Türkei:Alle gegen Erdoğan

Türkei: Wahrscheinlichster Kontrahent: CHP-Chef Kemal Kilicdaroğlu kritisierte Staatschef Erdoğan nach dem Erdbeben massiv.

Wahrscheinlichster Kontrahent: CHP-Chef Kemal Kilicdaroğlu kritisierte Staatschef Erdoğan nach dem Erdbeben massiv.

(Foto: Alp Eren Kaya/IMAGO)

Vor den Wahlen am 14. Mai gibt sich die türkische Opposition siegessicher wie lange nicht mehr.

Von Raphael Geiger, Istanbul

Mit den türkischen Wahlen am 14. Mai ist es wie mit einem Kampf gegen einen angeschlagenen Endgegner. Noch nie, seit Recep Tayyip Erdoğan regiert, war die Opposition so siegessicher. Und gleichzeitig merkt man ihr die Nervosität an: Erdoğan, der ewige Präsident, der alte Taktiker, könnte es doch noch drehen. Könnte das Land überraschen, wie er es oft getan hat.

Diesmal sollte Erdoğan zu schlagen sein. Eigentlich. Alles deutet darauf hin. Die Hyperinflation, das schlechte Krisenmanagement nach den Erdbeben. Die Korruption hinter den Baugenehmigungen, die jeder sehen kann, wer sie sehen will. Der Präsident wirkt geschwächt, politisch wie persönlich. Man sieht es ihm bei Auftritten an: Das ist nicht mehr der Masseneinpeitscher, der er vor wenigen Jahren noch war. Seine beste Zeit liegt hinter ihm, er sollte zu besiegen sein. Nur von wem?

Am Donnerstag hat sich in Ankara das Oppositionsbündnis getroffen, um nach Monaten der Ungewissheit einen Namen zu nennen - zumindest war das der Plan. Später hieß es, man bestimme heute den Namen, verrate ihn aber erst, wenn der Wahltermin offiziell bestätigt ist. Das muss die Wahlkommission bis zum 10. März tun. Eine Formalie, nachdem Erdoğan den Termin festgelegt hat.

Der Gegner eint das Bündnis

Das Bündnis besteht aus sechs Parteien unter Führung der säkularen CHP. Zweitgrößte Partei ist die nationalistische IYI, die sich aus Protest gegen Erdoğans Präsidialsystem von der ultrarechten MHP abgespalten hat - die ist mit Erdoğan verbündet. Dazu kommen kleinere konservative Parteien wie die des ehemaligen Premierministers Ahmet Davutoğlu. Auch er hat sich mit Erdoğan überworfen. Das ist es, was das Bündnis eint: der Gegner.

Bleibt die Frage, wer gegen den Präsidenten antreten soll. CHP-Chef Kemal Kilicdaroğlu ist noch immer der wahrscheinlichste Kandidat. Nach den Erdbeben hat er eine starke Figur abgegeben, hat Erdoğan massiv kritisiert. Allerdings hat Kilicdaroğlu ein paar Schwächen, er ist 74 Jahre alt und hat in seinen 13 Jahren als Oppositionsführer keine einzige Wahl gewonnen. Er ist keiner, der die Massen mobilisiert. Kein starker "lider", wie die Türkinnen und Türken, sagen, also kein Anführer. Neben Erdoğan hat er meistens blass gewirkt.

Meral Akşener, Chefin der IYI-Partei, hegt eine Antipathie gegen Kilicdaroğlu. Er ist der rechten Basis ihrer IYI-Partei zu links. Außerdem glaubt Akşener, dass andere Kandidaten bessere Chancen hätten: Mansur Yavaş etwa, der Oberbürgermeister von Ankara, oder sein Istanbuler Amtskollege Ekrem Imamoğlu. Beide sind CHP-Männer wie Kilicdaroğlu, beide beliebter als der Parteichef. Imamoğlu, zu Politikverbot verurteilt, unterliegt dem Risiko, gar nicht antreten zu dürfen. Es läuft das Berufungsverfahren. Yavaş wiederum gehört zum nationalistischen Flügel der CHP und wäre damit für kurdische Wähler schwierig.

Letztlich spiegeln sich in der Opposition die Konflikte der türkischen Gesellschaft, die sich während der Erdoğan-Jahre noch verschärft haben. Die kurdisch-dominierte HDP gab bekannt, dass sie Kilicdaroğlu oder Imamoğlu unterstützen würde - im Fall von Mansur Yavaş aber einen eigenen Kandidaten nominieren. Allerdings sind dem Kandidaten des Sechserbündnisses in der Stichwahl die Stimmen aller sicher, die Erdoğan loswerden wollen. Spätestens seit den Beben ist das die Mehrheit.

Ekrem Imamoğlu, das Oberhaupt von Istanbul, sagte es so: "Egal, wie der Kandidat heißt, wir werden ihn zum Präsidenten machen."

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