Nach dem Wahldebakel in Berlin:"Was für eine großartige Stadt"

Nach dem Wahldebakel in Berlin: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geht durch das Bundeskanzleramt, zur Begrüßung des litauischen Staatspräsidenten.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geht durch das Bundeskanzleramt, zur Begrüßung des litauischen Staatspräsidenten.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die Bundes-SPD flüchtet sich in Galgenhumor und versucht, zu den Ereignissen rund um die Berliner Genossen auf größtmögliche Distanz zu gehen. Der Kanzler trinkt Apfelwein und hofft, dass andere Landesverbände es besser machen.

Von Georg Ismar

Hubertus Heil fasst die Lage so zusammen: "Was für eine großartige Stadt." Der Arbeitsminister meint die Hauptstadt Berlin. Die hat nun eine neue Regierung, aber die SPD-Granden flüchten sich lieber in Galgenhumor über das, was da unter SPD-Beteiligung angerichtet worden ist. Größer könnte der Kontrast kaum sein, 900 Meter liegt das Abgeordnetenhaus entfernt von der Landesvertretung Hessen, aber es wirkt wie eine Brandmauer, die man hier zügig zu errichten versucht. Größtmögliche Distanz, Kopfschütteln, kein Wort zu viel.

Stattdessen wird, nachdem der CDU-Politiker Kai Wegner am Ende womöglich auch mit AfD-Stimmen zum Regierenden Bürgermeister gewählt wurde, der Blick auf einen SPD-Landesverband gerichtet, mit dem man mehr Hoffnungen verbindet. Zum Hessenempfang nämlich sind sie alle gekommen: der Kanzler, Hubertus Heil, SPD-Chef Lars Klingbeil, Verteidigungsminister Boris Pistorius, Gesundheitsminister Karl Lauterbach, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas - und natürlich die Spitzenkandidatin für die Landtagswahl am 8. Oktober, Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Eine Genosse twittert entnervt über die "strategische meisterleistung der berliner spd"

Besonders Klingbeil hält sich mit öffentlicher Kritik am Erscheinungsbild der Berliner Genossen zurück. Aber wer seine strategische Aufbauarbeit der vergangenen Jahre verfolgt hat, muss ahnen, dass er fassungslos sein dürfte. Die Geschehnisse in der Landespolitik werden von einigen als Kreisliga eingestuft. Denn letztlich ging man durch das Abstimmungsverhalten zuvor ohne sichere eigene Mehrheit in den dritten Wahlgang und lief in die AfD-Falle. Die, ob wahr oder nicht, so erst die Legende stricken konnte, dass auch AfD-Stimmen Wegner in das Amt verholfen haben. Einige führende Sozialdemokraten schimpften auf die Grünen, die sonst alles von der AfD als Lüge brandmarken, es nun aber für bare Münze nehmen würden, um die SPD anzugreifen. Ein Haushaltsreferent der SPD-Bundestagsfraktion meinte entnervt via Twitter: "mir ist egal, ob die afd lügt. wir haben sie in die position dazu gebracht. da sieht man die ganze strategische meisterleistung der berliner spd".

Diese Meinung teilen viele, aber wollen es auf keinen Fall öffentlich so sagen. Die Berliner SPD hat das Willy-Brandt-Haus auch in den Wochen zuvor nicht groß um Rat gefragt. Wo im Bund die ungeliebte große Koalition mit Leuchtturmprojekten wie der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns den Mitgliedern schmackhaft gemacht wurde, hatte die Berliner SPD Mühe, Projekte im Vertrag mit der CDU zu identifizieren, die das Bündnis attraktiver machen könnten, mithin war schon das Zustimmungsergebnis sehr knapp. Wetten, wie lange sich Landeschefin Franziska Giffey und Fraktionschef Raed Saleh noch halten können, will beim Hessenempfang niemand eingehen. Es wirkt insgesamt ein bisschen wie die Vogel Strauß-Methode, nichts sehen, nicht einmischen. Augen zu und durch.

Olaf Scholz sagt, er sei gern Brandenburger

Wer trotz der Lage ausgesprochen gute Laune hat und sich zum Äppelwoi-Experten aufschwingt, ist der Kanzler. Kein Wort zu Berlin. Olaf Scholz betont lieber, wie gern er inzwischen Brandenburger sei und sich im Zubereiten der Teltower Rübchen übe. Und lobt sich für die Entscheidung, Faeser zur Innenministerin gemacht zu haben, er lasse sie nur ungern ziehen, sollte sie die nächste Regierung in Hessen anführen. Die SPD dort hätte ja mal den Wahlslogan gehabt "Hessen vorn". Da hätte er für sich in Hamburg als Erster Bürgermeister folgenden Slogan abgekupfert: "Hamburg weiter vorn." Klar, Scholz ist immer einen Tick den Anderen voraus. Übrigens habe auch Hamburg sehr guten Apfelwein, auch wenn der eher nach Cider schmecke. Er probiert dann auch den hessischen, der Marke "Heil". Der schmecke gut.

Allerdings verdüstern sich auch für Scholz die Perspektiven: Der größte SPD-Landesverband in Nordrhein-Westfalen ist nach dem Rücktritt von Thomas Kutschaty führungslos, die Berliner Verhältnisse sind ähnlich trübe, und in Umfragen für die Wahl in Hessen liegen die Genossen deutlich hinter der CDU von Ministerpräsident Boris Rhein. Im Osten erstarkt die AfD deutlich, in Bayern wird es bei der Landtagswahl für die SPD kaum etwas zu holen geben. So droht ein Negativtrend, der für eine Wiederwahl von Scholz zur Hypothek werden könnte - einige fürchten schon, dass Berlin mit einer Juniorrolle in einer großen Koalition ein Vorbote sein könnte.

Besonders nachdenklich ist beim Stelldichein der SPD-Granden Astrid-Sabine Busse, ein paar Stunden zuvor noch Schulsenatorin in Berlin. "Ich hätte gerne weitergemacht", sagt sie in der hessischen Landesvertretung, im Hintergrund werden panierte Eier auf grüner Soße serviert. Man habe auch einiges geschafft. Sie selbst war 40 Jahre im Schuldienst, kam als Quereinsteigerin in die Politik - und wunderte sich dort über manches. Kann das nun gutgehen? Es gehe hier um die Demokratie, das müsse jetzt halten, sagt sie. "Wir brauchen eine stabile Regierung, ohne Egomanen."

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