Wahlanalyse:Berlin, die geteilte Stadt

Die Linke ist im Osten stark, die CDU im Westen. Liefe es nach dem Willen der Ostberliner, wäre die FDP nicht wieder ins Abgeordnetenhaus gekommen.

Von Jan Heidtmann

Jetzt, da die Mauer fast genau so lange weg ist, wie sie gestanden hat, da hätte man ja fast mal auf die Idee kommen können: Berlin - geteilte Stadt, das ist so 1990er. Doch 27 Jahre nach dem Fall des Gemäuers zeigt sich die Stadt gespalten wie lange nicht mehr, zumindest, wenn es um das Abstimmungsverhalten der Wähler geht. Liefe es nach dem Wählerwillen der Ostberliner, wäre die FDP zum Beispiel wie schon 2011 nicht wieder ins Abgeordnetenhaus gekommen. Die Liberalen erhielten dort gerade einmal vier Prozent (Westteil: 8,6) der Stimmen.

Dass hingegen die Linke vor allem ein Kind der Ostberliner ist, das erstaunt weniger, doch der Unterschied zum Westteil ist schon verblüffend: 23,4 zu 10,1 Prozent. Umgekehrt erweist sich die CDU als relativ stark im Westen und ziemlich schwach im Osten: 20,9 zu 13,1 Prozent. Kurz und etwas pauschal zusammengefasst: Der Osten Berlins ist in etwa so links, wie der Westen CDU ist. Mit denselben Einschränkungen lässt sich auch sagen, dass der Westteil der Stadt so grün ist wie der Osten AfD. Bei beiden Parteien liegt die west-östliche Diskrepanz in den Stimmenanteilen bei etwa fünf Prozent. Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Jahr 2011 konnte sich die SPD in der Hauptstadt noch als die einzig wahre Partei der Einheit feiern. Die Sozialdemokraten erzielten damals in beiden Teilen der Stadt das exakt gleiche Ergebnis. Diesmal ist selbst sie gespalten: in 23,2 Prozent der Stimmen im Westen und 19,3 Prozent im Osten.

Schon diese Analyse zeigt, wie komplex und vielschichtig solch eine Wahl ist. Hinzu kommen die verschiedenen Wählertypologien, Stammwähler, Nichtwähler, Wechselwähler, Protestwähler, und unzählige Motivationen, warum wer wo sein Kreuz gemacht hat. Das Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap hat versucht, das Geflecht zu sortieren.

Am einfachsten gelingt dies bei der Piratenpartei, denn dort gab es nur eine Richtung der Wählerwanderung, nämlich: weg. Bei der jüngsten Wahl hatten sie noch 8,9 Prozent der Stimmen bekommen, es war der Anfang des Aufstiegs der Partei. Jetzt ist es ein Begräbnis, die Partei kommt auf 1,7 Prozent. Und ihre früheren Wähler verhalten sich so wie zuvor schon einige Spitzenfunktionäre der Piraten und suchten bei allen möglichen Parteien Zuflucht. Dabei ist bemerkenswert, dass immerhin 12 000 Piratenwähler nun für die AfD stimmten. Nach der Linken (22 000) und den Nichtwählern (18 000) ist das die drittgrößte Gruppe von Wanderwählern der Piraten. Die CDU bekommt gerade einmal 2000 ihrer Stimmen.

Ähnlich übersichtlich sind die Wanderungsbewegungen nur bei der AfD. Sie zieht erstmals in das Abgeordnetenhaus ein - und das mit 14,2 Prozent. Auch hier gibt es daher nur eine Bewegung: hin zu den Rechtspopulisten. CDU und SPD verlieren 39 000 und 24 000 Wähler an die AfD, die Linke 12 000. Fragt man nach den Gründen, für diese Partei zu stimmen, sagten weit mehr als zwei Drittel der AfD-Wähler, die "Flüchtlinge" hätten sie dazu bewogen. 45 Prozent gaben die "innere Sicherheit", 28 Prozent "Soziale Gerechtigkeit" an. Während die "Soziale Gerechtigkeit" von allen Wählern in Berlin genannt wurde, spielen die "Flüchtlinge" und die "innere Sicherheit" nur eine untergeordnete Rolle.

Die Grünen verloren im Vergleich zu 2011 37 000 Stimmen

Entscheidend für den Erfolg der AfD war aber nicht der Wechselwähler, sondern der Nichtwähler, der diesmal doch seine Stimme abgeben hat. So sind 67 Prozent der Berechtigten zur Wahl gegangen, gut sechs Prozentpunkte mehr als 2011. Wie schon vor zwei Wochen in Mecklenburg-Vorpommern profitierte von dieser Entwicklung vor allem die AfD. In Berlin bekam sie 69 000 Stimmen aus diesem Reservoir, den größten Teil. 16 000 Nichtwähler unterstützten diesmal die Linke, 14 000 die FDP, deren Bestseller ja ein ganz praktisches Thema war: Selbst wenn der Flughafen BER fertig werden sollte - Tegel muss geöffnet bleiben. Jedenfalls halten das 99 Prozent der FDP-Wähler für eine gute Idee. Umgekehrt mutierten Infratest zufolge 18 000 frühere Anhänger der Piraten und 2000 Ex-Grüne zu Nichtwählern.

Insgesamt haben die Grünen im Vergleich zu 2011 rund 37 000 Stimmen verloren, das macht ein Minus von 2,4 Prozent. Der größte Teil, also 21 000 Wähler, wanderten zu den Linken ab, 9000 zu den Liberalen und 3000 zur SPD. Aber es gibt auch Grüne, die sich den Rechtspopulisten zuwendeten, 4000 immerhin; 2000 stimmten für die CDU. Gerade die Abwanderung hin zur AfD irritiert etwas, aber vielleicht ist sie auch nur konsequent. Denn 87 Prozent der Grünensympathisanten gaben als Wahlgrund an: "Finde gut, dass sie als einzige Partei positiv den Flüchtlingen gegenüber eingestellt sind."

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