Wahlkampf in der Türkei:Steinwürfe gegen die Opposition
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Das Regierungslager um Präsident Erdoğan verschärft die Rhetorik - und seine Anhänger attackieren prompt eine Kundgebung der Opposition. Die Türkei geht nervös in die letzte Woche vor den Wahlen.
Von Raphael Geiger, Istanbul
Im türkischen Wahlkampf liegt wenige Tage vor den Wahlen die Betonung zunehmend auf Kampf. Mal rhetorisch, mal mit Steinen. Da ist, beispielsweise, die Aussage von Erdoğans Innenminister Süleyman Soylu, einem Hardliner, der bereits von einem "Putsch des Westens" spricht - für den Fall, dass die Opposition die Wahl gewinnen sollte. Soylu selbst bewirbt sich um ein Abgeordnetenmandat, seinen eigenen Sieg würde er als demokratisch einwandfrei ansehen.
Soylus Zitat konnte man als ein Signal verstehen. Ein Hinweis an seine und damit Erdoğans Anhänger, dass Widerstand gegen die Opposition in Ordnung ist. Geradeso, wie man sich 2016, in der Putschnacht, den Panzern der Armee entgegenstellte. Das ist die Richtung, die Soylu rhetorisch einschlägt: Die Opposition ist kein demokratischer Gegner mehr, sondern ein Club von Putschisten.
Erdoğan stellt seine Konkurrenz auf eine Stufe mit Terroristen
Verschwörungserzählungen, wonach die Opposition aus dem Ausland gesteuert sei, streut Recep Tayyip Erdoğan bei seinen Auftritten sogar persönlich: Gesteuert wahlweise von der kurdischen PKK, von "den Imperialisten" im Westen oder von Fethullah Gülen, dem Mann, der angeblich hinter dem Putschversuch damals stand. Als Erdoğan am Sonntag in Istanbul auftrat, zeigte er ein Deepfake-Video: einen angeblichen Wahlwerbespot für die Opposition.
Darin ruft ein PKK-Führer zur Wahl von Kemal Kılıçdaroğlu auf, Erdoğans Gegner bei der Präsidentschaftswahl. Der gefälschte Clip zeigt den PKK-Mann beim Mitsingen von Kılıçdaroğlus Wahlkampfhymne. Genau vor solchen Deepfakes hatte Kılıçdaroğlu, Chef der sozialdemokratischen Partei CHP, gerade erst gewarnt. Erdoğan aber sagte auf der Bühne, die Türkei werde sich von "solchen Terroristen" nicht regieren lassen. Bei den Wahlen gehe es "um die Existenz".
Erdoğans Koalitionspartner, der ultrarechte Devlet Bahçeli, wagte sich am Wochenende noch weiter vor. Er sprach von "Kugeln", die sich nach den Wahlen "in den Körpern" der führenden Oppositionellen finden würden. Bahçelis Partei spielt heute politisch keine große Rolle mehr, dennoch kann Bahçeli als Kopf der gewaltbereiten "Grauen Wölfe" immer noch einigen Schaden anrichten.
Was solche Rhetorik mit Fanatikern auf der Straße macht, zeigte sich am Sonntagabend. Der Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu, ein Oppositioneller, war in die Stadt Erzurum gereist. İmamoğlu macht im ganzen Land Wahlkampf für und mit Kemal Kılıçdaroğlu. Erzurum liegt im Nordosten, einer konservativ-nationalistischen Region, mitten im Erdoğan-Land.
"Ihr Polizisten, die ihr hier zuseht, wir sehen euch!"
Zunächst hatten Busse der Stadtverwaltung schon das Gelände blockiert, auf dem İmamoğlu sprechen wollte. Als er dann zu seiner Rede aufs Dach seines Wahlkampfbus stieg, flogen Steine. Ein Mob von etwa 200 Personen, darunter Mitglieder der erwähnten Grauen Wölfe, zielten direkt auf den Bus. Sie trafen nicht İmamoğlu selbst, aber Personen, die neben ihm standen.
Die Polizei schritt offenbar nicht gleich ein. İmamoğlu sprach die Beamten direkt an: "Ihr Polizisten, die ihr hier zuseht, wir sehen euch!" Dem Polizeichef der Stadt kündigte er eine Strafanzeige an. Auf Drängen seiner Personenschützer brach er seine Rede schließlich ab und verließ das Dach des Busses. Auch dann aber soll es noch gedauert haben, bis die Polizisten ihre Wasserwerfer einsetzten - und İmamoğlus Bus den Weg frei machten.
Der flog daraufhin nach Istanbul zurück, wo ihn am Flughafen die Anhänger der Opposition empfingen. Direkt vor dem Terminal sprach İmamoğlu zu ihnen. "Wir leben in einer wichtigen Zeit", sagte er. Eine Handvoll Menschen, die aktuelle Regierung also, habe die Türkei "in diesen Zustand" gebracht. Man müsse sie "loswerden".
Süleyman Soylu, der Innenminister, sagte nach dem Angriff auf İmamoğlu, die Polizeikräfte in Erzurum hätten einen "erfolgreichen Einsatz" absolviert, nur eine Person sei verletzt worden. Der Mann, der in der Türkei für die Sicherheit zuständig ist, wirkte damit ganz zufrieden.