Wie ein Fremdkörper wirkt Timo Soini dort oben. Groß und kräftig zwängt sich der 48-Jährige mit verschränkten Armen in einen engen Stuhl auf dem Podium, das sonst nur mit jungen, dynamischen Parteichefs besetzt ist. Sein Anzug spannt ein bisschen. Über seine schiefe Brille wölben sich buschige Augenbrauen. Das Haupthaar ist etwas strähnig. Er erinnert an einen Eckkneipengast, der sich zur Wahlkampfveranstaltung in die gläserne Eingangshalle des Medienkonzerns Sanoma verirrt hat. Wie ein Sieger sieht er jedenfalls nicht aus.
Doch er wird vermutlich bald einer sein, sagen die Meinungsforscher. Soinis Partei, den "Wahren Finnen", werden für die Parlamentswahl am Sonntag 16 bis 18 Prozent vorhergesagt. Vor vier Jahren errangen sie nicht einmal fünf Prozent der Stimmen. Sein Erfolgsrezept ist harte Kritik an Brüssel, verpackt in simple Phrasen, wie: "Wo die EU ist, ist das Problem." Die Debatten um die Finanzhilfen für Portugal haben seinen Wahlkampf in den vergangenen Tagen noch einmal beflügelt. "Es ist empörend, dass wir deren Schulden bezahlen sollen", wettert er nach der Podiumsdiskussion vor ausländischen Journalisten.
Bald könnte er solche Sätze als Minister sagen. Alle Parteien mit Ausnahme der Grünen sind zu einer Regierungsbildung mit Soini bereit. Die Oppositionschefin Jutta Urpilainen sagt: "Wir Sozialdemokraten schließen keinen Koalitionspartner aus." Ähnlich äußert sich die amtierende Ministerpräsidentin Mari Kiviniemi von der Zentrumspartei. Sie sagt aber auch: "Wir werden nur einer Regierung angehören, die Portugal unterstützt." Da sei sie sich mit Finanzminister Jyrki Katainen, dem Chef der Konservativen, einig. Nach der Wahl stehen wohl zähe Verhandlungen an.
Soinis Aufstieg ist nicht nur Ausdruck einer wachsenden Europaskepsis. Viel wichtiger für seinen Erfolg sind die Besonderheiten der finnischen Parteienlandschaft. Die war bisher dominiert vom agrarisch-liberalen Zentrum, den Konservativen und den Sozialdemokraten. Diese holten bei Wahlen stets jeweils um die 20Prozent. Dann bildete die stärkste Partei mit der zweitstärksten und einigen kleineren eine Regierung. Die dritte der "großen drei" ging in die Opposition. Seit etwa 20 Jahren funktioniert das so. Jede Partei kann mit jeder anderen zusammenarbeiten. Die Finnen sprechen, nicht ohne Stolz, von "Konsensdemokratie".
Der Konsens geht so weit, dass zum Beispiel die Grünen derzeit einer Regierung angehören, die den Neubau von zwei Atommeilern genehmigt hat. Darum spielt das Thema Kernenergie in diesem Wahlkampf trotz Fukushima kaum eine Rolle. Die Partei der Atomkraftgegner kann es nicht wirklich für sich nutzen, weil sie mit den Befürwortern vier Jahre lang in einem Boot saß. Das ist der Preis für den Konsens.
Konservativ und nostalgisch
Auch Einheimische finden sich oft nur schwer zurecht in dieser gleichförmigen politischen Landschaft. Die Zeitung Helsingin Sanomat veröffentlichte kürzlich eine Umfrage, der zufolge 30 Prozent der Finnen glauben, die Sozialdemokraten seien an der Macht - obwohl die doch seit vier Jahren Opposition machen. "Die drei großen Parteien sind ideologisch sehr stark zusammengerückt und bilden einen euro-liberalen Block", erläutert der Politologe Ville Pernaa. Timo Soini habe nun denen eine Stimme gegeben, die mit dem vorherrschenden Konsens nicht einverstanden sind. Soini ist nicht nur gegen die EU. Er ist gegen Schwedisch als Schulpflichtfach, gegen Abtreibung, gegen Homo-Ehe, gegen Einwanderung. Wobei er letzteres nicht so betont. Soini will auf keinen Fall als rechter Ausländerfeind gelten. Doch ist seine Partei auch Sammelbecken für Leute, die gegen Islam und Überfremdung polemisieren.
Wie viel Einfluss sie bekommen, wird sich erst zeigen - in Finnland werden einzelne Kandidaten gewählt, keine Listen. Viele Leute tun sich jedenfalls schwer damit, die Wahren Finnen zu beschreiben. Sind sie nun Rechtspopulisten? Oder nur Populisten, ein Ausdruck, den Soini selbst verwendet? "Im Grunde sind die Wahren Finnen eine konservative, eine nostalgische Partei. Die wollen die Uhr zurückdrehen", meint Pernaa. Und sie sind auch eine Protestpartei. Die Wahren Finnen profitieren von einer generellen Skepsis gegenüber Politikern. Die hat zugenommen, seit eine Serie von Parteispendenskandalen das Land erschüttert hat.
Es ging um dubiose Stiftungen und viel Geld. Die Zentrumspartei war besonders betroffen, doch auch Sozialdemokraten und Konservative litten unter Affären. "Das war ein kollektiver Misserfolg", räumt Ministerpräsidentin Kiviniemi ein, deren Vorgänger Matti Vanhanen wegen der Skandale gehen musste. Auch Kiviniemi wird vermutlich nicht Regierungschefin bleiben.
In den Umfragen liegen die Konservativen vorn, und damit wäre Jyrki Katainen Anwärter für den Posten. Kiviniemi könnte ihn als Finanzministerin beerben, das Amt steht traditionell der zweitstärksten Partei zu. An der Regierungspolitik würde der Rollentausch aber wenig ändern, da sind sich die Beobachter einig. Auch darum ist es kein Wunder, dass die Finnen sich derzeit so für Soini interessieren. Die anderen Parteiführer mögen jung und dynamisch aussehen. Sie wirken trotzdem irgendwie altbekannt.