Äthiopien:Der sinkende Stern eines Heilsbringers

Äthiopien: Premier Abiy Ahmed bei einer Wahlkampfveranstaltung

Nach Jahren autoritärer Herrschaft ist in Äthiopien die Sehnsucht nach Demokratie groß. Premier Abiy gab dieser anfangs ein Gesicht.

(Foto: AP)

Premier Abiy Ahmed zieht mit großem Ehrgeiz Wahlen in seinem Vielvölkerstaat durch. Aber die Spannungen im Land sind so groß, dass dies sehr gefährlich werden könnte.

Von Arne Perras, München

Da war wieder so ein Satz, in den letzten Stunden des äthiopischen Wahlkampfes. Premier Abiy Ahmed hielt eine Rede in einem Stadion in der Stadt Jimma. "Solange die Äthiopier zusammenstehen, im Geiste und im Herzen", rief er dort in die Menge, "solange gibt es keine Macht auf Erden, die uns stoppen kann."

Videos von seinem Auftritt zeigen Abiy mit Sonnenbrille und breitem Lächeln, er trägt weißen Smoking mit grünem Revers. Mit großen, zuweilen großspurig anmutenden Worten zeichnet der 44-Jährige Bilder von einem demokratischen Aufbruch, der Frieden und Wohlstand bringen soll, mit Abiy an der Spitze.

Der Premier tritt in solchen Momenten als Beschwörer auf, doch die ersehnte Einheit, die Abiy rhetorisch zelebriert, ist von der Realität weit entfernt, wie Gewaltausbrüche in den vergangenen Monaten zeigten. Und immer deutlicher zeichnet sich die Frage ab: Ist Abiy tatsächlich der Heilsbringer, für den ihn viele anfangs hielten?

Äthiopiens Regierung ruft zu Wahlen an diesem Montag auf. Das größte Land am Horn von Afrika ist von 110 Millionen Menschen bevölkert, die Dutzenden Ethnien angehören. In vielen Wahlkreisen ist die Abstimmung allerdings schon auf September verschoben, weil es zu Unregelmäßigkeiten bei der Vorbereitung gekommen sei. Und in Tigray, wo abtrünnige Kräfte gegen den Zentralstaat kämpfen, findet gar keine Wahl statt.

Klima der Angst

Mancherorts haben Differenzen zwischen den Ethnien oder Konfrontationen zwischen Rebellen und dem Zentralstaat ein Klima der Angst geschaffen, das schwerlich erkennen lässt, wie hier am 21. Juni eine faire und freie Wahl stattfinden soll. Gleichwohl setzt Abiy alles daran, die Abstimmung durchzuziehen, und er hat auch einige Oppositionsgruppen für die Teilnahme gewonnen. Vielleicht, sagen die Befürworter, ist dies kein perfektes Rennen nach dem Lehrbuch der Demokratie. Aber sie glauben dennoch, dass sie nun eine wichtige Chance haben, die sie auch nutzen sollten.

Ist dies also der demokratische Befreiungsschlag, der Äthiopiens Zukunft sichert? Die Skepsis ist groß. "Es ist wahrscheinlicher, dass diese Wahlen die Spannungen noch verstärken werden, anstatt heilend zu wirken", sagt der Äthiopien-Analyst der International Crisis Group, William Davison. "Denn viele politische Parteien sind ausgeschlossen." Das gilt auch für zwei führende Bewegungen der Oromo, der größten Volksgruppe im Land, die seit Langem ihre Benachteiligung beklagt.

Vielerorts nimmt der Ethno-Nationalismus zu

Dieser wiederum befördert Abspaltungstendenzen. Aber es geht nicht alleine um das Verhältnis zum Zentralstaat, der viele Jahrzehnte lang autonome Rechte untergraben hat. Auch zwischen Angehörigen verschiedener Ethnien kommt es zum Konflikt, zum Beispiel, wo Land und Wasser knapp sind oder wo es um die Verteilung staatlicher Mittel geht.

Nach Jahrzehnten autoritärer Herrschaft ist die Sehnsucht nach demokratischer Selbstbestimmung groß, und Abiy hatte diesem Drang anfangs ein Gesicht gegeben, als er 2018 das Amt von seinem Vorgänger übertragen bekam; er stieß Reformen an, entließ Tausende politische Gefangene; er gab der Presse mehr Freiheiten und beendete den Krieg mit Eritrea, was ihm 2019 den Friedensnobelpreis einbrachte.

Dennoch sagt Experte Davison: "Ein großer Teil der Hoffnung, die sich an die Phase der Transition knüpfte, war naiv. Bestrebungen nach einem politischen Konsens und nach Förderung von Demokratie reichen alleine nicht aus." Vielmehr müssen solche Ziele auch in konkrete Schritte übersetzt werden. Und da gibt es Zweifel, ob der Visionär Abiy einen geeigneten Kurs eingeschlagen hat. Er zeigt sich immer stärker als Machiavellist, priorisiert die eigene Macht, was nicht geeignet ist, Misstrauen zu mindern und Gräben zuzuschütten.

Deutlich wird dies vor allem an der Krise in der Region Tigray, deren Politiker fast drei Jahrzehnte lang den Zentralstaat dominierten. Abiys Aufstieg führte zum Machtverlust dieser Kräfte, und der neue Premier zeigte kein großes Interesse, deren Verbitterung zu mildern. Sie fühlten sich an den Rand gedrängt, bald schaukelten sich Differenzen hoch. Tigray wurde zur Hochburg der Abtrünnigen, und Abiy griff zum Äußersten: Er schickte Truppen in den Norden, um den Widerstand gewaltsam zu brechen.

Die Krise ist nicht vorüber

Es folgten Menschenrechtsverletzungen, Massenvergewaltigungen und Massaker, an der auch Kräfte aus dem benachbarten Eritrea beteiligt gewesen sein sollen. Und die Krise, in der allen Seiten Gräueltaten vorgeworfen werden, ist nicht vorüber. Manche Experten rechnen schon bald mit noch härteren Kämpfen.

Für die Zivilbevölkerung ist dies umso bedrohlicher, als sich nun auch noch die Versorgung mit Lebensmitteln verschlechtert. "In Tigray herrscht Hunger", warnte der UN-Koordinator Mark Lowcock. Betroffen sind mehr als 350 000 Menschen. Und Lowcock ist sich sicher: "Es wird noch sehr viel schlimmer." Auch der Afrika-Experte Alex de Waal kommt zu einem düsteren Schluss: "Eine große Zahl von Hungertoten sind unvermeidlich." Das Sterben habe längst begonnen, wie Berichte aus entlegenen Dörfern nahelegen.

Viele Äcker liegen brach, weil Bauern Angst haben, sie zu bestellen, oder weil Saatgut fehlt. Das bedeutet, dass nur die UN-Maschinerie die Not lindern könnte. Aber sie hat ein Problem: "Es fehlt an Sicherheit, weil der Konflikt weitergeht, und das machte es schwer, die Ausbreitung des Hungers zu stoppen", sagt der Analyst Davison.

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