Proteste gegen die CDU:„Im Visier von Störern und Demonstranten“

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Demoliertes Wahlplakat von Dennis Thering, dem CDU-Spitzenkandidaten bei der Hamburger Bürgerschaftswahl. Er selbst wurde mit einer Einkaufstasche attackiert. (Foto: Marcus Brandt/DPA)

Seit dem Migrationsvorstoß von Friedrich Merz werden Vertreter der CDU vermehrt attackiert. Die Christdemokraten machen auch SPD und Grüne dafür verantwortlich. Ein Protestforscher sieht eine Tendenz zur Skandalisierung.

Von Jan Heidtmann und Ulrike Nimz, Berlin, Hamburg

Die Proteste gegen eine Kooperation mit der AfD reißen nicht ab. Zwar steht keine Großdemonstration an wie am vergangenen Sonntag in Berlin. Da waren mindestens 160 000 Menschen gegen die CDU auf die Straße gegangen, weil die Christdemokraten zuvor im Bundestag die Stimmen der AfD für ihre Migrationspolitik billigend in Kauf genommen hatten. Aber allein in der Hauptstadt sind für das kommende Wochenende mehrere Kundgebungen angemeldet. „Ein Zeichen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus“ oder „Großer Löschzug zur Bekämpfung des rechtspopulistischen Brandherdes in der CDU-Zentrale“ lauten die Titel. Auch in München werden am Samstag viele Tausende erwartet, Motto: „Demokratie braucht Dich“.

Die Stimmung ist seit der Sitzungswoche im Bundestag derart aufgeheizt, dass allerdings nicht nur gegen die CDU protestiert wird, sondern auch Wahlkämpfer und Einrichtungen attackiert werden. Schon in der vergangenen Woche hatte das Landeskriminalamt die Christdemokraten in Berlin gewarnt, sie seien im „Visier von Störern und Demonstranten“.  Da hatten Aktivisten vom Bündnis „Widersetzen“ bereits ein CDU-Bürgerbüro im Ortsteil Charlottenburg besetzt. Die Polizei konnte die Aktion nach einer Stunde ohne Zwischenfälle beenden.

Christoph de Vries beklagt eine „beispiellose Zerstörungswelle“

Seitdem haben die Übergriffe zugenommen. Am Sonntag wurde ein Berliner Lokal, in dem sich CDU-Mitglieder tags darauf treffen wollten, mit Parolen beschmiert. Am Mittwochabend bedrängte ein Mann zwei Wahlkampfhelfer von der Jungen Union, als sie in Berlin-Schöneberg Flyer in Briefkästen warfen. Einer der beiden Helfer stürzte dabei offenbar zu Boden und erlitt einen Bluterguss am Oberschenkel.

Auch in Hamburg gab es Übergriffe. Unter anderem wurde die Landesgeschäftsstelle der Christdemokraten beschmiert und ein Banner dort platziert: „Hier sitzen die Straftäter – CDU raus“. Dennis Thering, Vorsitzender der Partei und Spitzenkandidat zur Bürgerschaftswahl, verurteilt die Attacken. Direkt nach dem Bundestagsvotum sei die Stimmung aggressiv gewesen, inzwischen aber wieder etwas abgekühlt. Auf dem Isemarkt, Hamburgs berühmtem Wochenmarkt, sei er von einer Frau beschimpft, mit einer Einkaufstasche attackiert, aber verfehlt worden. „Mir macht das nichts aus, ich habe ein breites Kreuz, aber wenn Demokratie immer nur so weit geht wie die eigene Meinung, dann haben wir ein Problem.“

Christoph de Vries, Vorsitzender des Kreisverbandes Hamburg-Mitte und Bundestagsabgeordneter, spricht von einer „beispiellosen Zerstörungswelle“ gegen CDU-Plakate. Im Straßenbild sichtbar sind Kandidatenporträts mit Clownsnasen und Hitlerbärten. Vergangene Woche habe man Wahlkampfstände in der Innenstadt absagen müssen, so de Vries, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten sich nicht sicher gefühlt. De Vries wünscht sich mehr Solidarität von SPD und Grünen, die in Hamburg gemeinsam regieren. „Es gibt einen Grundkonsens, dass man solche Angriffe unter Demokraten verurteilt.“ Die Hamburger Polizei teilt auf Anfrage mit, man habe wie üblich eine Gefahrenbewertung vorgenommen und die CDU beraten, wie man Sicherheit am Wahlkampfstand gewährleistet. „Eine Empfehlung diese abzusagen, ist nicht erfolgt.“

