Süddeutsche Zeitung

Weißrussland: Heftige Proteste nach Wahl:Lukaschenko siegt offenbar - Wut auf den Straßen

Laut Prognosen gewinnt Weißrusslands autoritärer Präsident Lukaschenko die Wahl. Ein Gegenkandidat wird verprügelt, Tausende versuchen, ein Gebäude der Regierung zu stürmen.

Frank Nienhuysen, Minsk

Tausende Anhänger der weißrussischen Opposition haben nach der Präsidentschaftswahl am Sonntag versucht, ein Regierungsgebäude in der Hauptstadt Minsk zu stürmen. Sie zertrümmerten Fenster und Glastüren, wichen dann aber zurück, weil sie Bereitschaftspolizei in dem Gebäude, in dem die zentrale Wahlkommission untergebracht ist, entdeckten. Zehntausende Demonstranten versammelten sich am Abend im Stadtzentrum, um gegen die Wahl zu protestieren. Sie werfen der Regierung Wahlbetrug vor. Es handelt sich um die größte Kundgebung der Opposition seit 1996.

Zuvor hatte sich der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko in der umstrittenen Wahl seine vierte Amtszeit gesichert. Der Amtsinhaber erhielt Prognosen zufolge 79,1 Prozent der Stimmen, wie ein regierungsnahes Institut unter Berufung auf Wählerbefragungen nach Schließung der Wahllokale mitteilte. Die Opposition warf Lukaschenko massive Wahlfälschung vor. Der Präsidentschaftskandidat Wladimir Nekljajew forderte Neuwahlen ohne Lukaschenko. Nekljajew wurde auf dem Weg zu der Demonstration von Sicherheitskräften so schwer verprügelt, dass er ins Krankenhaus gebracht werden musste. Der Kandidat habe Hunderte Unterstützer zu der Kundgebung auf dem zentralen Oktoberplatz geführt, als er überfallen worden sei, hieß es.

Der autoritäre Staatschef regiert Weißrussland bereits seit 16 Jahren. Seine Amtszeit verlängert sich nun um weitere fünf Jahre. Lukaschenko hatte bei der Stimmabgabe die Opposition verspottet und mit Blick auf die angekündigten Proteste gesagt: "keine Sorge, es wird sich niemand auf dem Platz treffen." Rund um den Oktoberplatz waren am Nachmittag gepanzerte Busse aufgefahren. Die Behörden hatten eine Versammlung verboten und die Opposition gewarnt.

Zuvor hatte Nekljajew Lukaschenko vorgeworfen, in Weißrussland eine Diktatur errichtet zu haben. Einer seiner Mitarbeiter sei kurz vor der Wahl festgenommen worden. Er sagte, er habe die Hoffnung gehabt, dass sich unter dem Druck der Europäischen Union die Lage in Weißrussland verbessern würde. "Aber wir sind enttäuscht worden."

Kleine Zugeständnisse an die EU

Die Grünen-Abgeordnete Marieluise Beck, Sprecherin für Osteuropapolitik, sagte am Sonntag, die "schweren demokratischen Defizite" seien "nicht zu übersehen". Die EU solle "Lukaschenkos Spiel mit kosmetischen Liberalisierungen für den Schein demokratischer Wahlen nicht mitspielen". Der Dialog mit dem Regime müsse trotzdem weitergehen.

Der 56 Jahre alte Lukaschenko hat in einem Referendum durchgesetzt, dass er als Staatsoberhaupt unbegrenzt oft kandidieren darf. Allerdings hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) noch nie eine weißrussische Präsidentenwahl als demokratisch und transparent eingestuft. In diesem Jahr gab es erstmals leichte Verbesserungen im Wahlkampf.

So durften alle Kandidaten im Fernsehen und im Radio jeweils zweimal eine halbe Stunde für sich werben, wenngleich in der übrigen Sendezeit Lukaschenko dominierte. Für Lukaschenko waren dies kleine Zugeständnisse an die EU, die zu fairen Wahlen aufgerufen und Unterstützung in Milliardenhöhe in Aussicht gestellt hatte. Lukaschenko hatte sich zuletzt mit Russland überworfen und strebt nun ein besseres Verhältnis zum Westen an.

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Quelle:
SZ vom 20.12.2010/jab
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