Wahlen in der Türkei:Gute Aussichten für Erdoğan, nicht ganz so gute für die AKP

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Wahlkampf in Istanbul im Juni 2018. (Foto: REUTERS)

Etliche Umfragen unter der Bevölkerung in der Türkei geben Hinweise auf die Zustimmung für die Präsidentschaftskandidaten und die Parteien. Sie deuten darauf hin, dass nicht alles so läuft, wie die Regierung sich das wünscht.

Von Markus C. Schulte von Drach

Zu den Wahlen in der Türkei am 24. Juni treten fünf Präsidentschaftskandidaten und eine Kandidatin an; die Zahl der Parteien, die Abgeordnete ins Parlament schicken wollen, ist noch größer. Es sind vorgezogene Neuwahlen, bei denen - anders als bislang - Parlament und Präsident gleichzeitig gewählt werden. Eine besondere Wahl ist es auch, weil sich das politische System der Türkei aufgrund des Referendums von 2017 ändert: Der nächste Präsident wird zugleich der Regierungschef sein; das Amt des Ministerpräsidenten fällt weg. Damit wächst die Macht des Staatsoberhauptes.

Eine ganze Reihe von Instituten befragt die Bevölkerung in der Türkei regelmäßig nach ihrer Zustimmung zu den Parteien und Präsidentschaftskandidaten. Zwar müssen alle diese Umfragen grundsätzlich mit Zurückhaltung interpretiert werden - zumal manche Institute dem einen oder anderen politischen Lager zuneigen -, und auch eine Vielzahl von Befragungen kann Trends nicht eindeutig belegen, sondern nur einen Eindruck davon wiedergeben. Das zeigen schon die relativ großen Abweichungen der Daten von Umfragen, die mehr oder weniger zeitgleich unternommen wurden. Einige Schlüsse lassen sich aber doch ziehen.

Das Ergebnis der ersten Runde der Präsidentschaftswahl dürfte keine Überraschung werden: Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan von der islamisch-konservativen AKP führt in den Umfragen mit Abstand vor der Opposition, die sich nicht auf einen gemeinsamen Gegenkandidaten einigen konnte. Außerdem hat die nationalistische MHP keinen eigenen Kandidaten aufgestellt, sondern will Erdoğan mit der APK gemeinsam die Mehrheit in der ersten Runde der Präsidentenwahl sichern - wozu beide Parteien ein Wahlbündnis eingegangen sind, dem sich auch die kleine rechte BBP angeschlossen hat.

Muharrem İnce von der sozialdemokratischen, kemalistischen CHP kommt in den Umfragen immerhin auf mehr als 20 Prozent. Für Selahattin Demirtaş, den inhaftierten Vorsitzenden der linksorientieren, insbesondere für die Kurden eintretenden HDP und die Kandidatin und Chefin der neu gegründeten nationalkonservativen Partei İyi, Meral Akşener, wollen demnach jeweils um die zehn Prozent der Wahlberechtigen in der Türkei stimmen. Zwei weitere Kandidaten, Temel Karamollaoğlu von der islamistischen SP, und Doğu Perinçek (linksnationale Vatan Partisi), kommen je auf etwa zwei und 0,5 Prozent.

Erreicht Erdoğan in der ersten Runde nicht mehr als 50 Prozent, wird es zu einer Stichwahl kommen. Schon das wäre bitter für ihn, da er immer wieder erklärt hat, die Mehrheit des Volkes stünde hinter ihm. Und sollten sich die wichtigsten Oppositionsparteien dann auf einen einzigen Kandidaten einigen - was zumindest theoretisch denkbar ist -, könnte es für Erdoğan nur zu einem knappen Sieg reichen.

Kleine Parteien kommen über Bündnisse ins Parlament

Die Zustimmung zu den einzelnen Parteien deutet darauf hin, dass die gegenwärtig allein regierende AKP (Adalet ve Kalkınma Partisi, Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) keine 50 Prozent der Stimmen erhalten wird. Weil Erdoğans Partei sich nach langen Jahren der Alleinregierung nicht mehr sicher ist, die absolute Mehrheit zu erringen, ist sie ein Bündnis mit der MHP (Milliyetçi Hareket Partisi, Partei der Nationalistischen Bewegung) eingegangen.

