Wahlen in Großbritannien:Die Autorität von May ist schwer beschädigt

Wahlen in Großbritannien: Kater Palmerston, offizieller Mäusefänger des britischen Außenministeriums, spaziert am Tag nach der Wahl vor dem benachbarten Wohnsitz von Premierministerin May.

Kater Palmerston, offizieller Mäusefänger des britischen Außenministeriums, spaziert am Tag nach der Wahl vor dem benachbarten Wohnsitz von Premierministerin May.

(Foto: JUSTIN TALLIS/AFP)

Der Stimmeneinbruch der britischen Konservativen entspringt einer gewaltigen Fehlkalkulation der Premierministerin. Die will ihren Kurs fortsetzen, doch sie gehört zu den Verlierern dieser Wahl.

Von Björn Finke, London

"Strong and stable": Diese Worte sprach Theresa May in den ersten Wochen ihres Wahlkampfs zu jeder Gelegenheit in jedes Mikrofon. Großbritannien brauche bei den schwierigen Brexit-Verhandlungen eine starke und stabile Führung, sagte die Premierministerin. Und meinte: Großbritannien braucht Theresa May. Doch die Konservative hat sich verspekuliert. Die Parlamentswahlen, die sie im April völlig überraschend angesetzt hatte, bescherten Großbritannien jetzt keine starke und stabile Führung, sondern aller Voraussicht nach eine Minderheitsregierung oder eine Koalition mit unbequem knapper Mehrheit. Die Autorität der 60-Jährigen gilt nach den Verlusten für die Partei der Tories als beschädigt, Gegner bezeichneten sie am Freitag bereits als "lame duck", als lahme Ente.

Mays Fehlkalkulation und die Unsicherheit nach ihrer Wahlniederlage haben Folgen für ganz Europa: Eigentlich soll in anderthalb Wochen die erste Gesprächsrunde zwischen London und Brüssel über die Bedingungen des EU-Austritts stattfinden. May sagte zwar am Freitag, sie halte an dem Zeitplan fest, aber EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gibt sich skeptisch. "Der Staub in Großbritannien muss sich jetzt legen", sagte er.

May hatte die Neuwahlen im April mit der Begründung ausgerufen, ihre absolute Mehrheit im Unterhaus sei zu klein; vor den wichtigen Austrittsverhandlungen mit Brüssel sollten die Wahlen sie mit einem größeren Puffer im Parlament ausstatten. Umfragen sahen Mays Tories damals 24 Prozentpunkte vor der Oppositionspartei Labour. Dieser Vorsprung schmolz dahin, weil May einen überraschend schlechten und Labour-Chef Jeremy Corbyn einen überraschend guten Wahlkampf führte.

Das Ergebnis: Bei den Wahlen, die in der Nacht zum Freitag ausgezählt wurden, gewannen die Konservativen keine Sitze hinzu, sondern verloren ihre absolute Mehrheit. Im neuen Parlament werden nur 318 Konservative sitzen. Für die Mehrheit wären 326 Mandate nötig.

Labour schickt 262 Abgeordnete nach Westminster. Eine konservative Parlamentarierin, Anna Soubry, sagte im Fernsehen, May müsse die persönliche Verantwortung für eine "fürchterliche Kampagne" übernehmen und "ihre Position überdenken" - sprich: zurücktreten. May sagte, sie habe sich ein anderes Resultat gewünscht, und es tue ihr Leid um die konservativen Abgeordneten, die ihren Sitz verloren haben. Dennoch scheint die Premierministerin entschlossen zu sein, vorerst weiterzumachen. Sie besuchte am Freitagmittag Königin Elizabeth II. im Buckingham Palace und bat darum, mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden. Danach verkündete May vor ihrem Amtssitz in 10 Downing Street, ihre neue Regierung werde "den Willen des Volkes umsetzen, indem sie das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union herausführt".

Die Sitze, die May für die absolute Mehrheit fehlen, soll die Democratic Unionist Party (DUP) aus Nordirland beisteuern, die zehn Abgeordnete nach Westminster schickt und den Brexit-Kurs der Konservativen unterstützt. Zusammen kämen die beiden Parteien auf 328 Sitze. Vor den Wahlen verfügten die Tories alleine über 330 Sitze. Ob May eine Koalition anstrebt oder eine Minderheitsregierung führen will, die von der DUP fallweise unterstützt wird, ließ die Politikerin offen.

Sie sagte lediglich, dass "unsere beiden Parteien seit vielen Jahren gute Beziehungen pflegen". Die DUP ist die Vertretung der meist protestantischen Unionisten in Nordirland. Diese wollen, dass ihre Heimat Teil Großbritanniens bleibt, anders als die katholischen Republikaner, die eine Vereinigung Nordirlands mit der Republik Irland anstreben.

Labour-Chef Corbyn rief May zum Rücktritt auf und sagte, er stehe selbst bereit für das Amt des Premiers. Allerdings bräuchte Corbyn für die absolute Mehrheit die Unterstützung sämtlicher anderer Parteien außer den Konservativen. Die wird er nicht bekommen.

Zu den Verlierern der Wahl gehört die EU-feindliche UK Independence Party (Ukip). Ihr Stimmenanteil sank auf unter zwei Prozent, und sie wird nicht im Parlament vertreten sein. Zwar bekam die Partei immer noch doppelt so viele Stimmen wie etwa die DUP, die zehn Sitze gewann. Doch beim Mehrheitswahlrecht ziehen nur jene Kandidaten ins Unterhaus ein, die in ihrem Wahlkreis ganz vorne liegen. Und das gelang Ukip nirgendwo.

Ukip-Chef Paul Nuttall trat darum zurück. Seine Partei kämpft für den Austritt aus der EU und weniger Einwanderung - beides war unter May Regierungspolitik. Deswegen hofften die Konservativen, viele Ukip-Wähler für sich gewinnen zu können. Tatsächlich scheinen aber zahlreiche frühere Ukip-Unterstützer ihre Stimme Labour gegeben zu haben.

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