Braucht eine Partei einen Spitzenkandidaten - oder darf es auch ein Grüner mehr sein, sogar zwei oder drei? Vor einigen Monaten einigten sich Berlins Grüne auf ein Quartett. Es soll interne Brüche kitten und eine Antwort auf das Trauma der letzten Wahl. Vor fünf Jahren war Renate Künast mit dem Anspruch angetreten, die erste grüne Regierungschefin der Hauptstadt sein zu wollen. Aber sie verlor gegen Klaus Wowereit, wenn auch mit einem Rekordergebnis für die Berliner Grünen. Sie fanden sich in der Opposition wieder.
Nun setzten sich drei Frauen und ein Mann so lange zusammen, bis alle einsahen, dass es diesmal nicht nur einen oder eine geben sollte. Es soll ein hartes Ringen gewesen sein, bis feststand, dass sie mit vier Spitzenkandidaten antreten: den Parteichefs Bettina Jarasch und Daniel Wesener und den Vorsitzenden der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Antje Kapek und Ramona Pop.
Als Erfahrenste führt die 38-jährige Politologin Pop die Landesliste an. Sie hütet sich davor, das hervorzuheben. Die grüne Basis reagiert empfindlich, die äußerst pragmatische Realo muss die starke Linke im Landesverband bedenken. Sie ist gewarnt, bei ihrer Nominierung bekam sie nur 60 Prozent der Stimmen.
Seither aber führt das Quartett einen Wahlkampf ohne Reibungsverluste. Spöttisch weisen die Grünen auf den Kontrast zu SPD und CDU hin. Die haben alles auf die alleinigen Spitzenkandidaten Michael Müller und Frank Henkel ausgerichtet, aber es wird viel spekuliert, ob noch alle hinter den Führungsfiguren stehen. Die Sorge kennt das Quartett nicht. Während Müller und Henkel in Umfragen verloren, zogen die Grünen im Sommer fast gleich. Pop musste Fragen beantworten, die das grüne Drehbuch nicht vorsah: Was würde passieren, wenn die Grünen alle überholen? Würde sie Regierende Bürgermeisterin?
Wenn es um Berlin geht, kann Pop angreifen
Sie antwortete ausweichend, man möge den Ball flach halten. Und ging mit guten Umfragen im Rücken in den Wahlkampf. Während die Senatsparteien auf Missmut stießen, konnte man erleben, wie Pop mit Leichtigkeit in Gespräche fand. Sie hat anderes erlebt, Wahlkämpfe, in denen Grüne als Kriegstreiber beschimpft wurden oder wegen Hartz IV. Diesmal gebe es weniger Anfeindungen, sagt sie, die Menschen seien wohlwollender und positiver, "aber auch uns trifft manchmal die massive Wut von Menschen, die Politiker beschimpfen und blank ablehnen."
Geht es um Berlin, kann Pop angreifen. Sie zählt Schwächen des Senats auf, in dem sich SPD und CDU seit Monaten befehden. Pop macht das mit der kühlen Professionalität einer Oppositionspolitikerin, die in 15 Jahren Abgeordnetenhaus das Angreifen geübt hat. Mit viel Temperament, aber dosierter Routine: "Ich sehe mich nicht in der Versuchung zu toppen, wie SPD und CDU sich hier gegenseitig schrill angehen. Das ist kein guter Stil und befördert Politikverdrossenheit."
Nachtkritik zur RBB-Debatte:"Das, was man fühlt, ist auch Realität"
In der RBB-Debatte zur Berlin-Wahl zeigt der AfD-Vertreter, wie man in der Partei Politik versteht: Nicht die Fakten zählen, sondern das, was der Bürger empfindet.
Um so mehr fiel zwischen wohlkalkulierten Attacken ein Zornesausbruch auf. In der Runde der Spitzenkandidaten im rbb-Fernsehen ging Pop den AfD-Chef Georg Pazderski hart an: "Ich bin froh, dass es Ihre Partei bei meiner Einreise noch nicht gab. Vermutlich hätten Sie mich aussortiert." Sie ist Rumäniendeutsche, kam als Zehnjährige mit den Eltern ins Land.
Pop hat die doppelte Staatsbürgerschaft, wie mehr als 200 000 andere Berliner. Privates machte sie selten zum Thema. Diesmal klang es, als ginge es nicht anders. Wie kurz zuvor, als CDU-Chef Henkel gegen die doppelte Staatsbürgerschaft polemisierte. Sie habe überlegt, ob sie sich in der Botschaft den rumänischen Pass holen soll, erregte sich Pop. Mit dieser CDU werde sie nicht regieren.
"Die Polizei arbeitet für uns, das wollen wir auch wertschätzen"
Regieren wollen die Grünen nur zu gern. Man wolle Motor in einer handlungsfähigen Regierung sein, sagt Pop. Sie verzichten auf Zuspitzungen, die verschrecken könnten, und bieten sich als verlässliche Regierungspartei an, mit der alles besser funktionieren werde - der Bau von Wohnungen wie die Wiederbelebung der dysfunktionalen Verwaltung.
Diese Partei lebe nicht mehr im Kampfmodus gegen die Gesellschaft, sagt Pop. Es gehe gerade darum, zu verteidigen, was die Demokratie ausmacht. "Wir leben in Zeiten, in denen es wichtig ist, sich hinter die Institutionen des Rechtsstaates zu stellen." So besucht sie Feuerwehr und Polizei, fordert mehr Beamte und bessere Ausstattung. "Wir wollen die Dinge verbessern, aber es ist auch wichtig, klarzumachen: Die Polizei arbeitet für uns, das wollen wir auch wertschätzen. Das zeigen wir."
Länger als ein Jahrzehnt haben die Grünen in Berlin nicht regiert. Diesmal soll es unbedingt gelingen. Im Moment sieht es so aus, als könnte ohne sie kaum eine Regierung gebildet werden - auch wenn ihre Umfragewerte gerade schlechter geworden sind. Bei 15 Prozent sieht sie die Forschungsgruppe Wahlen. Nach einer grünen Bürgermeisterin fragt keiner mehr.
SPD-Chef Müller hat sich für ein Bündnis mit ihnen ausgesprochen, aber weil es für die zwei kaum reichen dürfte, müssten die Linken dazugeholt werden. Dafür sind alle offen. Pop warnt davor, Müller zu glauben: "Nur mit starken Grünen gibt es einen echten Neuanfang, das sollte den Wählern klar sein, wenn sie nicht wieder Rot-Schwarz haben wollen." Sie waren schon zu oft nahe dran.