zu bestehen. In Droyßig im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt ist Deutschland am vergangenen Freitag ein geteiltes Land. Der Gewölbekeller ist in der Mitte geteilt worden, auf der einen Seite sitzen dreißig Menschen, die zu einer Bürgersprechstunde von André Poggenburg gekommen sind, dem AfD-Vorsitzenden in Sachsen-Anhalt. Auf der anderen Seite? Fünf Kamerateams. Hier lag die AfD im September bei fünf Prozent - nun steht sie zwischen 17 und 19. Im Interview mit dem polnischen Fernsehen klingt es schon jetzt, als sei Poggenburg Teil einer irgendwie historischen Bewegung. Erste Frage des Interviewers: Herr Poggenburg, ich habe gehört, Sie waren von Anfang an mit dabei, stimmt das?

Die AfD könnte zweitstärkste Kraft im Land werden. Wer schaut da auf Details? Auf den ersten Blick ist Poggenburg ein Glücksgriff für die AfD, und andersherum gilt das ebenso. 40 Jahre alt, ein in Weißenfels geborenes Kind des Landes, Unternehmer. Sanftes Äußeres, rhetorisch galant - Poggenburg kann klare Jawoll-Sätze formulieren. Auf den zweiten und dritten Blick allerdings ergeben sich Fragen. Gegen Poggenburg wurde wegen nicht beglichener Schulden mehrmals Haftbefehl erlassen, so viel zum Privaten. Er startete mit dem Thüringer Landeschef Björn Höcke vor einem Jahr die "Erfurter Resolution", in der beide sich für eine, nun sagen wir, noch viel konservativere Ausrichtung der Partei aussprechen.

Joachim Paul bietet politisches Schwarzbrot - für Aufregung sorgt nur ein großer Hund

In Droyßig, im Gewölbekeller, erzählt Poggenberg lieber die Geschichte, die er am besten erzählen kann: Die eines einst unpolitischen Menschen, den die Sorge um sein Land in die Politik und zur AfD gespült hat. Auch den Zuhörern gibt er das Gefühl, wer AfD wähle, könne Teil einer Erfolgsgeschichte werden. Beim letzten Landesparteitag, sagt Poggenburg, da habe man für die Wahl 15 Prozent plus x als Ziel formuliert. "Ich war mir damals nicht sicher, ob wir das im Spaß oder im Ernst als Ziel ausgegeben haben." Jetzt wisse er: war ein Spaß. Das neue Ziel: 20 Prozent plus x.

dpa-Story: Strategen der AfD

Strategen der AfD - Der Landesvorsitzende in Sachsen-Anhalt André Poggenburg (r) und Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, während einer Kundgebung in Magdeburg

(Foto: dpa)

Wen die AfD so alles anzieht, ist auch in Rheinland-Pfalz zu erleben, genauer: in Mainz, Stadtteil Hechtsheim, der mehr Dorf ist als Stadt. Die AfD hier gilt als ähnlich gemäßigt wie im Nachbarland Baden-Württemberg. Joachim Paul hat ins kroatische Restaurant "Zur Kegelbahn" geladen, gleich daneben stehen Ziegen auf einer Wiese. Paul, Listenplatz 2 hinter Spitzenkandidat Uwe Junge, sagt, dass sie Schwierigkeiten hätten, Lokale zu finden. Viele Wirte hätten Angst vor Attacken der Linken. Die sind an diesem Abend auch gekommen, neben den Ziegen versammeln sie sich zur Gegendemo.

Drin, im schlauchartigen Hinterzimmer neben der Kegelbahn, redet Joachim Paul über Bildung, kein Brüllerthema in der einstigen Professorenpartei. Paul, Lehrer von Beruf, Mitglied in einer sehr rechten Burschenschaft, bildungspolitischer Sprecher der AfD, kämpft sich durch seinen konfusen Powerpointvortrag. "Ich hoffe, er ist nicht zu akademisch." Wer erwartet hätte, dass er über Schulkassen lamentiert, in denen viele Kinder kein Deutsch verstehen, wird enttäuscht. Paul serviert politisches Schwarzbrot zum Wahlkampf-Finale: Die AfD wolle Inklusion, aber keine "totale Inklusion". Die Lehrer sollten "ehrliche" Zensuren geben, keine "Gefälligkeitsnoten", weil sonst das Niveau sinke. "Noten müssen Wegweiser sein." Und er singt das Hohelied auf das duale System, also Ausbildung plus Berufsschule.

Das ist so unspektakulär, dass selbst eine Beobachterin aus dem linken Lager sagt, sie habe damit kein Problem. Aber die Anwesenden sollten sich doch gut überlegen, welche Partei sie da unterstützten. Man lässt sie gewähren, Paul vermeidet eine Diskussion über Flüchtlinge und Islam, auch wenn mancher Anhänger gerne einsteigen würde. Für Aufregung sorgt allein der örtliche Direktkandidat, genauer: dessen Hund. Der beißt zwar nicht, versetzt aber die Kellnerin in Angst und Schrecken, sie traut sich kaum, das Bier zu servieren. Der Hund ist aufgeregt, so sehr, dass er seinem Kandidaten-Herrchen vor die Füße erbricht. Herrchen holt Küchentücher und wischt auf, während direkt neben ihm Joachim Paul seine Bildungsideale referiert. Gegen den "Akademisierungswahn" sei er. "Meister statt Master", liest er vom Bildschirm ab, um sich gleich fast zu entschuldigen, weil das doch "etwas provokant" sei. So provokant, dass keine AfD-Stimmung aufkommt neben der Kegelbahn.

Aber die AfD hat längst die gewünschte Aufmerksamkeit. Am Sonntag will Frauke Petry in Berlin feiern, im sicheren Gefühl, dass keiner um sie herum kommt.

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