Süddeutsche Zeitung

Wahlbeteiligung:Die AfD und die Wahlbeteiligung: Nur bedingt Grund zu jubeln

Das Beste am Wahlsonntag war die hohe Beteiligung. Die AfD rühmt sich sehr dafür. Aber: Den Wettbewerb um Nichtwähler gewinnt nicht automatisch sie.

Kommentar von Heribert Prantl

Man muss die Jammerei nach dem Dreiwahlen-Sonntag nicht übertreiben. Der Sonntag hat seine schönen Seiten. Die schönste Seite ist die Wahlbeteiligung; zum ersten Mal seit ganz Langem ist sie rasant gestiegen; mit sechzig und siebzig Prozent ist sie immer noch nicht ganz toll, aber respektabel. Seit vierzig Jahren war nun nach fast jeder Landtagswahl über den Trend zum Nichtwählen geklagt worden: Hinter der Fassade der Prozentzahlen, so hieß es, schläft die Demokratie. Wenn sie wirklich geschlafen hatte - am Sonntag ist sie aufgewacht. Das ist ein kleines demokratisches Fest. Dieses Fest verdient keine Beschimpfung.

Die AfD rühmt sich dafür, dass viele von den Ex-Nichtwählern nun AfD gewählt haben. Wenn CDU und SPD darüber erschrecken, sollten sie diesen Schreck nutzen, um zu klären, wer sie eigentlich sind und was sie wollen. Das hilft bei der Aktivierung von Nichtwählern. Und es war ja auch schon am Sonntag nicht so, dass nur die AfD von der Zuspitzung des Wahlkampfs profitiert hätte. Gewiss: Die allgemeine Unruhe angesichts der Flüchtlingskrise hat die AfD mit grober Agitation abschöpfen können. Wer die Wahlergebnisse studiert, stellt aber auch fest, dass sowohl SPD als auch CDU in Rheinland-Pfalz fast so viele bisherige Nichtwähler gewinnen konnten wie die AfD; das hat mit dem Duell von Julia Klöckner und Malu Dreyer zu tun. Und in Baden-Württemberg haben die Grünen Nichtwähler in großer Zahl angezogen; das hat mit Kretschmann zu tun. Das bedeutet: Von einer Emotionalisierung des Wahlkampfs können alle Parteien profitieren.

Die AfD konnte bisherige Nichtwähler aktivieren

Es gab diesmal eine "Alternative für Deutschland". Die einen Nichtwähler sind diesmal zur Wahl gegangen, um für sie zu stimmen, die anderen, weil sie meinen, dass dies nun überhaupt nicht die Alternative sein darf. Gleichwohl: Wäre die Nichtwählerschaft eine Fraktion im Parlament, sie wäre nach wie vor die stärkste Kraft in den Parlamenten. Aber sie ist keine Fraktion, kein festgefügter Block. Bei der Nichtwählerschaft handelt sich nicht um die Partei derer, denen alles egal ist. Solche gibt es auch; es gibt aber mehr bewusste Nichtwähler. Die gehen deshalb nicht zur Wahl, weil sie sich von keiner Partei angezogen und vertreten fühlen. Den Wettbewerb um diese Klientel gewinnt nicht automatisch der, der am lautesten schreit; sondern der, dem Problemlösungskompetenz zugesprochen wird. Der Wettbewerb darum wird nicht in einer einzigen Wahl entschieden, auch wenn die AfD, proteststimmenverwöhnt, dies gern so sähe. Proteststimmen sind keine solide Basis. Das ist die Chance der demokratischen, bewährten Parteien.

Schwarzmaler verweisen darauf, dass an niedriger Wahlbeteiligung noch keine Demokratie gescheitert sei, wohl aber an einer hohen. Der Niedergang der Weimarer Demokratie zum Beispiel habe etwas mit hoher Wahlbeteiligung zu tun gehabt, weil es den Nazis gelungen sei, Nichtwähler zu aktivieren. Das ist richtig. Wer daraus aber heute ein Lied zum Lob des Nichtwählens komponiert, ist ein Faulpelz-Demokrat. So ein Lied wäre eine Hymne für die AfD.

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SZ vom 15.03.2016/gin
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