Süddeutsche Zeitung

Dov H. Levin:"Einmischungsversuche in Wahlen werden oft unterschätzt"

Russen und Amerikaner haben immer wieder versucht, fremde Wahlen zu beeinflussen. Auch in Deutschland. Wissenschaftler Dov H. Levin erklärt die Hintergründe.

Interview von Tahir Chaudhry und Moritz Matzner

Der amerikanische Politikwissenschaftler Dov H. Levin hat ein Forschungsgebiet, das ihn nach den jüngsten Versuchen Russlands, die Wahlen in den USA zu beeinflussen, zum gefragten Mann macht: Er untersucht Wahleinmischungen von Russen - und von Amerikanern.

SZ: Ist die externe Einflussnahme auf Wahlen ein neues Phänomen?

Dov H. Levin: Nein, das ist eine altbekannte Praxis. Nehmen wir die erste US-Wahl 1796. Dort gab es eine externe Einmischung - nämlich der Franzosen. Ich habe mir Einmischungsversuche seitens der USA und der UdSSR oder Russlands auf nationale Wahlen im Zeitraum von 1946 bis 2000 angeschaut. Insgesamt gab es 117 Fälle, 36 Mal mischten sich die UdSSR oder Russland, 81 Mal die USA ein. Bei jeder neunten nationalen Wahl in diesem Zeitraum gab es demnach eine externe Einmischung.

Sprengen die Einmischungsversuche in die US-Wahl 2016 den Rahmen?

Einmischungsversuche in Wahlen werden oft unterschätzt, aus Geschichtsvergessenheit heraus. Dabei sind sie ein oft angewendetes Instrument zur Beeinflussung des Weltgeschehens, das sollte nicht verharmlost werden. In den amerikanischen Medien werden die Einmischungsversuche Russlands aber fälschlicherweise als außergewöhnlich und als eine Aktion von beispiellosem Ausmaß dargestellt.

Wann hat die UdSSR versucht, Wahlen in den USA zu beeinflussen?

Bis zur Jahrtausendwende bin ich auf zwei Fälle gestoßen: einmal 1948, damals sollte die Wahl Harry Trumans verhindert werden. Das andere Mal war 1984. Da wollten die Sowjets vermeiden, dass Ronald Reagan als Präsident wiedergewählt wird, er stand für eine harte außenpolitische Linie.

Und umgekehrt?

Die Amerikaner mischten sich 1996 intensiv bei den Wahlen in Russland ein. Sie waren besorgt, dass Gennadi Sjuganow, der Kandidat der Kommunistischen Partei, Präsident werden könnte. Sie unterstützten die Wiederwahl von Boris Jelzin. Das Problem war nur, dass Jelzin keine gute Figur abgab: In einigen Umfragen lag er bei gerade mal acht Prozent.

Wie haben die USA das geändert?

Sie schickten Wahlkampfberater und konzipierten für Jelzin eine neue Kampagne. Außerdem überredeten die USA den Internationalen Währungsfonds (IWF), Russland - und damit dem amtierenden Präsidenten Jelzin - eine Anleihe von zehn Milliarden Dollar zu gewähren, obwohl das Land die ökonomischen Kriterien nicht erfüllte. Wir reden hier vom zweithöchsten Betrag, den der IWF bis dahin je vergeben hatte. Etwa zwei Milliarden erreichten Russland noch vor der Wahl.

Das geschah doch ganz offen, oder?

Ja, die Unterstützung war sehr offensichtlich. Jelzin erschien sogar im russischen Fernsehen und bedankte sich bei seinem guten Freund Bill Clinton. Außerdem drohte der Chef des IWF: Falls die Kommunisten gewinnen und die Reformen Jelzins rückgängig machen, würde der Geldfluss versiegen. Das gab Jelzin großen Aufwind.

Wie sind Amerikaner und Russen sonst vorgegangen?

Die offensichtlichste Möglichkeit ist, eine Seite mit Geld zu unterstützen, um den Wahlkampf zu finanzieren. Hierfür wurden teilweise wortwörtlich Geldsäcke über die Grenze geschafft. Außerdem haben beide Regierungen mit Hilfsgeldern gelockt - oder mit deren Entzug gedroht. Manchmal wurden sogar Wahlkampfberater losgeschickt. Die Sowjets haben oft Dossiers mit kompromittierenden Informationen über einen bestimmten Kandidaten erstellt und enthüllt. Zum Beispiel 1972 in der Bundesrepublik: Da hat der russische Geheimdienst KGB ein Papier mit Falschinformationen veröffentlicht, das Verbindungen von Spitzenpolitikern der CDU mit Rechtsextremen beweisen sollte. Während des Wahlkampfs 1980 wurden Flyer verschickt, welche die CDU fälschlicherweise in Verbindung mit Alt-Nazis im Bundesnachrichtendienst brachten.

