Michael Ruppel ist nervös. Er befürchtet, dass seine Stimme bei dieser Präsidentschaftswahl nicht zählt. Am 26. Oktober habe er die Unterlagen abgegeben, hier, im Wahllokal im Stadtzentrum von Reno: „Ich habe immer wieder angerufen und gefragt, jedoch keine Bestätigung bekommen“, sagt er der Süddeutschen Zeitung. Am Dienstagmorgen dann die Botschaft von Francisco Aguilar, Innenminister des Bundesstaates Nevada: Es gebe Probleme mit Unterschriften auf insgesamt 13 100 Wahlzetteln. Der von Ruppel ist einer davon. Deshalb ist der 55-Jährige hier. Neben ihm zwei Studentinnen sowie ein junges Paar mit dem gleichen Problem.
Wenige Meter entfernt sitzt Jeanne Herman. Sie ist eines von fünf Mitgliedern jener Kommission, die das Ergebnis in Washoe County zertifizieren müssen. „Ich bin hier, um sicherzustellen, dass alles mit rechten Dingen zugeht“, sagt Herman. Offenbar hat sie bereits genug gesehen. Um 15.39 Uhr, mehr als drei Stunden vor der Schließung der Wahllokale in Nevada, sagt sie dem SZ-Reporter: „Ich werde ganz sicher dagegenstimmen, das Ergebnis zu zertifizieren.“
Nicht nur in Washoe County mit seinen knapp 500 000 Einwohnern äußern Menschen Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Wahl. Ein paar Stunden davor hatte Donald Trump auf seiner Plattform Truth Social über „massiven Betrug in Philadelphia“ geschrieben. Elon Musk, Trumps prominentester Unterstützer, veröffentlichte derweil auf seinem Netzwerk X Einträge über Probleme bei der Wahlmaschinen-Software und möglichen Betrug. Die Frage, die vor allem in den entscheidenden Swing States gestellt wurde: Geht alles mit rechten Dingen zu?
Im Juli wurden in Nevada bereits die Ergebnisse der Vorwahlen angezweifelt
In Nevada hat bei einer Präsidentschaftswahl seit 2000 lediglich Barack Obama mit mehr als drei Prozent Vorsprung gewonnen. Über den Sieger entschieden oft die 16 Prozent der Bevölkerung im Nordwesten, in Washoe County. Das galt einst als tiefrot, durch den Zuzug zahlreicher Techkonzerne (allein durch die Gigafactory von Tesla entstanden 12 000 gut bezahlte Arbeitsplätze) kamen sehr viele junge Leute mit Uni-Abschluss. Und diese wählen nun mal tendenziell eher Demokraten. Die Wahlprognose in dem Bezirk wurde schwierig, und das hatte Folgen.
Im Juli verweigerte die 3:2-Mehrheit der republikanischen Wahlkommission zweimal die Zertifizierung der Ergebnisse der Vorwahlen im Juni – die der ursprünglichen Auszählung sowie die der Nachzählung. „Ich bin keine Wahlleugnerin“, sagt Jeanne Herman, ohne dass ihr das jemand vorgeworfen hätte. „Wir haben nun mal Fehler entdeckt.“ Am Ende musste das Ergebnis doch zertifiziert werden, das ist gesetzlich vorgeschrieben in Nevada. „Wir wurden bedroht“, sagt Herman. „Am Ende war ich die Einzige, die bis zum Schluss gegen die Zertifizierung gestimmt hat.“
„Es ging nicht um dieses Ergebnis, sondern lediglich darum, das Ergebnis im November infrage stellen zu können mit der Begründung, dass es bereits im Juli Bedenken gegeben habe“, hatte Hannah Fried zuvor erklärt. Sie ist Leiterin der Organisation „All Votes are Legal“, die sich in Swing States wie Nevada für Rechte von Wählern einsetzt. Es sei darum gegangen, einen Nährboden zu bereiten: „Es wurde ein Präzedenzfall geschaffen, damit keiner überrascht ist, sollte im November bei einem knappen Ergebnis jemand Zweifel anmelden. Es war Chaos um des Chaos willen.“
Junge Menschen haben offenbar keine aussagekräftige Unterschrift mehr
In den Wahllokalen von Reno geht es am Dienstag erst einmal ziemlich ruhig zu, was freilich auch daran liegt, dass „Electioneering“ in Nevada verboten ist: Im Umkreis von 30 Metern um ein Wahllokal darf keine Kleidung getragen werden, die eindeutig als für oder gegen Kandidaten zu identifizieren ist. Wer wählen will, muss in neutraler Kleidung durch die Tür kommen.
