Wahlkampf am Independence Day:Obama umgarnt die Latinos

So ein Feiertag bedeutet Arbeit. Für den US-Präsidenten, der am Independence Day im Weißen Haus Migranten einbürgert. Und für die ausländischen Korrespondenten, die das Bild in die Welt tragen sollen: Barack Obama kümmert sich um die Einwanderer. Die zufällig auch eine wichtige Wählergruppe sind.

Matthias Kolb, Washington

Barack Obama begrüßt Neubürger

Oberster Wahlkämpfer der USA: Präsident Barack Obama begrüßt einen eingebürgerten US-Marine im Weißen Haus.

(Foto: AFP)

Als europäischer Journalist ist es ziemlich schwer, in Amerika Zugang zu Politikern zu bekommen. "You don't bring any votes", heißt es oft, weshalb es Kollegen aus Lateinamerika oft leichter haben. Doch am Unabhängigkeitstag dürfen viele Korrespondenten ins Weiße Haus, denn die Welt sollte erfahren, wie sich Präsident Obama für Einwanderer einsetzt. In prunkvollem Ambiente werden 25 Migranten eingebürgert und dabei umschmeichelt der Demokrat vor allem die Latinos, denn deren Stimmen braucht er für eine zweite Amtszeit.

An wen sich diese Veranstaltung richtet, wird schon beim Einlass deutlich. Um mich herum höre ich vor allem Spanisch. Eine Korrespondentin der spanischen Zeitung El Pais wartet ebenso neben mir wie ein Redakteur des mexikanischen Fernsehens sowie Mitarbeiter der Kabelsender Univision und Telemundo. Sie alle haben wie ich eine E-Mail mit Namen, Geburtsdatum und Social Security Number an die Pressestelle geschickt und eine Akkreditierung bekommen.

Während wir darauf warten, abgeholt zu werden, blättere ich in den Unterlagen. 25 Männer und Frauen, die alle außerhalb Amerikas geboren wurden und nun als Soldaten in der US-Armee oder bei der Nationalgarde dienen, werden eingebürgert und das Staatsoberhaupt wird eine Rede halten. Der Auftritt passt zu Obamas Beschluss, wonach illegale Einwanderer unter 30, die zur Schule gehen, fleißig studieren oder sich freiwillig zum Militär gemeldet haben, nicht mehr abgeschoben werden sollen, sondern eine zweijährige Aufenthaltserlaubnis bekommen.

Etwa eine Million junger Latinos wird davon profitieren und so wundert es nicht, dass zehn der 25 Neu-Amerikaner aus Mittel- und Südamerika stammen. "Er braucht uns Latinos, das ist uns allen bewusst", meint eine peruanische Journalistin grinsend. Sie kennt die Umfragen, wonach Obama momentan landesweit 66 Prozent der Stimmen der hispanics erhält, während der Republikaner Mitt Romney nur auf 25 Prozent kommt.

Eine Stunde vor Beginn der Zeremonie geht es los. Schritt für Schritt nähern sich die Journalisten dem Weißen Haus, das auf den TV-Bildern stets größer wirkt, als es in Wahrheit ist. Der Tross pausiert auf einem Hof und beobachtet vier Köche, die auf drei Holzkohlegrills Dutzende Maiskolben rösten (Foto). Die Wartezeit vertreiben sich die Nicht-Latinos mit Erinnerungsfotos, während die übrigen Kollegen auf spanisch in ihre Handys rufen oder sich bereits Notizen machen. Schließlich öffnet sich die große Tür und wir werden in den prunkvollen East Room geführt, wo die Familienmitglieder und Freunde der Neubürger bereits auf goldenen Stühlen sitzen.

Ein Helfer zupft die Stars-and-Stripes-Fahne hinter dem Rednerpult zurecht und per Lautsprecherdurchsage werden alle ermahnt, die Mobiltelefone lautlos zu stellen. Um 10:50 Uhr betritt Barack Obama gemeinsam mit Heimatschutzministerin Janet Napolitano und dem Chef der Einwanderungsbehörde Alejandro Mayorkas den Raum. Napolitano nimmt den 25 Frauen und Männern aus 17 Ländern den Eid ab und überlässt ihrem Chef die Bühne.

"Amerika ist eine Fackel der Freiheit"

In seiner elfminütigen Rede verbindet Obama sein Amt als US-Präsident mit den Anforderungen des Wahlkämpfers (mehr Details zur Rede bei Politico). Staatsmännisch begrüßt er die Neuamerikaner: "Es ist perfekt, den Geburtstag unseres Landes, der ältesten Demokratie der Welt, mit unseren neuesten Mitbürgern zu feiern." Der 50-Jährige erinnerte daran, dass die USA in den 236 Jahren seit ihrer Unabhängigkeitserklärung stets eine "Nation von Einwanderern" gewesen seien und das Land bis heute dadurch "stärker und wohlhabender" werde, dass es Menschen aus aller Welt anziehe, die von einem besseren Leben träumten.

Amerika, verkündet der erste Wahlkämpfer des Landes stolz, sei heute eine starke Demokratie, "eine Fackel der Freiheit" und "Vorbild für die Welt". An diesem Feiertag ignoriert Obama die acht Prozent Arbeitslosigkeit und das schwächelnde Wachstum und lobt die eigene Volkswirtschaft als größte und dynamischste überhaupt. Und das Militär, in dem die 25 Männer und Frauen freiwillig dienen, ist für den Oberbefehlshaber sowieso das beste in der Geschichte des Erdballs.

Entscheidend für Sieg oder Niederlage

Obama wendet sich nicht auf Spanisch an sein Publikum, denn schließlich kamen die anderen Neubürger einst auch aus Russland, den Philippinen, der Ukraine, China oder Nigeria nach Amerika. Doch es passt zur sorgfältigen Orchestrierung des Auftritts, dass drei der vier namentlich genannten Soldaten aus Mexiko, El Salvador und Bolivien stammen - einige jener Länder, aus den die zwölf Millionen wahlberechtigten hispanics kommen, die vor allem in swing states wie Florida, Virginia, Colorado oder Nevada über Sieg und Niederlage entscheiden könnten.

Während Herausforderer Romney in New Hampshire unter Beobachtung der US-Medien Urlaub macht und sich als Großfamilienmensch inszeniert (mehr in dieser Bildstrecke), macht Obama unverhohlen Wahlkampf: Er lobt seine Entscheidung, so viele talentierte junge Leute vom "Schatten der Abschiebung" befreit zu haben und fordert die Verabschiedung des "Dream Act" - das Gesetz würde Soldaten und Studenten, die als Kinder nach Amerika kamen, die Einbürgerung erleichtern. Und er wünscht sich, was Beobachter als wichtigstes Thema einer zweiten Amtszeit sehen: eine umfassende Reform der Einwanderungsgesetze.

Nach dem abschließenden Treuegelöbnis, das ein Marine aus Guatemala verliest, schüttelt Obama jedem potentiellen Wähler die Hand und posiert bereitwillig für Fotos, bevor er durch die Seitentür verschwindet - der 14. Geburtstag von Tochter Malia muss gefeiert werden. Zurück bleiben 25 glückliche und gerührte Neuamerikaner, denen Freude und Stolz deutlich anzumerken ist. Und die ausländischen Journalisten wurden eilig ins Pressekabuff oder zum Ausgang gebeten.

Linktipp: In einem langen Artikel lotet der Washington-Korrespondent des New Yorker aus, welche Prioritäten Obama in einer zweiten Amtszeit setzen könnte. Eine umfassende Reform der Einwanderungsgesetze könnte ganz oben auf der Liste stehen, vermutet Ryan Lizza.

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