Wahlgesetze:Die Bürgermeister-Lotterie

Ob per Zettelziehung oder aus dem Überraschungs-Ei: Mancher deutsche Bürgermeister kommt per Losentscheid zu seinem Amt. Bei einem Patt der Stimmen darf der Zufall bemüht werden.

Nadeschda Scharfenberg

Die Gemeinde Neu Wulmstorf in Niedersachsen hat einen Bürgermeister aus dem Überraschungs-Ei, und das kam so: Bei der konstituierenden Sitzung am 10. November 2006 konnte sich der Gemeinderat nicht auf einen zweiten stellvertretenden Bürgermeister einigen, nach zwei Wahlgängen stand es immer noch unentschieden.

Wahlgesetze: Das Los hat entschieden: Konrad Schlier (li.) ist neuer Bürgermeister von Bergtheim. Robert Kremling (re.) hatte das Nachsehen.

Das Los hat entschieden: Konrad Schlier (li.) ist neuer Bürgermeister von Bergtheim. Robert Kremling (re.) hatte das Nachsehen.

(Foto: Foto: dpa)

Laut niedersächsischer Gemeindeordnung ist dann ein Losverfahren vorgesehen. Die Namen der beiden Kandidaten, eines CDU- und eines SPD-Mannes, wurden also auf Zettel geschrieben, die wiederum in gelbe Überraschungsei-Plastikhülsen gesteckt wurden, und dann durfte der erste Bürgermeister ziehen. Der glückliche Gewinner: Christdemokrat Jan Lüdemann. "Das war sehr schön", sagt Lüdemann, seine Glaubwürdigkeit in der Gemeinde habe keinesfalls darunter gelitten, dass er seinen Posten zugelost bekommen habe.

Es kommt gar nicht so selten vor, dass die Politik in Deutschland vom Faktor Glück gemacht wird. Erst am Mittwoch bestimmte der Zufall Konrad Schlier zum Bürgermeister der unterfränkischen Gemeinde Bergtheim. In der Stichwahl am 16.März hatte der Freie Wähler Robert Kremling zwar eine Stimme mehr erhalten als CSU-Kandidat Schlier - aber beim Nachzählen hatte sich ein Wahlzettel als ungültig herausgestellt.

Für den Fall der Stimmengleichheit sieht das bayerische Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz, Artikel 46, den Losentscheid vor, als Glücksritter tritt der Wahlleiter auf. Bei der jüngsten Kommunalwahl gab es sogar ein zweites Patt, in Bastheim im Landkreis Rhön-Grabfeld, wo die CSU-Politikerin Anja Seufert durch Zettelziehung Bürgermeisterin wurde. Im thüringischen Bad Berka amtiert ebenfalls ein politischer Glückspilz, sein Fall ging bis vor das Oberverwaltungsgericht, das die Ämter-Verlosung für rechtens befand.

Per Lotterie eroberte auch der oberpfälzische FDP-Chef sein Amt, und in Aalen wurde vor ein paar Jahren ein Landrats-Posten ausgeknobelt. Auch bei der Wahl zur nächsten Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten bestimmt, werden mindestens zwei Sitze verlost.

Sogar für Bundestagswahlen ist ein Losentscheid vorgesehen, wenn zwei Direktkandidaten dieselbe Stimmenzahl bekommen oder wenn bei der Verteilung der Sitze für die Listenkandidaten ein Patt herrscht. Diese Fälle seien allerdings noch nie eingetreten, heißt es im Büro des Bundeswahlleiters, auch bei Europa-Wahlen habe noch nie der Zufall über ein Mandat entscheiden müssen.

Aber wie passt das Glück zum Grundgesetz? Dort heißt es in Artikel 20: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" und nicht: "Die Staatsgewalt geht von der Lostrommel aus." Der Staatsrechtler Joachim Wieland von der Hochschule für Verwaltungswirtschaft in Speyer hat keine juristischen Bedenken. Die Legitimierung eines Politikers durch das Volk sei das Normale - "aber es gibt eben Situationen, in denen Stimmengleichheit herrscht", in denen das Volk den Staat ohnmächtig mache. Das sei nicht erfreulich, sagt Wieland, aber trotzdem brauche man "einen Notbehelf". In den deutschen Wahlgesetzen und -ordnungen ist als Notlösung stets das Los vorgesehen - weil der Zufall unabhängiger entscheidet als irgendeine Person, der man die Entscheidungsgewalt übertragen würde.

Die Polit-Lotterie indes ist in der Demokratie ein altes Mittel: Im antiken Athen wurden die Herrschenden jährlich per Los bestimmt. Das hatte den Vorteil, dass sich kein Demagoge mit hohlen Versprechungen an die Macht schwätzen konnte.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: