Wahljahr in Russland:Es geht um Putins Vermächtnis

Wahljahr in Russland: In seiner wohl letzten Amtszeit muss Präsident Wladimir Putin nicht nur den Stolz, sondern auch den Wohlstand der Russen mehren.

In seiner wohl letzten Amtszeit muss Präsident Wladimir Putin nicht nur den Stolz, sondern auch den Wohlstand der Russen mehren.

(Foto: AFP)

Russland steht vor einem Schlüsseljahr: Die anstehende Präsidentschaftswahl ist für Putin ein Klacks. Doch die nächste Amtszeit könne seine schwierigste werden.

Kommentar von Frank Nienhuysen

Russland erwacht aus seinem Neujahrsschlaf, und es springt mit einem Satz direkt in den Kampf um einen der mächtigsten Posten der Welt. Noch zwei Monate, dann wird der Präsident gewählt, und bis dahin soll es so bunt zugehen, wie dies in Russland eben möglich ist.

Die frühere High-Society-Lady Ksenia Sobtschak wird gegen die politische Führung stänkern, die Kommunisten tun ausnahmsweise so, als seien sie unzufrieden mit der Regierung. Und aus der muslimischen Kaukasusrepublik Dagestan will die Chefredakteurin eines Islam-Magazins Präsidentin werden.

Sie alle sollen mit ihrer Kandidatur bezeugen, dass Russland ein pluralistisches Land ist, und dass der Weg in den Kreml jedem offen steht. Dort aber sitzt Wladimir Putin, und zwar sehr fest - bereit für eine wohl letzte Amtszeit. Es könnte seine schwierigste werden. Denn es geht um sein Vermächtnis.

Die Wahl selbst ist für Putin ein Klacks. Der einzige, theoretisch ernsthafte Widersacher Alexej Nawalny darf gerade deswegen nicht kandidieren, weil er gefährlich werden könnte. Putin spaziert so zu seiner vierten Präsidentschaft und wird auch die lange Kreml-Regentschaft von Leonid Breschnjew übertreffen. Sollte er die Verfassung nicht ändern, muss er nach sechs Jahren abdanken.

Noch ein Interregnum à la Medwedjew und eine Rückkehr - mit dann Mitte 70 - wird Putin nicht anstreben. Denn es war die Zeit, als die Hoffnung vieler Russen in Enttäuschung umschlug. Seine Nachfolge dürfte Putin also in der nächsten Amtsphase regeln.

Die Russen - stolz, aber nicht satt

Aber allein die Machtfrage für die Post-Putin-Ära zu regeln, ist kein nachhaltiges Vermächtnis. Wenn Putin noch einmal tiefe Spuren ziehen will, muss er die Zeit nutzen, um sein Land zu modernisieren. Sonst könnte sein Name später auch für Stagnation stehen.

Als Putin die Herrschaft vom zunehmend erratisch gewordenen Boris Jelzin übernahm, wollte er die Russen aufrichten. Zu Hilfe kamen ihm hohe Energiepreise und die Petro-Rubel. Die nun auslaufende Amtszeit ist geprägt von überschäumendem Patriotismus und Konflikten mit dem Westen, die davon ablenken, dass im Land selbst die meisten Reformversuche erstarrt sind.

Die Annexion der Krim, der erfolgreiche Eingriff in den Syrien-Konflikt - all dies stillt die Sehnsucht der Russen nach Beachtung. Eine Sehnsucht, die der Kreml geschickt förderte. Dass kaum noch eine internationale Krise ohne Moskaus Mitwirken gedämpft werden kann, macht die Russen stolz. Aber es macht sie nicht satt.

Putin hat die Instrumente des Machterhalts weitgehend ausgereizt

Der Daueraufschwung der Nullerjahre ist längst gestoppt. Anders als China ist Russland zwar zu einer politischen und militärischen, nicht aber zu einer Wirtschaftsmacht geworden. Das Land schleppt sich mit niedrigen Wachstumsraten voran und verliert den Anschluss an die großen Industrienationen.

Korruption ist ein hemmender Dauerzustand, das medizinische System bleibt marode, Straßen, Schulen und Kindergärten sind chronisch sanierungsbedürftig. Modern und im Weltmaßstab konkurrenzfähig ist das Land fast nur in der Rüstungsindustrie.

Anders als die Propaganda es suggeriert, verringert sich die Abhängigkeit von den Öl- und Gasexporten kaum. Gibt es als Ersatz für die Härten des Alltags künftig also noch mehr Patriotismus, genährt von kriegerischen Einsätzen? Noch mehr Selbstpreisungen über die gelenkten Medien? Noch schärfere Attacken gegen Widerstand und Protest?

All die Instrumente des Machterhalts hat Putin weitgehend ausgereizt. Vor allem die Jugend immunisiert sich gegen die Indoktrinierung und wendet sich dem Internet und sozialen Foren zu. Allein mit noch mehr Kontrolle wird der Staat sie nicht einfangen können.

Ziel: höherer Lebensstandard

Viele Liberale freuen sich, dass die Proteststimmung gewachsen ist. Sie sehen darin die Chance, den Druck für Reformen zu erhöhen. Aber niemand sollte sich täuschen. Schon die Demonstrationen im Winter 2011/12 haben gezeigt: Die Schüler von heute werden morgen ihren Protesteifer verlieren, wenn sie ihre Kraft nicht für einen, sondern für zwei Jobs aufbringen müssen.

Putin ahnt offenbar, dass er nicht nur das Selbstwertgefühl, sondern auch den Wohlstand mehren muss: Er hat die spürbare Erhöhung der Einkommen und des Lebensstandards zum großen Ziel der nächsten Präsidentschaft erklärt. Das aber funktioniert letztendlich nicht mit immer weniger, sondern nur mit mehr gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Freiheit. Kaum absehbar, dass es dazu kommt. Putin wird nicht lockerlassen.

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