EU kontra Falschinformationen

Im Prinzip ist das Problem erkannt. Seit September 2015 kümmert sich eine kleine Arbeitsgruppe im Auswärtigen Dienst der EU in Brüssel um ein Phänomen, mit dem auf die eine oder andere Weise fast alle Mitgliedsstaaten zu tun haben. Die Experten der "East Stratcom Task Force" sammeln Falschmeldungen russischer Herkunft und stellen sie in einer wöchentlichen "Disinformation Review" richtig. Frankreich spielte da zuletzt eine wichtige Rolle. Die EU-Arbeitsgruppe warnt schon seit Monaten vor möglicher russischer Einflussnahme auf die Wahlen in Frankreich, aber auch in den Niederlanden und Deutschland.

Ziel der Task Force ist es auch, Abwehrkräfte in der EU zu bündeln. Allerdings hat sie dabei diplomatische Zurückhaltung walten zu lassen. Ratschläge erteilt sie nur auf Wunsch. So hat die niederländische Regierung die Brüsseler Experten kürzlich nach Den Haag eingeladen, um mehr über die Moskauer Methoden zu erfahren. In Frankreich ist das Interesse deutlich geringer ausgeprägt.

"Nicht gut genug", nennt Ben Nimmo, der sich für die Denkfabrik Atlantic Council auf russische Desinformation spezialisiert, die bisherigen EU-Bemühungen. Gerade einmal elf Fachleute arbeiten in der Task Force, über eigene Haushaltsmittel verfügt sie trotz entsprechender Forderungen aus dem Europäischen Parlament nicht. Obwohl sich mittlerweile mehr Staaten der Gefahr durch russische Propaganda bewusst geworden seien, sagt Nimmosei die EU immer noch "spät dran". Daniel Brössler

Also wurden Wahlen in Deutschland bereits Ziel von externer Einmischung?

Ja, in meiner Arbeit habe ich eine einzige Intervention seitens der USA dokumentiert. Washington unterstützte die Wahl Konrad Adenauers 1953. Die Sowjets versuchten fünf Mal die Bundestagswahl zu beeinflussen: 1957, 1969, 1972, 1980 und 1983.

Sehen Sie die Aktivitäten von Russia Today oder Sputniknews als einen Versuch, die Bundestagswahl im September zu beeinflussen?

Es ist nicht ganz klar, wie diese Nachrichtenportale Einfluss nehmen können. Dafür gibt es keine eindeutigen Beweise. Die Geschichte lehrt uns aber, dass von Seiten Russlands und auch der USA alles möglich ist. Aber ich kommuniziere leider nicht mit Wladimir Putin oder Donald Trump, um konkrete Hinweise geben zu können.

Wie erforscht man Einflussnahme auf Wahlen, wenn sie sich doch in den meisten Fällen im Geheimen abspielen?

Nach amerikanischem Recht muss die US-Regierung in regelmäßigen Abständen Informationen über bestimmte verdeckte Operationen offenlegen. Zudem wird man in Memoiren fündig, die von ehemaligen CIA-Agenten (nach einer Freigabe durch die Behörde; Anm. d. Red.) veröffentlicht werden. Eine große Hilfe zur Einordnung von Fakten war auch das US-Nationalarchiv in Maryland.

Und wie kamen Sie zu den Informationen über russische Einflussnahmen?

Im Falle der UdSSR habe ich mich neben zahlreichen Publikationen vor allem auf zwei Bücher des offiziellen Historikers des MI5, Christopher Andrew, bezogen. Diese sind aus dem Mitrokhin-Archiv, einer Sammlung handgeschriebener Notizen, hervorgegangen. Angefertigt hatte sie Vasili Mitrokhin, ein sowjetischer Agent, der 30 Jahre für den KGB arbeitete, zwölf Jahre davon im sowjetischen Geheimdienstarchiv. Alles, was Mitrokhin während seiner Arbeit erfuhr, dokumentierte er auch. Und als er 1992 die Seiten wechselte und nach Großbritannien floh, wurden seine Aufzeichnungen in einem Archiv gesammelt und 2014 dann in Teilen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

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Quelle:
SZ vom 23.02.2017/elga
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