Profitieren von dieser " Volksallianz" (Cumhur İttifakı) können beide Parteien vor allem deshalb, weil das Bündnis gewährleistet, dass die MHP überhaupt ins Parlament einziehen wird. Denn in der Türkei gibt es eine Zehn-Prozent Hürde, die kleinere Parteien eigentlich ausschließen würde. AKP und MHP setzten im Parlament deshalb im März eine Änderung des Wahlgesetzes durch, so dass nun alle Partner eines solchen Wahlbündnisses ins Parlament einziehen können, wenn sie zusammen die Zehn-Prozent-Hürde nehmen - auch die Parteien, die für sich einen kleineren Stimmanteil errungen haben. Deshalb ist der erneute Einzug der MHP ins Parlament sicher.

Die Opposition nutzt dies allerdings nun ebenfalls: Die CHP (Cumhuriyet Halk Partisi, Republikanische Volkspartei) hat sich mit der İyi Parti (Gute Partei), der SP (Saadet Partisi, Partei der Glückseligkeit) und der kleinen, gemäßigt rechten DP (Demokrat Parti, Demokratische Partei) zum " Bündnis der Nation" (Millet İttifakı) zusammengetan.

Während die CHP mit mehr als 20 Prozent in den Umfragen kein Problem mit der Sperrklausel hat, werden die anderen Parteien auf dem Bündnis-Ticket ins Parlament einziehen können. Und gemeinsam können sie auf eine Zustimmung der Wählerinnen und Wähler von etwa 40 Prozent hoffen.

Besondere Rolle der HDP

Eine besondere Rolle kommt der HDP (Halkların Demokratik Partisi, Demokratische Partei der Völker) zu. Sie ist die einzige größere Partei, bei der der Einzug ins Parlament nicht sicher ist. In den Umfragen liegt sie bei etwa zehn Prozent. Schafft sie es, ist theoretisch denkbar, dass HDP und das "Bündnis der Nation" eine größere Zahl von Abgeordneten stellen als Erdoğans "Volksallianz". Da die Parteien im Bündnis allerdings kein großes Interesse an der Zusammenarbeit mit der HDP haben, würde es dann kompliziert.

Die Bedeutung der HDP zeigte sich schon bei den Parlamentswahlen vor drei Jahren. Die Partei zog nach der Wahl im Juni mit einem Stimmenanteil von mehr als 13 Prozent ins Parlament - gewählt hatten sie nicht nur Kurden, sonden auch viele linksliberale Wählerinnen und Wähler vor allem in den Städten. Ihr Erfolg sorgte dafür, dass die AKP zu viele Abgeordnetensitze abgeben musste, um die neue Regierung allein zu bilden. Der Versuch, eine Regierungskoalition mit der CHP oder der MHP zu bilden, scheiterte. Neuwahlen wurden notwendig, die im November 2015 stattfanden.

Die Strategie der AKP, die Neulinge im Parlament als verlängerten Arm der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) darzustellen, schwächte die HDP - in der sich manche Funktionäre auch nicht eindeutig genug von der "Terrorpartei" distanzierten. Vor allem aber stärkte der neu aufflammende Kurdenkonflikt die AKP. Nach der Wahl konnte die Partei wieder allein regieren.

Derzeit sieht es also so aus, dass Erdoğan damit rechnen kann, auch der nächste Präsident der Türkei zu sein - und dank des Referendums 2017 damit auch Regierungschef. Dass nach der Wahl auch die Verhältnisse im Parlament seinen Wünschen entsprechen werden, scheint dagegen nicht so sicher zu sein. Sollte die Opposition so stark werden, dass die AKP oder "Volksallianz" keine Mehrheit bekommt, besteht die Gefahr, dass sich Präsident und Parlament gegenseitig immer wieder blockieren.

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