Wahlen in Russland:Putin auf allen Kanälen

Der russische Premier und Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin erscheint nicht selbst zu Fernsehduellen - sondern schickt eine kremltreue Politologin. Als Zeichen der Zurückhaltung sollte man das jedoch nicht verstehen. Die russischen Medien feiern schon seit Wochen große Putin-Festspiele. Für fast alle wichtigen Tageszeitungen darf er ungehindert seitenlange Essays schreiben.

Hannah Beitzer

Zwei Präsidentschaftskandidaten, die von Angesicht zu Angesicht hitzig darüber diskutieren, wer das Land weiter nach vorne bringen würde, und ein Volk, das den Schlagabtausch live im Wohnzimmer verfolgt - Fernsehdebatten gehören in vielen Ländern längst zu jedem Wahlkampf dazu.

Putin, Wahlen in Russland

Grünes Licht für Putin - so sieht es aus in russischen Medien.

(Foto: AFP)

Auch bei den Präsidentschaftswahlen in Russland gibt es sie, doch sie verliefen dort in den vergangenen Wochen völlig anders als gewohnt: Ausgerechnet der aussichtsreichste Anwärter will sich der Debatte nicht stellen. Wladimir Putin, Noch-Premier und Kandidat der Partei "Einiges Russland", nimmt nicht selbst an Fernsehdebatten teil. Er müsste für derartige Auftritte eigens Urlaub nehmen, weil er seine Tätigkeit als Premierminister laut Gesetz nicht mit dem Wahlkampf verbinden darf. Für Urlaub, ließ er jedoch lapidar mitteilen, fehle ihm die Zeit.

Stattdessen schickte er zum ersten Duell eine ihm wohlgesonnene Vertreterin: die Politologin Natalja Narotschnizkaja, Chefin der Pariser Dependance einer Kreml-Stiftung namens "Institut für Demokratie und Zusammenarbeit", die die Lage von Demokratie, Bürgerrechten und den Schutz von Minderheiten in Europa überwachen soll.

Wer in der vergangenen Woche ihre Fernsehdebatte mit dem als Politclown verschrieenen Wladimir Schirinowskij eingeschaltet hat, hatte einigen Grund zu stauen: Der Kandidat schimpfte sichtlich erregt darüber, dass es ja wohl nirgends auf der Welt einen Präsidentschaftskandidaten gebe, der sich von "einer Treuhänderin" bei Fernsehdebatten vertreten lasse. Ihm gegenüber saß die Politologin, die immer wieder beschäftigt in ihren Unterlagen kramte und eher wirkte wie eine unbeteiligte Journalistin als wie eine Politikerin. "Das ist keine Debatte, das ist eine Komödie", erregte sich Schirinowskij noch Tage später in den Medien.

Wladimir Putin hingegen, diesen Eindruck kann man leicht gewinnen, scheint keine Notwendigkeit darin zu sehen, sich in die Niederungen eines gewöhnlichen Wahlkampfes hinab zu begeben. Wozu auch? Das staatlich kontrollierte Fernsehen berichtet ohnehin schon seit über einem Jahrzehnt fast ausschließlich über ihn: erst als Präsident, dann als Premier im gut geölten Tandem mit Dmitrij Medwedjew - und schon bald, da scheint er sich sicher zu sein, wieder als Präsident.

Auch jetzt, wenige Wochen vor der Wahl am 4. März, kann er aus dem Vollen schöpfen. Fast wöchentlich erscheinen programmatische Artikel von ihm in den großen Zeitungen des Landes: In der Boulevardzeitung Komsomolskaja Prawda verspricht er mehr soziale Gerechtigkeit, in der eher kreml-kritischen Tageszeitung Kommersant philosophiert er vage über nötige demokratische Reformen und in der Wirtschaftszeitung Wedomosti kritisiert er ausgerechnet jenen wirtschaftspolitischen Reformstau, den er in den letzten Jahren als Präsident und Premier entscheidend mit verursacht hat. Diese Art des Wahlkampfs ist für ihn wesentlich angenehmer als Live-Debatten. Im Fernsehen könnte er schließlich mit unangenehmen Fragen konfrontiert werden.

Die russische Protestbewegung, genauer gesagt die aus ihr hervorgegangene "Liga der Wähler", hat nun offiziell bei der russischen Wahlkommission und bei Medienvertretern Beschwerde eingereicht: "Die Fernsehsender dienen als offizielle PR-Instrumente von Wladimir Putin", schreiben die Oppositionellen. Dort finde unverhohlene Propaganda zugunsten des Premiers statt. Dessen Fernbleiben von den Fernsehdebatten kränke nicht nur die anderen Kandidaten, es sei eine "Beleidigung aller Wähler".

Auch die anderen Kandidaten - Gennadij Sjuganow von den Kommunisten, Wladimir Schirinowskij und Sergej Mironow von der Partei "Gerechtes Russland" - kritisieren: "Der Kandidat von 'Einiges Russland', Wladimir Putin, befindet sich im Vergleich zu den anderen Kandidaten in einer absolut privilegierten Stellung." Allein in den Fernsehnachrichten entfielen auf ihn 67 Prozent der Sendezeit aller Kandidaten und er dominiere auch die restlichen Medien, etwa mit seinen "quasi propagandistischen Artikeln".

In Putins Beraterstab will man hingegen an der Dominanz des Premiers nichts Absonderliches finden: "Putin hat früher schon die Fernsehprogramme dominiert. Das allein ist doch kein Verstoß", sagt zum Beispiel Walerij Fadejew, Journalist und Parteimitglied von "Einiges Russland". "Präsident Obama befindet sich zum Beispiel auch die ganze Zeit im Zentrum der Aufmerksamkeit - ohne dass eine Kampagne dahinter steht."

Dieser Vergleich mag auf den ersten Blick durchaus schlüssig erscheinen, genießt doch der Inhaber eines wichtigen politischen Amtes immer einen gewissen Heimvorteil in der Berichterstattung. Doch einer intensiveren Betrachtung hält er kaum stand.

Man stelle sich nur einmal vor: Es wäre das Jahr 2013, einen Monat vor der Bundestagswahl. Die Fernsehsender berichteten fast 70 Prozent der Sendezeit nur über Angela Merkel - SPD, Grüne, FDP, Linke und Piraten müssten sich die restlichen 30 Prozent teilen. Zudem veröffentlichte Merkel in der einen Woche einen Artikel über soziale Gerechtigkeit in der Bild-Zeitung, schriebe in der nächsten Woche in der SZ über Transparenz und Bürgerbeteiligung und philosophierte kurz darauf im Handelsblatt über wirtschaftliche Reformen. Man müsste sich um die Demokratie wohl ernsthafte Sorgen machen.

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