Wahlen im IrakHoffnung besiegt die Angst

Lesezeit: 3 Min.

Trotz zahlreicher Terroranschläge gehen viele Iraker zur Wahl - sie wollen nach allem Leid endlich einen Wandel im Lande.

Tomas Avenarius, Bagdad

Der Wahltag begann mit Explosionen: Pünktlich zur Öffnung der Wahllokale um sieben Uhr morgens war in Bagdad ihr dumpfer Widerhall zu hören. Mörsergranaten schlugen rund um Wahllokale in verschiedenen Stadtteilen ein, vor einem warf ein Mann eine Handgranate zwischen die Wähler, in einem anderen stürzte ein ganzes Haus nach einem Einschlag zusammen.

Auch die bestens gesicherte Internationale Zone, in der Premier Nuri al-Maliki sein Büro hat, wurde zum Ziel: Bis zum Mittag waren in Bagdad bereits 26 Menschen getötet worden. Al-Qaida und andere Terrorgruppen hatten ihre Ankündigung wahrgemacht, die Parlamentswahl "mit militärischen Mitteln" zu stören.

Der 36-jährige Fotograf Ihab Namuq ging am Sonntagmorgen bei strahlendem Sonnenschein trotzdem wählen: "Klar hatte ich Angst nach den ersten Bomben. Aber genau das wollen die Terroristen." Sein Mut gründet sich auf dem Motiv, das viele Wähler nach der Stimmabgabe nannten: "Nach all dem Leid, das geschehen ist, wollen wir endlich den Wandel für unser Land."

Die Menschen kamen nach arabischer Art in die Wahllokale - im Familienverbund, mit den kleinen Kindern auf dem Arm. Die Sicherheitskontrollen waren streng, alle wurden durchsucht aus Angst vor Selbstmordattentätern.

Auch Hamdia Muhamed Darwisch kam, um ihre Stimme abzugeben: Für die 80-Jährige war es die erste Wahl ihres Lebens. Die drei Töchter hatten ihre blinde Mutter im Rollstuhl in die Muhammed Bakr al-Hakim-Schule im Stadtteil Chaderiye gebracht. Nachdem sie den DIN-A3-großen Wahlzettel mit Hilfe einer der Töchter ausgefüllt und in die Wahlurne gesteckt hatte, hielt die alte Frau ihren Zeigefinger mit der lila Tintenmarkierung in die Luft: "Bei meinem Leben: Ich habe unseren Premier Maliki gewählt."

Raed Hadschi, der Wahlleiter im Bezirk, klagte am Mittag noch über eine schwache Beteiligung: "Die Anschläge zeigen Wirkung, die Leute kommen leider nur langsam. Hoffentlich wird das noch besser." In Hadschis Garten war an diesem Vormittag eine Granate gelandet, "alle Fenster in unserem Haus sind zersplittert, die Wand ist beschädigt." Zu seinem Job ist er dennoch erschienen: "Dies ist meine patriotische Pflicht."

Diese zweite irakische Parlamentswahl nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein war ein heikles Unterfangen: Seit Wochen gab es Terrordrohungen, während des Wahlkampfes waren Dutzende Menschen bei Anschlägen in Bagdad und anderen Landesteilen umgekommen. Auch politisch stand die Wahl unter keinem guten Stern: Die Entbaathifizierungs-Kommission hatte einige der wichtigsten Kandidaten der Sunniten wegen ihrer angeblichen Rolle während Saddams Diktatur mitten im Wahlkampf gesperrt.

Obwohl auch zahlreiche Schiiten aus dem Rennen ausscheiden mussten, bestand damit Gefahr, dass die Sunniten an dieser zweiten Parlamentswahl im "neuen Irak" nicht in ausreichender Zahl teilnehmen würden. Mit ihrem Boykott der Wahlen 2005 hatte die sunnitische Minderheit das Feld vollends der schiitischen Mehrheit und den auf Autonomie setzenden Kurden überlassen - und sich politisch selbst ins Aus gebracht.

Ihr Wahlverhalten wird der entscheidende Faktor dafür sein, ob diese zweite freie Parlamentswahl und die daraus hervorgehende Regierung nach der Auszählung der Stimmen von allen Irakern akzeptiert und damit politisch legitimiert werden kann.

"Das Ganze ist nicht wirklich fair"

Ob die Sunniten diesmal in großer Zahl teilgenommen haben, wird sich erst im Laufe der Woche zeigen. Einer der Sunniten, die an diesem Vormittag im Wahllokal in Chaderiye erschienen war, blieb skeptisch. "Das Ganze ist nicht wirklich fair. Dass sunnitische Politiker, die seit Jahren offiziell in der Politik sind, mitten im Wahlkampf wegen ihrer angeblichen Baath-Vergangenheit vom Rennen ausgeschlossen worden sind, werden viele als Manipulation betrachten", sagte der ehemalige Saddam-General. Die Wahl könne kaum als eine Chance für alle Iraker betrachtet werden.

Genau das aber ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass der Irak nach sieben Jahren Krieg zumindest halbwegs stabil bleibt. Ende August zieht ein großer Teil der US-Truppen ab. 50.000 Berater und Ausbilder werden zwar noch bis Ende 2011 im Land bleiben. Doch schon bei den Wahlen ließen sich die US-Soldaten nicht sehen; die Verantwortung für die Sicherheit liegt weitgehend in den Händen der irakischen Armee. Nur die über der Stadt kreisenden Apache-Helikopter erinnerten daran, dass die Besatzer von 2003 auch im Jahr 2010 ihren Teil zur Sicherheit beitragen. Für die Versöhnung zwischen den Religionsgruppen aber reichen weder US-Hubschrauber noch irakische Soldaten und Polizisten aus: Voraussetzung dafür ist eine gewählte Regierung für alle Iraker.

© SZ vom 08.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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