"Wahlarena" in der ARD:Steinmeier vernichtet Sendezeit

Im Wattebauschweitwurf gegen Kanzlerin Merkel kann Kandidat Steinmeier mithalten, beweist eine ARD-Sendung. Haupterkenntnis: Mädchen werden 100.

Alexander Kissler

Eine Arena, dachte man bisher, sei ein Kampfplatz. Dort treffen sich grimmige Gegner, die siegen wollen, nichts als siegen. Und am Ende wird einer schmachvoll verlieren. Seit dieser Woche wissen wir: Wenn die Kampfstätte eine "Wahlarena" ist und von der ARD betrieben wird, und wenn dort erst die Kanzlerin und dann der Kanzlerkandidat sich im Wattebauschweitwurf üben, findet der Kampf nicht statt. Vernichtet wird nur Sendezeit.

Dabei sah am Dienstag alles nach einem energiegeladenen Frühstart aus. Der Jingle war noch nicht beendet, da ging die Vorfreude mit Moderator Jörg Schönenborn durch und der WDR-Chefredakteur rief sein "Guten Abend" vorzeitig in die Runde.

Repräsentativ höchstens für die alte BRD

Chefkollege Andreas Cichowitz vom NDR kündigte forsch an, nun wolle man Frank-Walter Steinmeier "auf den Zahn fühlen", und schon sprach der erste Studiogast, eine Frau aus Neuss. Ob er, Steinmeier, denn für die "Rente mit 67" Zustimmung erhalte von seiner Mutter?

Rund 150 Bundesbürger füllten das Studio. Sie saßen im Halbrund auf Tribünen und sollten den "Durchschnitt der Gesellschaft" abbilden. Die Wortmeldungen aber waren höchstens für die alte Bundesrepublik repräsentativ, für das Deutschland der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre. Männliche Arbeitsplatzbesitzer aus Nordrhein-Westfalen, mehrheitlich mit Schnauzbart, führten das große Wort. Niemand aus Süddeutschland, niemand aus den neuen Ländern, kein Arbeitsloser konnte oder wollte seine Fragen stellen.

Dem Kandidaten war's egal. Ihm, dem Mann aus Brakelsiek, hätte das regionale Ungleichgewicht sogar in die Karten spielen können. Seltsam fahrig aber antwortete er der Frau. Er verhaspelte sich mehrfach, geriet ins Stottern, machte aus der Lebensarbeitszeit die "Verlängerung des Lebens", und biss sich fest auf die Unterlippe. Die "Rente mit 67" sei unausweichlich, schließlich würden Mädchen, die heute zur Welt kommen, hundert Jahre alt. Bereits nach sieben Minuten stand ihm der Schweiß auf der Stirn.

Kein heißes Gefecht

Dennoch kann von der Hitze des Gefechts keine Rede sein. Auch wurde der Kandidat nicht von hartnäckigen Journalisten "gegrillt". Vielmehr arbeitete hier ein melancholischer Sachbereichsleiter in aller Ruhe jene erwartbaren Fragen ab, die ihm ein zahmes Publikum stellte.

Aber ja doch, er stehe zum Atomausstieg, aber nein, den Zuschlag für Nacht- und Schichtdienst wolle er nicht besteuern. Tags zuvor hatte Angela Merkel an derselben Stelle die gutgelaunte Gouvernante gegeben, die lieber zehnmal zu viel als einmal zu wenig lächelte. Nun verhakte ein besorgter Grübler sich in Wortmeldungen der Güteklasse: "Wann lohnt sich das Arbeiten wieder?".

Während Merkel, ganz Medienprofi, nach wenigen Sätzen das jeweilige Gegenüber aus dem Blick genommen und sich der Kamera zugewandt hatte, blieben Steinmeiers Augen auf die Fragenden gerichtet. Solche Direktheit überforderte die Regie, die ihn fast nie en face zu fassen bekam. Von der Seite war Steinmeier zu sehen, schräg von unten oder leicht von oben.

Auch so verfestigte sich der Eindruck des kleinteiligen Kümmerers, der in der Menge fremdelt, beim Zweiergespräch aber aufblüht. Der Mutter eines Soldaten bot er an, ihr nach der Sendung einen "Hinweis" zu geben, unter welchen technischen Unzulänglichkeiten ihr Sohn beim Afghanistan-Einsatz gelitten habe.

Verständnis und Zustimmung

Für jeden Wunsch, der an ihn herangetragen wurde, hatte der noch amtierende Außenminister und Kanzlerkandidat Verständnis, für jeden Ärger auch. Er verstand die Fragen "nur zu gut", war "sensibel" für die verschiedenen Wahrnehmungen und "sehr einverstanden" mit fast allem Gesagten. "Natürlich haben Sie recht!", beschied er dem Mann, dessen Arbeit sich wieder lohnen soll. Der Eingangssteuersatz solle deshalb gesenkt werden, von 14 auf zehn Prozent.

"Nur zustimmen" konnte er auch der ehemaligen Berufsschullehrerin aus Hannover, die zu große Klassen beklagte. Der unter einem Kanzler Steinmeier erhöhte Spitzensteuersatz werde deshalb "direkt in die Bildung fließen", etwa drei bis dreieinhalb Milliarden Euro pro Jahr.

Von den Studiogästen - darunter ein bekannter Kolumnist der Bild, der direkt hinter Steinmeiers Kopf seinem Tagwerk nachging - hatten schließlich elf Männer und sechs Frauen geredet. Alle trugen ein geheimnisvolles weißes Plastikband am Handgelenk. Waren die Auserwählten gescannt worden, damit sich ja kein falscher Gast einschleiche? Sandten die Bänder Signale aus, die einer geheimen Choreographie dienten?

Wir wissen es nicht, wir sahen nur Menschen, die Erkennungszeichen trugen wie Mäuse beim Laborversuch. Und ähnlich kühl, ähnlich abgezirkelt ging es zu im Studio, das nie zur Arena wurde - bis auf jenen Moment, da Steinmeier lachte.

Befragt, inwieweit er eine Neuauflage der großen Koalition ausschließen könne, nutzte er die Vorlage nicht für ein flammendes Plädoyer in eigener Sache oder gar für einen Angriff auf die immerhin konkurrierende CDU/CSU. Nein, stattdessen musste Steinmeier heftig lächeln über einen Satz, den er sagte und den er im Lächeln fast verschluckt hätte: "Ich strebe was anderes an." Da wurde es schlagartig heiter im Saal.

Ob Steinmeier ein guter Kanzler wäre, ob er das Land in eine neue Solidität oder nur eine alte Schlafmützigkeit führte? Nach diesem Lachen war klar: Wir werden es nicht erfahren.

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