Nicht jede Protestform ist ein Angriff, sagt Experte Simon Teune

Die CDU ist mit diesen Attacken nicht allein. Eine Anfrage der Linken-Politikerin Martina Renner ergab Mitte der Woche, dass die Übergriffe gegen politische Amts- und Mandatsträger im vergangenen Jahr erheblich zugenommen haben – nach Angaben des Bundesinnenministeriums von 317 solcher Taten 2023 auf nun 533. Besonders betroffen davon ist die CDU. In trauriger Erinnerung ist auch der Angriff auf den SPD-Politiker Matthias Ecke geblieben, der im Wahlkampf in Sachsen von extrem Rechten krankenhausreif geschlagen worden war.

„Die CDU spricht ungern über fast eine Million Menschen, die seit der vergangenen Woche auf die Straße gegangen sind“: Demonstranten vor der Berliner Parteizentrale. (Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP)

Der Protestforscher Simon Teune rät trotz der rauen Stimmung im politischen Wettkampf zur Differenzierung: Nicht jede Protestform sei ein Angriff. „Eine klare Grenze verläuft für die große Mehrheit da, wo Menschen bedroht oder körperlich angegangen werden.“ Friedfertigkeit sei weitestgehend Konsens. Doch „Parteizentralen zu besetzen oder auch Sprüche zu sprühen, gehört zum Protestalltag“, meint Teune. Das erlebe nicht nur die CDU, es betreffe auch die anderen Parteien, von AfD bis SPD.

„Das zu skandalisieren, ist auch eine Form der Ablenkung von dem Tabubruch im Parlament, gegen den sich die Proteste richten.“ So sei in den jüngsten Tagen eine Kaskade an Protesten und Gegenprotesten entstanden. „Ich habe den Eindruck, dass sich gerade jeder rauspickt, was ihm besser passt“, sagt Teune. „Die CDU spricht ungern über fast eine Million Menschen, die seit der vergangenen Woche auf die Straße gegangen sind. Sie spricht lieber über die Attacken.“

Attacken werden eher thematisiert als die friedlichen Proteste

Auch auf dem CDU-Parteitag am vergangenen Montag wurden die friedlichen Demonstrationen nicht thematisiert. CSU-Chef Markus Söder erwähnte in seiner Rede nur die „Linksextremisten“, die das Wahlkreisbüro der CDU besetzt hätten. Sie sollten genau so behandelt werden wie Rechtsextremisten, forderte Bayerns Ministerpräsident. Auch jetzt erwähnt die CDU die friedlichen Proteste nicht; stattdessen zieht ein Berliner CDU-Politiker als ein Grund für die aggressive Stimmung gegen seine Partei eine Projektion während der Großdemonstration am Sonntag heran. „Ganz Berlin hasst die CDU“ habe darauf gestanden.

„Das hat nichts mit uns zu tun“, sagt Christoph Bautz, Mitgründer der Kampagnen-Organisation Campact, die den Protestzug am Sonntag organisiert hatte. „Das ist keinerlei Aussage, die wir uns zu eigen machen. Wir sind gerade gegen Hass angetreten.“ Bei einer Veranstaltung mit Hunderttausenden Teilnehmern sei es jedoch sehr schwer, alle zu kontrollieren. Schon wegen des Versammlungsrechts dürfe kaum jemand ausgeschlossen werden. „Über Appelle hinaus kann man da wenig machen.“

Aber nicht Extremisten, sondern friedliche Demonstranten hätten die Proteste am Sonntag bestimmt, sagt Bautz. „Wir sind sehr froh mit der Veranstaltung, auch weil sie aus der Mitte der Gesellschaft kam.“

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