Freiwillige beider Lager stehen also außerhalb des No-Electioneering-Bereichs friedlich und freundlich nebeneinander, sie bieten den Wählern neben Wasser und Snacks auch an, auf deren Trump-Mützen und Harris-Shirts aufzupassen. Die „Panic Buttons“, die sie extra für den Fall von Ausschreitungen installiert haben, bleiben unberührt. Die 50 Mitglieder der Nationalgarde, die der republikanische Gouverneur Joe Lombardo einbestellt hat, müssen nicht eingreifen.
Wer indes zu sehen ist: Mitglieder der Organisation „Operation Sunlight“, die seit Jahren die Rechtmäßigkeit von Wahlen in Nevada anzweifeln und sichtlich gut mit der Wahlbeobachterin Herman befreundet sind. Sie suchen hier nach Hinweisen auf Fehler und Betrug. Die Aussage des Innenministers Aguilar, eines Demokraten wohlgemerkt, lieferte freilich eine Steilvorlage – obgleich dieser gesagt hatte: „Es liegt in den meisten Fällen daran, dass junge Leute heutzutage keine Unterschrift mehr haben.“
Bei den Wählern in Reno lassen sich die Probleme mit dem Stimmzettel schnell klären
Bei der Wählerregistrierung, so Aguilar, würden sie lediglich ihren Namen auf einen Bildschirm kritzeln müssen. Das würde dann zur Unterschrift auf ihrem Führerschein gemacht, der in den USA als Ausweisdokument gilt. Diese Kritzelei könne sich später von der Unterschrift auf den Wahlunterlagen so sehr unterscheiden, dass es beim Vergleich Probleme gebe. Die Betroffenen seien informiert und hätten bis 12. November Zeit, das Problem zu beheben, sagte Aguilar. Er betonte aber, dass er doch möglichst viele Wahlzettel am Dienstag berichtigt haben wolle: „Die hohe Zahl macht einen nervös. Wir wollen nicht aufs Ergebnis schauen und wissen, dass es viele nicht gewertete Wahlzettel gibt. Wir müssen ganz sicher sein, dass jede Stimme zählt, weil es gar so knapp zugeht.“
Die beiden Studentinnen, die zum ersten Mal wählen und ihre Namen nicht sagen wollen, brauchen keine zehn Minuten, dann ist alles geklärt. Bei dem Pärchen, ebenfalls beide Erstwähler, dauert es etwas länger. „Meine Unterschrift sieht aber wirklich aus wie die eines Grundschülers“, sagt die junge Frau und zeigt ihren Führerschein: „Ich kann nun mal nicht kursiv.“
Die Operation-Sunlight-Mitglieder sowie Jeanne Herman konzentrieren sich deshalb auf den 55-jährigen Ruppel, der mehr als eine Stunde lang auf dem Gang wartet: „Man hat mir gesagt, dass meine Unterlagen mit denen eines anderen verwechselt wurden.“ Das ist für eine Aktivistin, die sich als Susi vorstellt, der Beweis, dass ihre Zweifel berechtigt sind. Dann wird Ruppel hineingerufen ins Wählerregistrierungsbüro, und keine drei Minuten später kommt er heraus mit der Bestätigung, dass alles in Ordnung sei. „Ich habe volles Vertrauen, dass meine Stimme gezählt wurde“, sagt er zur SZ und hält den Wahlzettel mit seiner Unterschrift darauf hoch. Jeanne Herman und Susi runzeln zweifelnd die Stirn.
Etwa 70 Leute kommen am Dienstagnachmittag im Wahllokal in Reno vorbei, um Probleme mit ihren Unterlagen zu beheben. Bei allen klappt das reibungslos. Herman sagt dennoch, dass sie das Ergebnis keinesfalls zu zertifizieren gedenke, und zwar unabhängig vom Ausgang.
Am Abend wird klar, dass Trump in Washoe County vorn liegt und Nevada wohl gewinnen wird. Am 15. November muss das Ergebnis offiziell bestätigt werden. Dann wird sich zeigen, ob Hermans Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl Bestand haben.